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Fünf Argumente für eine Lohnerhöhung – und fünf dagegen

Fünf Argumente für eine Lohnerhöhung – und fünf dagegen

Bundesbank-Chef Jens Weidmann fordert dreiprozentige Lohnerhöhungen. Auch die Europäische Zentralbank spricht sich für einen kräftigen Schluck aus der Pulle für Arbeitnehmer aus. Die Top-Banker wollen den Konsum ankurbeln. Je fünf Argumente für und gegen kräftige Aufschläge.

Essen. 

Verkehrte Welt im Debattenland: Die Gewerkschaften werden von Zentralbankern angefeuert, in den kommenden Tarifrunden richtig zuzulangen. Doch statt sich für die Rückendeckung zu bedanken, reagieren die Arbeitnehmervertreter kühl und verbitten sich jede Einmischung. Im Herbst steht in der Metallindustrie die nächste große Lohnrunde an. Arbeitgeberverbände sind sauer und werfen ihren verlustig gegangenen Mäßigungs-Mahnern „gefährliche Ratschläge aus Frankfurt“ vor.

Die Verwunderung auf beiden Tarifseiten ist groß – und das wiederum ist kein Wunder: Schließlich haben Bundesbank-Chefs ihre Profession als Hüter stabiler Preise bisher in puncto Löhne stets so verstanden, auf Zurückhaltung zu drängen. Damit zu hohe Aufschläge nicht die Inflation anheizen. Nun, da bei einer Teuerungsrate von nur noch 0,8 Prozent in Deutschland und 0,5 Prozent im Euroraum der Begriff Inflationsrate kaum mehr gerechtfertigt ist, schwenkt die Bundesbank um: Nach seinem Chefvolkswirt hat auch Präsident Jens Weidmann Lohnsteigerungen von drei Prozent als Richtschnur ausgegeben. Er begrüße es, wenn „die Arbeitsentgelte wieder stärker steigen“, sagte er der FAZ. Er wolle sich aber nicht in Tarifverhandlungen einmischen.

Auch die EZB hatte unlängst höhere Löhne in Deutschland gefordert. Dies mit Blick vor allem auf die Lage in Südeuropa: Dort droht eine Deflation, eine Negativspirale von Preisen, Löhnen und Konjunktur. Auch das eine Prozent Teuerungsrate in Deutschland ist den Zentralbankern zu wenig, ihre Zielmarke liegt bei zwei Prozent. Neben den Arbeitgebern halten auch andere Volkswirte die Aufforderung zum Schluck aus der Pulle für unangebracht. Die wichtigsten Argumente dafür und dagegen im Überblick.

Pro: Die Zeit ist reif

Contra: Nur nicht übertreiben

Die Kaufkraft: Mit höheren Löhnen können die Menschen mehr konsumieren. Wenn sie mehr kaufen, wächst die Wirtschaft schneller, die Unternehmen können mehr investieren und neue Arbeitsplätze schaffen – das Ideal einer Aufwärtsspirale. Dafür war die Lage nie besser, denn aufgrund der kaum vorhandenen Sparzinsen werden die Menschen fast jeden Cent mehr auch wieder ausgeben. Die Kaufkraft: Das Argument, eine möglichst hohe Binnennachfrage sei gut für die gesamte Wirtschaft, war bisher eines der Gewerkschaften und unter Ökonomen mehr als umstritten. Einfach, weil nie das gesamte Lohnplus wieder ausgegeben wird, auch nicht bei noch so niedrigen Zinsen. Somit kosten die Unternehmen höhere Löhne mehr als sie an Umsatz zurückbringen.
Der Spielraum ist da. Die deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit verharrt auf einem Rekordtief, alles spricht dafür, dass die Unternehmen robust genug sind, auch stärkere Lohnzuwächse zu verkraften. Der Spielraum ist da, aber nach Tarifmathematik kleiner: Entscheidend sind die Inflationsrate und der Produktivitätsgewinn, also mehr produzierte Waren von der gleichen Menge an Beschäftigten. Er liegt im Schnitt bei rund einem Prozent, die Inflation ebenfalls, der Spielraum beträgt somit zwei Prozent. Die Bundesbank orientiert sich am mittelfristigen Inflationsziel von zwei Prozent. Selbst nach eigenen Prognosen werden die aber auch im kommenden Jahr nicht erreicht.
Gegen die Deflation: In diesem Argument steckt wohl das Hauptmotiv der Notenbanker, höhere Löhne zu fordern – sie wollen die Inflationsrate wieder ihrer Zielmarke von zwei Prozent annähern. Die EZB lag entgegen vieler Warnungen richtig in ihrer Einschätzung, ihr historisch niedriger Leitzins werde nicht die Inflation anfachen. Nun droht viel Schlimmeres: eine Deflation in Südeuropa. Höhere Löhne in Deutschland ließen zunächst hierzulande die Preise steigen. Weil zudem auch importierte Produkte aus anderen europäischen Ländern vermehrt gekauft würden, könnte das auch dort einen Preisverfall verhindern. Deflation: Wir diskutieren über Löhne in Deutschland, und hier droht keine Deflation. Im Alltag wird die Inflation auch viel höher wahrgenommen, weil Lebensmittel, etwa Obst, Gemüse und Fleisch um drei und mehr Prozent teurer geworden sind. Und: Zieht die Inflation an, werden die Banker wieder Lohnzurückhaltung fordern – gerade dann hätten die Menschen aber mehr Geld am nötigsten.
Fachkräftemangel: Bundesbankchef Weidmann hält höhere Löhne auch deshalb für zwingend, weil manchen Branchen und Regionen gerade in Süddeutschland bereits das Personal ausgeht. Wer trotzdem Fachkräfte locken will, muss mehr bieten als andere, was automatisch zu steigenden Löhnen in diesen Branchen führt. Das gilt etwa für Ingenieursberufe. In anderen Branchen, etwa der Pflege, wird so wenig gezahlt, dass zu wenige junge Menschen diese Berufe lernen wollen. Fachkräftemangel: Natürlich wird der zunehmende Konkurrenzkampf um gutes Personal die Löhne nach oben treiben, dies aber von ganz allein, und nicht, weil Zentralbanker es fordern. Im Moment geht der deutsche Arbeitsmarkt auch nicht durch die Decke, sondern stagniert. Zu hohe Löhne schaden da.
Für Europa: Die EZB argumentiert mit einer Angleichung der Lohnniveaus in den Euroländern an die Stärke ihrer Volkswirtschaften. Ihr sind die Löhne in Südeuropa zu hoch und in Deutschland zu niedrig. Kräftige Zuschläge in der Bundesrepublik würden die Krisenländer wettbewerbsfähiger machen. Für Europa: Vor zehn Jahren war Deutschland noch das Sorgenkind Europas. Die neue Stärke hat viel mit der folgenden Lohnzurückhaltung zu tun. Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber hier vieles richtig gemacht haben, südeuropäische Länder dagegen über ihre Verhältnisse gelebt haben, kann man Deutschland nun doch nicht zum Vorwurf machen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen, um die der anderen zu stärken, wäre falsch.