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Andrang in Dortmund, Leerstand in Mülheim: Städte im Umbruch

Andrang in Dortmund, Leerstand in Mülheim: Städte im Umbruch

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Foto: Funke Foto Services
Dortmund lockt Auswärtige an, Mülheim setzt auf Wohnen in der City: Die Revierstädte reagieren auf den Wandel im Handel mit unterschiedlichen Ideen.

Ruhrgebiet. 

Mit mehr als 5,7 Millionen Einwohnern gehört das Ruhrgebiet zu den größten Ballungsgebieten in Europa. Entsprechend groß ist der Wettbewerbsdruck für den Handel. Als Oberzentren haben sich im Revier nach Einschätzung von Jörg Lehnerdt, Leiter der BBE Handelsberatung in Köln, Dortmund, Essen und Duisburg herauskristallisiert, die auch Kunden aus anderen Städten anziehen. Hinzu kommt die Landeshauptstadt Düsseldorf, die für ein besonders hochwertiges Sortiment steht.

„Auf lange Sicht müssen wir uns mit einem Schrumpfungsprozess der Bevölkerung und damit auch der Kaufkraft auseinandersetzen“, sagt Lehnerdt voraus. Nach Zahlen des Handelsreports Ruhr, den Industrie- und Handelskammern und BBE herausgegeben haben, ist die Einwohnerzahl im Ruhrgebiet von 2012 bis 2014 um 129.000 oder 2,2 Prozent zurückgegangen. Die Kaufkraft lag im vergangenen Jahr bei 97,4 Prozent des Bundesdurchschnitts. Das heißt: Im Schnitt hat jeder Revierbürger 6160 Euro zur Verfügung, bundesweit sind es 6326 Euro.

Fast sieben Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche

Die Verkaufsfläche schrumpf jedoch nicht im gleichen Tempo wie Bevölkerung und Kaufkraft. Im Ruhrgebiet ist sie von 2012 bis 2014 gerade einmal um 32.000 auf 6,81 Millionen m2 zurückgegangen. Nach Lehnerdts Einschätzung stecken dahinter die nach der Insolvenz vom Markt verschwundenen Baummarktflächen von Praktiker und Max Bahr. Supermärkte und Lebensmittel-Discounter legten dagegen um 77.000 Quadratmeter zu. Für das laufende Jahr wird unter dem Strich ein Zuwachs der Verkaufsfläche auf 6,94 Millionen Quadratmeter erwartet.

Mit 658.033 m2 verfügt Dortmund über die größten Verfläche. Darin nicht enthalten sind Läden unter 650 m2. Auf Platz 2 steht Essen mit 622.642 m2. Es folgen Duisburg und Bochum. Die Attraktivitätsprobleme vieler Innenstädte lässt sich damit erklären, dass es für die schrumpfende Bevölkerungszahl zu viel Verkaufsfläche gibt. So hat ein Oberhausener rechnerisch 1,51 m2 Verkaufsfläche zur Verfügung. In Mülheim sind es 1,32 m2. In den boomenden Einkaufsstädten Dortmund (1,15 m2) und Essen (1,10 m2) sind es deutlich weniger.

„Dortmund hat vieles richtig gemacht“ 

Es ist ein schwül-heißer Sommerabend. Das perfekte Wetter für einen schattigen Biergarten. Doch die Dortmunder zieht es in ihre Innenstadt: Unter den Sonnenschirmen der Freiluft-Gaststätten auf dem Alten Markt ist um 17.30 Uhr kaum noch ein Platz zu bekommen. Auch in den Seitenstraßen sind die Lokale gut gefüllt.

„Dortmund hat vieles richtig gemacht“, sagt Thomas Schäfer, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Westfalen-Münsterland. Dabei lobt er ausdrücklich auch die Stadt, die vor geraumer Zeit einen Masterplan für die City aufgestellt hat. „Das schafft Planungssicherheit für die Händler“, meint Schäfer.

Die Zahlen sprechen für sich: Der Westenhellweg, die Haupteinkaufsstraße in Dortmund, gehört zu den meistbesuchten Meilen Deutschlands. Wie aus einer Erhebung des Immobilienberatungsunternehmens Jones Lang LaSalle hervorgeht, passierten am Stichtag 21. März 9400 Fußgänger pro Stunde den Westenhellweg. Damit fiel die Dortmunder City erstmals aus der Top 10 in Deutschland heraus und landete auf Platz 11. Andere Institute sehen die Westfalenmetropole jedoch deutlich weiter vorn. „Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen“, so der Handelsverbandschef.

Gehobenes Warenangebot

Als Oberzentrum zieht die Dortmunder City nicht nur Käufer aus der eigenen Stadt an. „Das Einzugsgebiet ist Westfalen und das Münsterland“, sagt Schäfer.

Die hohe Akzeptanz lässt sich auch daran ablesen, dass in Dortmund kaum ein Ladenlokal leer steht. Das hat sich auch nicht geändert, als 2011 die Thier-Galerie mit 160 Läden und Gastronomiebetrieben im Herzen der Stadt eröffnete. „Die Zahl der Parkplätze in dem Einkaufszentrum wurde bewusst auf 730 begrenzt, damit die übrige Innenstadt nicht leidet“, sagt Schäfer. Das Konzept ist ähnlich wie in Duisburg und Essen aufgegangen, wo neue innerstädtische Shopping-Malls die Citys jeweils beflügelten.

Zum gehobenen Warenangebot der Händler, das auch Nischen für Mode-Edelmarken wie Bogner, Strenesse und Hermès bietet, können sich Kunden am Wochenende auf eine Fülle von Veranstaltungen in der City verlassen. „Das ist neben dem kulturellen Angebot ein wichtiger Faktor“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands. Für Jörg Lehnerdt, Leiter der Handelsberatung BBE in Köln, ist damit der ewige Revierstreit zwischen den Einkaufsstädten Dortmund und Essen entschieden: „Die beiden Städte liegen im Ruhrgebiet ganz klar in Führung. Aber Dortmund hat beim Umsatz leicht die Nase vorn.“

In Mülheim stehen 70 von 350 Ladenlokalen leer 

Ob Kaufhof, Neckermann, Hertie, Sinn oder Cramer & Meermann – die großen Namen des deutschen Handels waren allesamt in der Mülheimer City vertreten und lockten Kunden selbst aus Nachbarstädten an. Das ist lange her. Der Glanz ist Tristesse gewichen. Den wenigen verbliebenen Fachgeschäften steht eine Vielzahl von Billigläden gegenüber. Jedes fünfte Ladenlokal steht leer.

Die Erfolgsrezepte der 60er und 70er Jahre stellen sich heute als Irrtümer dar. Als erste Innenstadt verbannte Mülheim den Verkehr aus der Haupteinkaufsstraße, legte einen unübersichtlichen Straßenring um die City, der dann aber nicht zu Ende vollendet wurde, und baute 1973 an der Stadtgrenze zu Essen das Rhein-Ruhr-Zentrum. „Mülheim ist ein Lehrbuch-Beispiel für die Entwicklung von mittelgroßen Innenstädten“, sagt Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier mit einem Seufzer. Er sieht seine City in der Zange zwischen den drei Oberzentren Düsseldorf, Duisburg und Essen sowie dem Internet. Fachhändler sind in das schmucke Dorf des Stadtteils Saarn abgewandert.

Neue Nutzung für den Kaufhof

Und ein riesiges Fachmarktzentrum an der Autobahn A 40 macht der City das Leben zusätzlich schwer. Eine Entwicklung, an der die Stadt freilich nicht ganz unschuldig ist. Vor Jahren verkaufte sie ihren kommunalen Bauhof an einen Investor, der an den Toren zur Innenstadt ein großes Real SB-Warenhaus samt weiterer Fachmärkte baute. „Obwohl es damals ein positives Verträglichkeitsgutachten gab, war das aus heutiger Sicht sicher ein Fehler“, räumt der Wirtschaftsförderer ein.

Richtig düster wurde es in der Mülheimer City aber erst, als vor fünf Jahren der Kaufhof schloss. Das „Knochen-Prinzip“, das Passanten auf die Schloßstraße zwischen dem Warenhaus und dem Einkaufszentrum Forum am Hauptbahnhof lockte, verlor seine Wirkung. Nicht nur der Kaufhof-Klotz rottet vor sich hin. Viele andere Händler gaben auf. Rund 70 von 350 Ladenlokalen stehen leer.

Doch inzwischen herrscht wieder Zuversicht: Für den Kaufhof sind Investoren gefunden. Nahe dem neu entstehenden Quartier Ruhrbania am Ruhrufer planen die Investoren auf dem Kaufhof-Gelände ein Hotel, Wohnungen, Gastronomie und Büros. „Wir nehmen 20.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche aus dem Markt. Für zurückgehende Bevölkerungszahlen haben wir ohnehin zu viel Verkaufsfläche“, so Schnitzmeier. Stattdessen will Mülheim Wohnen und Aufenthaltsqualität in der City stärken. Jüngst sind die Gastronomieketten Mezzomar und Alex in die City gekommen.