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Die Energie-Armut grassiert

Viele Verbraucher können Strom und Gas nicht mehr bezahlen

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Foto: WAZ
Schuldner- und Verbraucherberater, Mieterbund und Paritätischer Wohlfahrtsverband warnen vor einer grassierenden Energie-Armut. Laut Schätzung der Verbraucherzentrale NRW haben die Versorger etwa 600.000 Menschen im Jahr 2010 den Strom abgeschaltet, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten. Ohne Energie beginne ein schleichender Abstieg.

Essen. 

Knackig kalt war es in diesem Winter erst an wenigen Tagen. Für die Heizkostenabrechnung 2011 spielte die jüngste Kältewelle keine Rolle mehr. Das milde Wetter im November und Dezember hat die Verbraucher entlastet, weil ihr Energieverbrauch sank. Laut Mieterbund, Verbraucherzentrale, Schuldnerberatung und Wohlfahrtsverbänden ist so ein Problem zumindest in diesem Jahr etwas kleiner worden, das immer drängender werde: Energie-Armut.

Der Deutsche Mieterbund warnte Ende 2011: „Viele Menschen können sich wegen stetig steigender Energiepreise eine warme Wohnung nicht mehr leisten.“ Mieterhaushalte müssten im Schnitt ein Drittel des Nettoeinkommens für Miet- und Heizkosten aufwenden, Niedriglöhner oft sogar 40 Prozent und mehr, so Sprecher Ulrich Ropertz.

Die Verbraucherzentrale (VZ) NRW hat das Thema jetzt erweitert: Laut einer aktuellen Studie haben immer mehr Verbraucher Schwierigkeiten, ihre Stromrechnung zu zahlen. 58 von 110 Versorger hatten auf eine entsprechende VZ-Anfrage geantwortet. Die Ergebnisse seien alarmierend gewesen: 2010 mussten die Versorger drei Millionen Mahnungen verschicken und 340.000 Haushalten mit einer Stromsperre drohen. 62.000 Anschlüsse drehten sie tatsächlich ab. Bundesweit, so schätzt die VZ, sei 600.000 Verbrauchern der „Saft“ abgestellt worden. Energie sei für viele „zu einer unbezahlbaren Ware“ geworden, sagt VZ-Vorstand Klaus Müller.

Energieversorger verschickten drei Millionen Mahnungen in NRW

Der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW nennt Energie-Armut ein „Mega-Thema“. „Versorger müssen immer mehr Forderungen abschreiben“, sagt Martin Debener, Fachreferent für Armut. Seit Einführung von Hartz IV habe sich die Zahl der Stromsperren verdoppelt.

Bis ein Versorger die Stromlieferung kappen darf, und damit auch die Heizung lahmlegt, die ohne Strom nicht startet, müssen Ausstände von über 100 Euro auflaufen. Nach einer Mahnung kommt die Ankündigung – vier Wochen vor Vollzug. Meldet sich der Schuldner nicht, kommt drei Tage vor Ausbau des Zählers die letzte Warnung.

Schuldnerberater raten Betroffenen, Probleme sofort anzugehen. Sind Strom und Gas erst weg, fallen Kosten bis zu 300 Euro an, um wieder angeschlossen zu werden. Schuldnerberaterin Susanne Wolf: „Ohne Energie führen Menschen ein Höhlenleben. Sie leiden an Körper und Seele.“ Sie könnten nicht mehr putzen, kochen, sich waschen. „Die Spirale dreht sich schnell nach unten“, so Wolf.

„Ohne Energie führen Menschen ein Höhlenleben“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ein Musterprojekt angeregt, bei dem Mitarbeiter der Energieversorger zu Schuldnerberatern weitergebildet werden. „Wir haben angeboten, Stiftungsgelder dafür zur Verfügung zu stellen“, sagt Martin Debener. Die Versorger hätten trotzdem abgelehnt. Für den Wohlfahrtsverband unverständlich: „Wenn sie als Folge eines solchen Projekts nur 30 Prozent ihrer abzuschreibenden Forderungen reinholen würden, würde es sich für sie auch finanziell rechnen.“

Wegen des immer gravierender werdenden Problems hat das Verbraucherschutz-Ministerium NRW nun sogar zu einer Tagung eingeladen, die Ende März in Düsseldorf stattfinden soll. „Das Problem der Energie-Armut entwickelt zunehmend eine soziale Dimension“, heißt es in der Einladung. Gemeinsam mit dem NRW-Wirtschaftsministerium und Experten sollen „präventive Handlungsansätze“ diskutiert werden, die die Zahl der Strom- und Gassperren wieder drücken kann.