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Weltuntergang? Westfalia Herne verteilt 10.000 Freikarten

Weltuntergang? Westfalia Herne verteilt 10.000 Freikarten

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Foto: Imago
Westfalia Herne hat immer wieder Ideen, um sich ins Gespräch zu bringen. Diesmal hat der Verein zum Spiel gegen Wattenscheid 09 am Sonntag 10.000 Freikarten verteilt. Damit die Menschheit vor ihrem Untergang noch einmal die Westfalia sehen kann?

Herne. 

Die Erde ist im Spätsommer 1979 nicht untergegangen, die Welt von Westfalia Herne schon.

Wer damals in Herne ins Kino ging, der wollte „Apocalypse Now“ sehen, Francis Ford Coppolas verstörendes Meisterwerk über den Vietnam-Krieg. Bernd Faust hat diesen Film in seinem Leben ungezählte Male angeschaut. Bernd Faust gilt als findiger Kopf, er berät den Vorstand des SC Westfalia, er ist der Mann, den Hernes Vorsitzender Sascha Loch fragt, wenn es darum geht, etwas Verrücktes zu machen. Ein bisschen Aufmerksamkeit für die Westfalia zu erregen, die in der 5. Liga wie so viele Vereine von der Hand in den Mund leben muss.

Faust hatte eine Idee, er dachte an seinen Lieblingsfilm und an den Maya-Kalender, der für den 21. Dezember den Weltuntergang prophezeit. Vorher, an diesem Sonntag, spielt die Westfalia gegen den alten Rivalen Wattenscheid 09. Also hat Faust das Filmplakat von „Apocalypse Now“ abgewandelt, er hat die ganze Geschichte „Apocalypse Blau“ genannt, weil sich das reimt und weil Blau die Herner Farbe ist. Und dann hat er mit dem Verein und dem Herner Einzelhandel 10 000 Freikarten unter das Volk gebracht. Damit die Menschheit vor ihrem Untergang noch einmal die Westfalia sehen kann? Da muss Sascha Loch dann doch lachen: „Damit Herne die Westfalia wieder entdeckt.“

Aus den Augen hat Herne seine Westfalia nämlich 1979 verloren. Als am Schloss Strünkede die Welt unterging.

Goldbachs goldene Zeiten

Damals war Westfalia wer im deutschen Fußball. Man spielte in der 2. Liga Nord, man träumte von der Bundesliga. Die Mannschaft kam zwar nur selten über Zweitliga-Mittelmaß hinaus, aber besetzt war sie tatsächlich wie ein Erstligist. Im Tor stand Hans-Jürgen Bradler, vor ihm spielten die Ex-Schalker Klaus Scheer und Klaus Beverungen. Dazu Lutz Gerresheim, der Junioren-Nationalspieler. Und der Däne Sören Busk. Nationalspieler auch er.

Der Spaß war natürlich teuer, im Grunde viel zu teuer für Herne, aber die Westfalia hatte ja den Mann mit den Millionen. Um Erhard Goldbach ranken sich bis heute, acht Jahre nach seinem Tod, wüste Geschichten. Bei keiner anderen Tankstellenkette konnten die Autofahrer in den Siebzigern so preiswert tanken wie bei Goldin. Goldbach unterbot die Konkurrenz Tag für Tag, und niemand fragte, wie das mit dem Billig-Sprit wirtschaftlich funktionieren konnte. Das ging so bis ‘79, dann brach das System Goldin zusammen. Goldbach tauchte unter, zurück blieben Steuerschulden von über 300 Millionen Mark, einer der größten Wirtschaftsskandale der Republik – und die Westfalia, die ohne Goldbachs Geld abstürzte und seither ihre Triumphe und Tragödien im Amateurlager schreibt.

Im Moment spielt Herne in der Oberliga. Fünfte Klasse, immerhin. Am alten Stadion, das dem Verein gehört, nagt unerbittlich die Zeit. 28 000 Menschen durften mal hinein, heute ist es wegen verschiedener Sicherheitsauflagen knapp ein Viertel. Der Unterhalt frisst nahezu den halben Etat der Westfalia auf, und der liegt, wenn man Loch fragt, ohnehin nur „im ganz niedrigen sechsstelligen Bereich“. Der Saisonstart war rumpelig, Herne ist Tabellenelfter, das Team spielt selten vor mehr als 300 Besuchern. Aber Loch glaubt an die junge Elf. Die meisten Spieler kommen aus der eigenen Jugend, „wir bieten ehrlichen Fußball“, betont Loch.

Um den finanzieren zu können, haben die Herner vor einem Jahr die Namensrechte an ihrem Stadion verlost. Das ging ein bisschen aus wie das Hornberger Schießen, aber es brachte große Aufmerksamkeit. Und nun also die Geschichte mit der „Apokalypse Blau“. Die 10 000 Freikarten für das Spiel gegen den Tabellenzweiten aus Wattenscheid sind inzwischen vergriffen. Niemand rechnet damit, dass so viele Zuschauer kommen, aber drei-, vielleicht viertausend könnten es werden. „Der Amateurfußball“, sagt Loch, „ist ein hartes Geschäft, man muss sich bemerkbar machen. Und wir hier sind eben ein bisschen verrückt.“

Passt schon. Loch ist ja überzeugter Karnevalist, an einem 11. 11. ist er Vorsitzender der Westfalia geworden, am Rosenmontag will er wieder in Düsseldorf auf seinem Wagen stehen. Will er? Wird er. So einer wie er glaubt nicht an den Weltuntergang.