Veröffentlicht inWirtschaft

Wie kleine Winzer in Deutschland ums Überleben kämpfen

Wie kleine Winzer in Deutschland ums Überleben kämpfen

dapd nachrichtenagentur (Abo)-70145093-HighRes--656x240.jpg
Foto: Torsten Silz
48.000 Weinbaubetriebe gibt es in Deutschland. Die kleinen Winzer überleben auf dem Weltmarkt des Weins mit viel Arbeit, Idealismus und klarer Linie.  Jochen Kreutzenberger in der Pfalz ist einer von ihnen.

Kindenheim/Pfalz. 

„Kommen Sie bitte nicht zu früh. Tagsüber bin ich im Weinberg und wir brauchen jede Stunde“, sagt Jochen Kreutzenberger ins Telefon. Also kommen wir am Abend. Dass der Winzer uns nach einem 14-Stunden-Tag so frisch empfängt, schreiben wir der Arbeitsteilung zu. Für die harte Maloche am Rebstock, gibt es bekanntlich Besuch aus Polen.

„Ich habe keine Polen“, sagt Kreutzenberger. Rumänen? „Ich habe keine Rumänen!“ Wir sind vier: meine Eltern, die die 75 überschritten haben, meine Frau, ich.“ Besuch in einem deutschen Familienweingut. Vier Personen, fünf Hektar. 70.000 Flaschen, 100 Prozent Direktverkauf.

Jochen Kreutzenberger zu fragen, wo ein kleiner deutscher Winzer steht angesichts der Riesenflächen von Argentinien, Südafrika, Kalifornien, bringt ihn nicht in Verlegenheit. „Wir sind nicht klein, wir sind mini. Darum spielen die für uns überhaupt keine Rolle.“ Sich mit den gigantischen Produktionsstätten der Weinwelt zu messen, versucht Kreutzenberger erst gar nicht. Seinem Betrieb ist es bekommen.

Der Pfälzer ist traditionsbewusst

Ein gesundes Familienunternehmen, die Kellertechnik ist nagelneu. Zugleich ist der Pfälzer traditionsbewusst. Rotweine werden klassisch auf der Maische vergoren, reifen im Holzfass oder Barrique, Weißweine kontrolliert gekühlt im Edelstahltank – „das ist aromaschützend“. Es herrscht eine nachgerade sterile Sauberkeit. Kreutzenberger ist stolz darauf: „Einer unserer Kunden ist Chirurg. Der meint, hier könne man am offenen Herzen operieren!“

Wie überlebt man im Reich der „Flying Winemakers“ von Südafrika bis Chile, der großen Namen von Bordeaux bis zum Chianti? „Wenn Sie nicht als irgendwas im Supermarktregal stehen, geht unser Beruf nur über drei Dinge: Vertrauen, Idealismus, klare Linie.“ Kreutzenberger tingelt nicht auf Messen, steht lieber an der Kelter, kennt so ziemlich alle seine Kunden und dazu den Anfang aller Flaschen: jeden seiner 25.000 Rebstöcke.

„Ich mach‘ es dann doch lieber selbst“

Dass er selbst auf seinen Lagen am Kindenheimer Burgweg oder Bockenheimer Vogelsang steht, anbindet, zurückschneidet, Trauben in Überzahl entfernt, ist das nicht ein bisschen viel Chefsache? „Sie können Hilfsarbeitern zeigen, wie das geht. Aber der nächste Weinstock ist schon wieder anders. Ich mach’ es dann doch lieber selbst. Kompromisse fallen mir schwer.“

Anders als im ewig sonnigen Kalifornien ist Kreutzenberger wie jeder deutsche Landwirt den Launen der Natur untertan. Im Hageljahr 2010 hieß das: Erntemenge 70 Prozent unter Durchschnitt. Kaum ein Jahr ohne Unbill: Fröste, zu große Hitze, lange Regenstrecken im Herbst – alles Natur, alles Feinde. Selbst wenn man gegen Schäden versichert wäre: „Was nützt das dem Kunden? Der will doch unseren Wein!“

Deutschland stellt keine vier Prozent der weltweiten Weinproduktion

Deutschland ist ein berühmtes Weinland, tatsächlich aber sind seine Berge nur eine klitzekleine Rosine im Rebenmeer des Weltmarktes. 3,63 Prozent der Weltweine stammen aus einem der 13 Anbaugebiete. 48.000 Weinbaubetriebe gibt es, die kleinsten verfügen über Flächen von kaum einem Hektar, die größten bringen es auf 2500 (Badischer Winzerkeller – eine Genossenschaft). Die Jahresproduktion in Deutschland liegt insgesamt bei 9,6 Millionen Hektolitern. Nicht alle Winzer finden sich auf den Etiketten wieder: Große Produzenten kaufen den Betrieben Lesegut ab, um es zentral zu keltern, abzufüllen, zu vermarkten, im Discounter zumeist.

Apropos Supermarkt: Kreutzenberger ist ein Feind der Wegwerfgesellschaft. Pro Weinflasche, die seine Kunden zurückbringen, zahlt er zehn Cent und füllt sie neu. „Wie kann man die ins Altglas tun?“ fragt er, „Isch werf doch aach ned mei Kaffedass an die Wand!“

30-Stunden-Wochende

Kreutzenbergers Einstiegspreis setzt bei 3,15€ für einen Müller-Thurgau ein, die meisten Weine, ob Riesling oder Grauburgunder, liegen bei 5 bis 7€. Nur Raritäten und Spitzengewächse sind teurer. Das Gut fährt gut mit dieser Politik, schon jetzt sind ein paar 11er fast ausverkauft.

Mit einem Winzer über Arbeitszeiten zu reden – Kreutzenberger lacht: „Samstag saß ich morgens um sechs auf dem Traktor, nachts um eins habe ich meine Weinprobe-Gruppe verabschiedet. Sonntag morgens ab acht musste Wein gepackt werden. Die letzten Kunden gingen abends. Für mich war das ein 30-Stunden-Wochenende. Winzer ist kein Beruf, das ist Leidenschaft und Leben zugleich“.

Der 45-Jährige kennt die andere Welt, die der festen Tarife und 35-Stunden-Wochen. Nach der Realschule machte er bei der BASF eine Lehre zum Chemielaboranten, arbeitete in der Weinbauforschung. Selbst als er nur noch auf halber Stelle arbeitete, verdiente er gut, „im Vergleich zum Weinbau“.

Am Ende aber hat der Winzer in ihm gesiegt. Kreutzenberger hat den väterlichen Betrieb neu aufgestellt, ein Weingut erweitert und aufpoliert, das man in diesem Weiler nicht vermutet: reinrassiger Bauhaus-Stil von 1929. Es steht im Dorf wie eine elegante weiße Festung — sie kann sich offenbar behaupten gegen die Weinwelt da draußen.