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Die Wunden von New Orleans

Die Wunden von New Orleans

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Foto: AFP

New Orleans. 

Fünf Jahre nach Hurrikan „Katrina“ leidet New Orleans noch immer an den Folgen von Verwüstung und Zerstörung. Manche Orte ähneln nach wie vor einem Notstandsgebiet.

„Hier ist unser Ground Zero“, sagt Robert Green. „Und da drüben haben wir Mutter dann gefunden.“ Zu Füßen der Ruine, die einmal das Haus auf der anderen Seite der Tennessee-Street gewesen war, hat Joyce Green 120 Tage tot im Gras gelegen, ehe Robert sie nach seiner Rückkehr fand. Die Inspektionstrupps, die Greens Viertel Wochen nach der Katastrophe durchkämmten, hatten Roberts Mutter übersehen. Vielleicht war ihnen die Bergung einer weiteren toten schwarzen Frau aber auch einfach zu aufwendig.

Robert will da nicht weiter spekulieren. „Das Leben geht weiter“, sagt der fünffache Vater. Es klingt nicht einmal verbittert. Seiner Mutter, die den Strapazen der jähen Flucht vor dem heranrückenden Wasser nicht gewachsen war, hat der frühere Taxifahrer im Vorgarten einen kleinen Grabstein gesetzt, auf der auch Shanais Name verewigt ist. Roberts gerade zwei Jahre alte Enkelin hatte das tosende Wasser mit sich gerissen, als er sich auf dem Dach seines Hauses für einen Moment umdrehte, um anderen Familienmitgliedern beim Durchstieg vom überfluteten Speicher nach draußen zu helfen.

1000 Menschen starben im 9. Stadtbezirk

Vom alten Haus blieben nur drei steinerne Stufen stehen, die einst zur Haustür führten. Alles andere riss die Flut mit sich, die Hurrikan „Katrina“ vor fünf Jahren über New Orleans brachte. 1000 Menschen starben allein in Roberts 9. Stadtbezirk im Osten von New Orleans, das als Armenhaus und Schwarzen-Ghetto gilt und doch in der Vor-Katrina-Zeit die höchste Eigenheimdichte der legendären Jazz-Metropole im Süden der USA aufwies.

Fast acht Meter standen die Häuser über Wochen unter Wasser. In Sichtweite, heute mit neuen hohen Flutmauern gesichert, fließt gemächlich der breite Stichkanal, der den riesigen Pontchartrain-See im Rücken der Stadt mit dem Mississippi-River vor der Haustür verbindet. Wie eine Badewanne waren Roberts Bezirk und die Nachbargemeinden Arabi und Chalmette im St. Bernard Landkreis vollgelaufen, als in dem Jahrhundert-Sturm Ende August die Dämme brachen. Nirgendwo in New Orleans, das am Ende zu 80 Prozent unter Wasser stand, war das Ausmaß von Tod und Zerstörung, das „Katrina“ mit sich brachte, größer als hier.

Ein Notstandsgebiet

Noch immer, auch fünf Jahre danach, ähnelt die Gegend einem Notstandsgebiet, während die Innenstadt, der reiche Garden District direkt am Fluss und das Amüsierviertel rund um das French Quarter, das wegen seiner erhöhten Lage keine nassen Füße bekam, schon wieder herausgeputzt sind. Viele Häuser in der Lower Ninth Ward sind weiterhin verlassen und zugenagelt, während in der berühmt-berüchtigten Bourbon Street im Französischen Viertel der Alkohol jede Nacht hektoliterweise die Kehlen vor allem enthemmter US-Touristen herunterrinnt. Nur die einstige Auto-Metropole De-troit hat einen ähnlich hohen Häuser-Leerstand.

In den Gärten wuchert das Unkraut. Die Feuerwehr, das Büro des Sheriffs, die Bücherei, selbst die Klinik sind noch in Containern untergebracht. Vom geplanten Neubau eines Hospitals kündet nur ein Bauschild am Judge Perez Drive. Die Nebenstraßen mit klingenden Namen wie Desire, France und Spain sind marode. Es fehlt an Geld, all die vielen kaputten Wege und Straßen zu reparieren. An vielen der brüchigen Haustüren und leprösen Fassaden sind noch die Markierungen der Inspektionstrupps zu lesen, die sich Wochen nach der Katastrophe als erste wieder in die verwüsteten Zonen wagten. Von einst 17 Schulen in diesem überschaubaren Areal sind heute erst fünf wieder geöffnet.

„Wir stehen noch immer unter Wasser“, sagt Rose Scott, die pensionierte Grundschullehrerin, die in der Lower Ninth Ward ihr Erwachsenenleben verbrachte und sich heute ein Zubrot als Fremdenführerin für „Katrina“-Touristen verdient. Ihre Gruppen bittet sie am Ende ihrer Führungen regelmäßig: „Gebt Geld aus, seid bitte nicht knauserig. Jeder Dollar hilft uns.“

Hilfe aus Hollywood

Green, der alte Taxifahrer, gehörte mit zu den ersten, die mit ihren Familien zurückkamen und sich an der alten Adresse, die einer Wüstenei ähnelte, in engen Wohnwagen provisorisch einrichteten. Und er war selbstverständlich auch dabei, als Hollywood-Star Brad Pitt plötzlich auftauchte. Das Elend, die Misere in der Stadt Louis Armstrongs und Fats Dominos, der bis heute in der Lower Ninth Ward wohnt, ließen Pitt und seine Hollywood-Kumpel nicht unberührt. Frustriert war auch er über den schleppenden Wiederaufbau der legendären Jazz-Stadt. Fünf Millionen Dollar aus eigener Tasche spendete der Star für die Gründung eines Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hat, in der Lower Ninth Ward 150 neue, sturmfeste und ökologisch ausgerichtete Häuser zu bauen. 14 Häuser stehen schon.Robert ist, nach vier Jahren im Wohnwagen, im Juli vergangenen Jahres in sein neues Haus aus der Pitt-Stiftung eingezogen.

Das Leben kehrt, peu a peu, zurück in die Lower Ninth Ward. Zumindest für kleine Wunder ist New Orleans, die alte, oft geliftete und überschminkte Dame am Mississippi-River, noch immer gut.