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„Ziemlich beste Freunde“-Autor fordert mehr Hilfsbereitschaft

„Ziemlich beste Freunde“-Autor wünscht sich mehr Solidarität

Zusammen mit zwei Ko-Autoren fordert der 61-Jährige Philippe Pozzo di Borgo in seinem neuen Buch mehr Aufmerksamkeit für hilfsbedürftige Menschen und ein Gesellschaftsmodell, das nicht auf Leistung und Fitness, sondern auf Solidarität setzt.

Berlin. 

Es ist nasskalt an diesem Morgen. Grippewetter. Philippe Pozzo di Borgo hat sich verspätet. „Tut mir leid“, sagt er und zwinkert in die Runde, „ich bin heute mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ So ist er. Macht kleine Witze auf seine Kosten, löst die angespannte Stimmung, die schnell entsteht beim Anblick eines fast vollständig gelähmten Menschen. „Die Behinderung schüchtert Sie ein?“, fragt ein Kapitel in seinem neuen Buch. Es heißt „Ziemlich verletzlich, ziemlich stark“.

Vor elf Jahren erschien Pozzo di Borgos Buch über seine ungewöhnliche Freundschaft zu Abdel Sellou: Krimineller, arbeitsloser Immigrant aus Algerien trifft querschnittsgelähmten französischen Aristokraten. Die Verfilmung („Ziemlich beste Freunde“) sahen allein in Deutschland über acht Millionen Menschen, die Neuauflage war ein Bestseller. Jetzt ist im Hanser Verlag das zweite Buch von Pozzo di Borgo auf Deutsch erschienen – eine Fortsetzung seiner Mission mit anderen Mitteln. Keine Komödie, ein Appell.

Das Berliner Dezemberwetter setzt ihm zu. Die feuchte Kälte quält seinen vom Hals abwärts gelähmten Körper. Am nächsten Morgen will er zurück nach Marokko fliegen. Dort lebt er seit neun Jahren. Im Winter 2003 hatte sein Freund und Pfleger Abdel Sellou Angst, dass Pozzo di Borgo das Pariser Schmuddelwetter nicht überstehen würde.

Die neue Familie gibt Kraft

Eine glückliche Entscheidung: Pozzo di Borgo hat eine neue Liebe gefunden, wieder geheiratet und sogar zwei Adoptivtöchter, die fünfjährige Wijdane und die 14-jährige Sabah. Die neue Familie und „sein Kaffee am Morgen“ geben ihm Kraft für jeden neuen Tag. Heißt: Leute, auch wenn ich die Tasse nicht selbst halten kann und den Kaffee mit dem Strohhalm trinken muss – ich lebe leidlich gerne.

Zusammen mit zwei Ko-Autoren fordert der 61-Jährige in seinem neuen Buch mehr Aufmerksamkeit für hilfsbedürftige Menschen und ein Gesellschaftsmodell, das nicht auf Leistung und Fitness, sondern auf Solidarität setzt. „Wir sind als Gesellschaft in einer Sackgasse gelandet“, sagt Pozzo di Borgo. Der Glaube an das „Trugbild des ewig jungen und starken schönen Menschen“ – eine Fehlkalkulation.

Er hat das Champagner-Imperium Pommery geleitet

„Ich bin kein Weiser, ich bin nicht religiös.“ Pozzo di Borgo ist Geschäftsmann. Vor seinem Unfall mit dem Gleitschirm hat er das Champagner-Imperium Pommery geleitet. Er weiß, dass er den gigantischen Erfolg von „Ziemlich beste Freunde“ nutzen muss, um mit seinem Anliegen im Gespräch zu bleiben.

„Denn was ist da genau in den Kinos passiert?“, fragt er bei der Buchvorstellung in Berlin. „Die Menschen haben dem Film applaudiert, aber sie applaudieren auch sich selbst.“ Sie machen sich Mut: „Die Gesellschaft verlangt soviel Leistung – und viele haben Angst, dass sie das nicht schaffen. Sie wissen, dass sie verletzlich sind.“ Sie ahnen, welche Folgen das haben kann: „Nicht der Unfall hat mich zu einem Behinderten gemacht“, sagt Pozzo di Borgo, „sondern der Tod meiner Frau drei Jahre später. Es war die Einsamkeit.“

Die Welt steht vor einer Wende

In dieser Zeit stellt Pozzo di Borgo seinen späteren Freund Abdel Sellou als Pfleger ein. Der rotzige Typ, frisch aus dem Gefängnis entlassen, hat keine Ausbildung, keine Empfehlung, keine Manieren. Doch das stört den schwerbehinderten Arbeitgeber nicht. „Abdel war stark, schnell und intelligent. Und er war furchtlos.“ Das war das Wichtigste. „Die Unberührbaren“ – so heißt der Film im Original.

Pozzo di Borgos Lieblingsbuch ist „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Ein Sanatoriumsroman am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Abgesang auf die alte Zeit, Vorahnung einer neuen. „Die Welt steht heute wieder vor einer Wende“, glaubt Pozzo di Borgo. „Die Menschen wollen ein sinnvolles Leben führen, sie wollen sich nicht fortgesetzt drängen und hetzen lassen.“