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Was Tönnies’ Angestellte zu ihren Arbeitsbedingungen sagen

Was Tönnies’ Angestellte zu ihren Arbeitsbedingungen sagen

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Gespräch bei Tönnies Foto: Jakob Studnar
Ist es Sklavenarbeit, wie die NRW-Regierung vermutet? Oder werden die Fleischer aus dem Osten anständig beschäftigt? Einige Zuwanderer sagen, sie seien ganz zufrieden mit ihren Werkverträgen in der westfälischen Fleischindustrie. Sie verdienen deutlich mehr Geld als in ihren Heimatländern möglich wäre.

Rheda. 

Cristian Pighean gehört zu denen, die Grünen-Landtagsfraktionschef Reiner Priggen „moderne Sklaven“ nennt. Der junge Rumäne arbeitet für ein Werkvertragsunternehmen namens Ninbog mit Sitz in der Walachei, zerlegt aber Tag für Tag Rinder und Schweine beim größten deutschen Fleischunternehmen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Seit 2007 geht das schon so. 24 Monate schuften in Ostwestfalen, dann zwei Monate Pause.

So lässt es das Gesetz für Werksvertragler zu. Pighean spricht inzwischen hervorragend Deutsch und ist Vorarbeiter mit über hundert Kräften unter sich. Er habe ein Festgehalt von 1900 Euro monatlich und freies Wohnen in einer Unterkunft, die seine Firma im Umfeld der Tönnies-Werke angemietet hat.

Wäre es nicht fairer, jemanden wie Pighean als Festangestellten bei Tönnies zu führen? Mit vollem arbeitsrechtlichen Schutz und Urlaubsanspruch? Ab 1. Januar 2014, wenn auch Rumänen und Bulgaren alle EU-Freizügigkeitsrechte genießen, ist das kein Problem mehr. Doch Pighean winkt ab: „Dann müsste ich für meine Wohnung selbst bezahlen und könnte nicht so viel sparen.“

Tönnies: „Schlachter sind rar auf dem deutschen Arbeitsmarkt“

Ein anderer rumänischer Fleischzerleger berichtet, dass er etwa 1300 Euro monatlich für 170 bis 190 Stunden herausbekomme. Nicht viel für eine schwere und zuweilen gefährliche körperliche Arbeit. „In Rumänien bekomme ich als guter Metzger gerade einmal 500 Euro monatlich“, sagt er und strafft sich im weißen Schlachter-Kittel. Er arbeitet viel und gibt wenig Geld in Rheda-Wiedenbrück aus. So habe er schon ein Eigenheim zu Hause in Transsilvanien gebaut.

Bei Tönnies kann man das so umstrittene Prinzip der Werkverträge aus der Nähe betrachten. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) hatte zu Wochenbeginn über „frühkapitalistische Zustände“ bei den Großen der Fleischindustrie gewettert und deutliche Anspielungen auf Tönnies gemacht.

Clemens Tönnies, der Firmenchef und Boss des Fußball-Bundesligisten Schalke 04, ließ das nicht auf sich sitzen. Er sagt: „Wir sind auf Werkvertragsunternehmen angewiesen. Sonst würden wir nicht die Mitarbeiter in Menge und Qualifikation finden, die wir brauchen.“ Vor allem Schlachter seien rar auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Moderne Sklaverei?

Zwei Drittel der Belegschaft, die sich am Tönnies-Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück verdingen, sind „Werksvertragler“. 3500 Männer und Frauen. Sie arbeiten für Unternehmen aus Rumänien, Polen oder Griechenland, die bestimmte Dienstleistungsaufträge wie das Zerlegen von Rinderhälften übernehmen und Kolonnen von Arbeitern nach Ostwestfalen schicken. Laut Tönnies sei über eidesstattliche Versicherungen klargestellt, dass beim einzelnen Mitarbeiter Stundenlöhne von mindestens rund acht Euro ankommen müssen.

Wenn man auf den riesigen Parkplatz des Tönnies-Imperiums fährt, sieht man viele Autos mit Kennzeichen aus Rumänien oder Polen. Arbeiter in Jogginganzügen sitzen nach der Schicht rauchend auf dem Bordstein in der Sonne. Viele wohnen in beengten Werksunterkünften und ernähren sich von Billig-Einkäufen aus dem Werksverkauf. Moderne Sklaverei?

Die meisten seien hier, um Geld zu verdienen, sagt Cristian Pighean, quasi auf Montage. Osteuropa hat die Schlachter, Deutschland das Fleisch und die Marktführer-Firmen – so sieht er das. Die von Rumänen in Deutschland produzierten Würste liegen auch in Rumänien im Supermarkt-Regal. Globalisierung – oder Raubtier-Kapitalismus?

Familie kommt oft mit

Rund 30 Prozent der rumänischen Arbeiter brächten die Familie mit nach Rheda-Wiedenbrück, sagt Tönnies-Manager Frank Duffe: Der Mann zerlegt Rinder, die Frau arbeitet in der Verpackung, die Kinder gehen in die lichtdurchflutete Betriebskita. 19 Nationen seien dort schon versammelt. Und Thomas Leuschner, der stellvertretende Vorsitzende des vor vier Jahren gegründeten Betriebsrats, berichtet von multinationalen Fußballturnieren in der „Tönnies-Arena“, die der Firmenchef den Mitarbeitern direkt vors Werkstor bauen ließ.

Es klingt alles eine Spur zu idyllisch. „Ich sage gar nicht, dass bei uns immer alles super ist“, sagt Clemens Tönnies. Das Gewerbe ist hart. Es gibt Arbeitszeitüberschreitungen, Verletzungen, schwarze Schafe. Gegen den Vorwurf der systematischen Schinderei scheint sich die Fleischindustrie nun aber erstmals lautstark wehren zu wollen.