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Gerard Depardieu fällt immer öfter aus der Rolle

Gerard Depardieu fällt immer öfter aus der Rolle

Hat Frankreichs Obelix Gérard Depardieu ein bisschen zu viel Zaubertrank getrunken? Die Pinkel-Affäre ist nur trauriger Höhepunkt einer Reihe von Eskapaden. Und sein Publikum empfindet offenbar mehr Mitleid als Entsetzen.

Paris. 

Beim Teutates! Was ist denn nun schon wieder in Gérard Depardieu gefahren? Als wäre das turbulente Leben von Frankreichs Leinwandliebling nicht reich genug an Entgleisungen und Eklats. Doch immer wieder gelingt es Obelix – meistens wenn der Wein seine benebelnde Wirkung voll entfaltet – noch einen Skandal draufzusetzen.

Ein Berserker im Leben wie im Film

Diesmal ist es die peinliche Pinkel-Affäre im Air-France-Jet von Paris nach Dublin – Depardieu ließ unter sich, vor aller Augen, im Gang. Ein haarsträubender Vorfall, der weltweit für Schlagzeilen sorgt, den zu Lässigkeit und Coolness neigenden Franzosen jedoch allenfalls ein Gefühl des Mitleids abringt: Armer Obelix !

Das pralle Leben des beleibten Ober-Galliers gleicht einer rasanten Fahrt auf der Achterbahn: mal rauf, mal runter, aber immer mit Vollgas – oder um promillemäßig im Bild zu bleiben: volle Pulle. „Gégé“, wie ihn seine Landsleute liebevoll nennen, ist ein Berserker – ob auf der Leinwand oder im richtigen Leben. Mit bald 63 weist seine atemberaubende Filmografie fast 200 Kino- und Fernsehfilme auf. Ein Lebenswerk, das zwar, wie der Meister freimütig einräumt, eine Menge „Schrott“, aber eben auch Grandioses enthält. Er glänzt nicht nur in Komödien à la „Asterix & Obelix“, sondern beeindruckt als brillanter Charakterdarsteller – mal als Balzac oder Cyrano de Bergerac, mal als Graf von Monte Christo.

Maßlos, rücksichtslos, rastlos

Maßlos, rücksichtslos, rastlos: Der Schlüssel zu Depardieus Persönlichkeit liegt fraglos in seiner Kindheit. Es ist ein Leben mit frühem Leid, voller Unordnung und, mon Dieu, auch damals schon eines mit vollen Flaschen. Im zen­tralfranzösischen Städtchen Châteauroux wächst Gérard Depardieu als drittes von sechs Kindern auf. Sie sind fünf Brüder und eine Schwester, sein Vater, ein Trinker, schlägt sich als Schmied durchs Leben. Als er sieben ist, muss er bei der Hausgeburt des Bruders mithelfen, weil der Alte wieder blau ist.

Heute würden sie einen wie ihn „verhaltensauffällig“ nennen. Konkret: Der kleine Gérard ist aufsässig und roh, schwänzt und prügelt sich. Das Magazin „Nouvel Obs“ zitiert einmal seinen Lehrer, der ihm eine kluge Prophezeiung an den Kopf wirft: „Junge, du wirst Gangster oder Schauspieler.“ Depardieu beschreibt diese abgrundtiefe Misere in der „Zeit“ noch viel drastischer. Auf die Frage nämlich, warum er schon mit dreizehn zuerst die Schule und dann sein tristes Heimatstädtchen verlassen hat, erwidert der Star: „Weil ich musste, sonst wäre ich wahrscheinlich Zuhälter geworden oder hätte jemanden umgebracht.“

Mit der Faust ins Gesicht

Nun, so schlimm sollte es ja nicht kommen. Aber nach zahllosen Eskapaden erscheint der Mythos Depardieu zunehmend im Zwielicht. Derselbe, den sie als Filmidol verehren und mit Preisen überhäufen, entpuppt sich immer wieder als ein grobschlächtiger, gewalttätiger Geselle. Im Oktober 2005 etwa schlägt der Mime einem Paparazzo die Faust ins Gesicht, weil er sich gestört fühlt. Auch bei anderen Vorfällen fragen sich besorgte Franzosen, ob ihr „Obelix“ gelegentlich zuviel Zaubertrank intus gehabt hat.

Dafür, dass die dunklen Seiten des großen Depardieu einem größeren Publikum bekannt werden, sorgt ausgerechnet sein eigener Sohn Guillaume, der 2008 mit nur 37 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung stirbt. Dieser, ebenfalls ein begnadeter Schauspieler, rechnet in der Autobiografie „Im Schatten meines Vaters“ gnadenlos mit dem Senior ab. Er blickt auf sein verkorkstes und von Problemen mit Alkohol, Drogen und Kriminalität geprägtes Leben zurück und hält seinem Vater vor, ein „Lügner“ und „Betrüger“ zu sein.

Depardieu, der Tausendsassa, hat seine Millionen nicht nur mit seinen Filmen gescheffelt. In Paris betreibt er ein florierendes Restaurant und an der Loire nennt er ein Weingut, das „Château de Tigné“, sein eigen. Nicht alles geht offenbar in den Handel: Anscheinend ertränkt der Schauspieler mit seinen Gläschen „Rouge“ immer wieder Kummer und Leid. Das Ergebnis, einen lallenden Depardieu, kann das Publikum gelegentlich auf dem Bildschirm betrachten. Erst im Mai bekannte er auf „France 3“: „Ich bin ein richtiger Scheißkerl.“