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Offshore-Windparks – Der entfesselte Bau-Boom auf hoher See

Offshore-Windparks – Der entfesselte Bau-Boom auf hoher See

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windkraft-2~5993c9c7-9529-4350-b6fd-3be38ee84077.jpg Foto: imago
Offshore-Windkraft ist das lukrativste Segment der Energiewende – jetzt werden künstliche Inseln geplant. Firmen aus China steigen ein.

Berlin/Hamburg. 

Im Norden muss bestes Wetter herrschen, damit man etwas von der Energierevolution sehen kann, die sich vor der Küste abspielt. Was von den Stränden Sylts winzig am Horizont erscheint, offenbart sich beim Flug über die Nordsee als eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes. In Reih und Glied, aufgeteilt in über ein Dutzend Windparks, sprießen immer neue Offshorewindkraftanlagen aus dem Wasser.

Auch die Ambitionen der Branche wachsen höher und höher. Nun werden sogar künstliche Inseln in der Nordsee geplant und chinesische Konzerne steigen ein in das lukrative Geschäft mit der Windkraft. 2015 war das Jahr, in dem der Offshorewindkraft der Durchbruch gelang, nachdem Probleme mit der Netzanbindung, dem Umweltschutz und den Widrigkeiten der hohen See den Ausbau jahrelang verzögert hatten. Die Menge des eingespeisten Stroms versechsfachte sich im Vergleich zu 2014.

Ein neuer Windpark speist seit Februar Strom ins Netz ein, bei zwei weiteren hat der Bau begonnen. Die Gesamtleistung der Anlagen steigt dieses Jahr laut Schätzungen von rund 3300 auf 4300 Megawatt. Das ist soviel wie drei große Kernkraftwerke. Nach Großbritannien ist Deutschland damit weltweit die Nummer zwei. Die Branche investiert nun massiv, in neue Fabriken und neue Techniken.

Das erste Hochsee-Hotel ist schon verankert

Einige Beispiele zeigen den Boom mit dem Windgeschäft auf hoher See: Siemens konstruierte ein Serviceschiff, mit dem auch weit vor der Küste gelegene Windparks bei rauer See von den Technikern angesteuert werden können. Eine hydraulische Brücke gleicht Wellengang bis 2,50 Meter Höhe aus. Rund 200 Millionen Euro investiert Siemens in eine neue Fabrik in Cuxhaven, die Turbinen mit bis zu sieben Megawatt Leistung und einer Rotorblattlänge von 75 Meter produziert – zehn Meter mehr als die Spannweite eines Jumbos.

Anfang Juni ging 70 Kilometer vor Sylt ein kleines Hochseehotel in Betrieb: Der Energiekonzern Vattenfall hat dort die erste Wohnplattform für Arbeiter auf ihr Fundament gesetzt. Die 2500 Tonnen schwere Plattform beherbergt rund 50 Techniker, die sich so die Anreise per Boot oder Hubschrauber sparen.

Eine Nummer größer und ehrgeiziger plant der Netzbetreiber Tennet, der in der deutschen Nordsee für die Netzanschlüsse zuständig ist und in der Vergangenheit vor allem durch jahrelange Verspätungen und Kapitalknappheit von sich reden machte. Tennet, in niederländischer Hand, will in der Nordsee sogar eine ganze Insel für den Windstrom aufschütten. Die an der seichtesten Stelle gerade mal ein Dutzend Meter tiefe Riesensandbank Doggerbank, mitten in der Nordsee zwischen Großbritannien, Dänemark und Deutschland, wäre geeignet. Möglicher Baubeginn laut Tennet: im Jahr 2030.

Kosten zu drücken ist momentan das Thema der Branche

Etwa 20 Jahre später könnte dort der Strom von Dutzenden, riesigen Windparks in der Umgebung gebündelt und dann mit großen Unterseekabeln an Land geschickt werden. Rund 30 Gigawatt Leistung könnten über die Windkraftinsel transportiert werden. An vielen Sonntagen liegt der Stromverbrauch von ganz Deutschland nicht höher. Die Kosten, so das Kalkül von Tennet, ließen sich mit der Insel noch deutlich weiter nach unten schrauben.

Kosten zu drücken ist momentan ein obsessives Thema der Branche. Man will auf keinen Fall wie die Biomassekraftwerke enden, die im Zuge der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes quasi aussortiert wurden, weil der Strom zu teuer blieb. So kündigte die europäische Offshorewindindustrie kürzlich an, die Kosten für die Erzeugung von Offshorewindstrom bis 2025 auf acht Cent pro Kilowattstunde zu drücken, rund halb so viel wie bei den derzeit in den Betrieb gehenden Parks.

„Damit wir die Kostensenkungen erreichen können, brauchen wir einen stabilen Markt auch nach 2020 mit einem jährlichen Zubau von mindestens 900 Megawatt“, sagt ein Sprecher der Stiftung Offshore-Windenergie. Das wäre etwas mehr als geplant. Bislang war Offshorewindkraft vor allem ein nordeuropäisches Projekt, neben Großbritannien und Deutschland investieren zum Beispiel auch Dänemark, Schweden und die Niederlande in die Technik.

Bei Verbraucherschützern schrillen die Alarmglocken

Die Stiftung Offshore stellt jedoch wachsendes weltweites Interesse fest: „Wir begrüßen immer mehr Delegationen aus dem Ausland, die sich für die Technologie interessieren. Auf längere Sicht bestehen auch über die nordeuropäischen Länder hinaus erhebliche Exportchancen für die deutsche Wirtschaft“, heißt es. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Chinas größter Wasserkraftkonzern China Three Gorges den deutschen Nordseewindpark Meerwind übernimmt. Das teilte der Windparkeigentümer Blackstone mit. Die Vereinbarung sei in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in China unterzeichnet worden.

Trotz des Optimismus der Investoren und der Goldgräberstimmung in der Branche schrillen bei Verbraucherschützern beim Thema Offshore die Alarmglocken. Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) sagte unserer Redaktion, dass Windenergie an Land und Fotovoltaik als günstigste Grünstromquellen ausgebremst würden. „Offshorewindkraft dagegen bleibt von Sonderkürzungen verschont, sowohl bei den Fördersätzen als auch den Ausbauzielen.“ Das sei eine nicht nachvollziehbare Politik, denn Verbraucher müssten den Bauboom auf hoher See über eine höhere Stromrechnung teuer bezahlen. Schon jetzt kommen rund 2,5 Milliarden Euro an Kosten pro Jahr zusammen, mit jedem neuen Windpark werden es mehr.

Die Bundesregierung behandelt Offshore bislang recht gnädig: die Branche kann mit einem stetigen Ausbau in Höhe von gut 700 Megawatt pro Jahr rechnen, bis in die Mitte des kommenden Jahrzehnts. Windkraft an Land muss mit härteren Einschnitten rechnen. Solar- und Bioenergie sind schon vor Jahren zusammengestrichen worden. Für Offshorewindkraft gelte offenbar noch der „Welpenschutz“, kritisiert Müller. „Ich fordere deshalb, dass Ausbauziele und die Förderung teurer Windanlagen auf See gesenkt werden.“ Offshore als Strukturpolitik könne durchaus sinnvoll sein. Sie müsse dann aber aus Steuergeldern finanziert werden und nicht über den Strompreis, meint der Verbraucherschützer.

Wie die Bilanz der Windkraft auf hoher See letztlich ausfällt, hängt davon ab, ob sie ihre Kostenversprechen umsetzen kann. Sonst wären die Windräder dereinst nur unnützer Stahl im Meer.