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Erschöpfte Pflegerin kotzt sich bei Jens Spahn aus – so antwortet der Gesundheitsminister

Erschöpfte Pflegerin kotzt sich bei Jens Spahn aus – so antwortet der Gesundheitsminister

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06.10.2018, Schleswig-Holstein, Kiel: Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU). Rund 1000 Delegierte und Gäste wollen bei dem Treffen der Jugendorganisation diskutieren, wie Deutschland auch 2030 stabil und wirtschaftlich erfolgreich bleiben kann. Foto: Carsten Rehder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa

Johanna Uhlig ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer neonatologischen Intensivstation. Am Sonntag, nach einer erschöpfenden Nachtschicht, fühlt sie sich berufen, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Nachricht zu schreiben.

Sie veröffentlicht ihre Kritik am Gesundheitswesen in einem langen Beitrag bei Facebook und bewegt damit Zehntausende. Mehr als 60.000 Mal wurde ihr Beitrag seit Sonntag geteilt (Stand Dienstagabend), fast 8000 Mal kommentiert.

Johanna Uhligs Erzählungen vom anstrengenden, demotivierenden Alltag in Schichten, in denen sie nicht mal Zeit findet, aufs Klo zu gehen, treffen anscheinend einen Nerv. Nutzer danken ihr für ihre Worte auch über Kündigungsängste, können sich in Uhligs Situation hineinversetzen, berichten von ähnlichen Arbeitsrealitäten.

Johanna Uhlig appelliert an Gesundheitsminister Jens Spahn: „Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können. Pflegekräfte sollten keine Angst um ihren Berufsstand haben müssen!“

Das schreibt die Pflegerin Johanna Uhlig an Gesundheitsminister Jens Spahn:

„Sehr geehrter Herr Spahn,

gerade komme ich aus der Nachtschicht. Ich bin erschöpft, verärgert und enttäuscht. Ich möchte Sie keinesfalls persönlich für die Missstände im Gesundheitssystem verantwortlich machen, jedoch komme ich heute nicht zur Ruhe, ohne Ihnen folgendes mitzuteilen. Aber besser von Beginn an: Mein Name ist Johanna Uhlig. Ich arbeite seit vier Jahren als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer neonatologischen Intensivstation. Meine Arbeit verrichte ich in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Unser Patientenklientel sind Früh- und Neugeborene.

Im Zuge meiner Weiterbildung zur pädiatrischen Intensivpflegefachkraft, arbeite ich aktuell auf einer pädiatrischen Intensivstation mit einem Patientenspektrum von null bis achtzehn Jahren. So habe ich auch Einblick in andere Fachgebiete erhalten. In der Kinderkrankenpflege ist der Personalschlüssel im Vergleich zur Kranken- und Altenpflege noch verhältnismäßig ordentlich. Trotzdem spürt man auch hier bereits den Wandel des Pflegefachkräftemangels.

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Erfahrene Kollegen kündigten, weil sie die immer schlechter werdenden Bedingungen und den drohenden Qualitätsverlust nicht mehr persönlich mittragen konnten. Es gab Kündigungen von jungen Kollegen, die sich nach einigen Monaten gar nicht erst vorstellen konnten, diese Arbeit im Dreischichtsystem fortzuführen. Selbst Auszubildende, welche die Ausbildung abgeschlossen haben, orientieren sich sofort um und treten erst gar nicht in den Berufsstand.

Was mich demotiviert ist die Tatsache, dass ich die meiste Zeit überhaupt nicht das praktizieren kann, was ich ursprünglich gelernt habe: patientenorientierte, kompetente und evidenzbasierte Pflege. In einem solchen Beruf gibt es immer wieder Tage, an welchen ein Notfall den anderen jagt und man das Gefühl hat sich vierteilen zu müssen. Das ist normal. Allerdings ist es nicht normal, dass sich aktuell fast JEDER Dienst so gestaltet und man nur noch das Unerlässliche am Patienten verrichten kann.

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Der Pflegenotstand als solches ist relativ. Viele Personen führen die Berufsbezeichnung eines Pflegeberufes. Ihre Examensurkunde haben sie zuhause in einer Schublade liegen. Viele dieser Pflegekräfte haben den Beruf verlassen – aus Gewissensgründen, aus gesundheitlichen Gründen oder sie haben schlichtweg die Notbremse für sich selbst gezogen.

Ziel sollte daher nicht nur eine bessere Bezahlung sein. Menschen erlernen diesen Beruf möglicherweise durch finanzielle Anreize eines guten Verdienstes. Aber aus aktuellem Anlass kann ich Ihnen sagen, dass keiner meiner Kollegen geblieben wäre, selbst wenn man ihnen deutlich mehr Gehalt angeboten hätte. Die Arbeitsbedingungen müssen sich radikal ändern. Mein Partner ist besorgt, wütend und weist mich des Öfteren darauf hin, dass es nicht sein kann, dass ich während meiner gesamten Schicht weder etwas gegessen, noch getrunken habe. Aber was ihn am meisten erschreckt, ist, dass es mir häufig nicht möglich ist zur Toilette zu gehen. Das ist jedoch die Regel.

Pflegekräfte machen bei ihrer persönlichen Fürsorge Abstriche, um die Pflege am Patienten auf einem möglichst guten Niveau zu halten. Nicht nur aus Fürsorgepflicht, sondern auch aus Angst etwas zu vergessen, nicht korrekt zu dokumentieren und am Ende mit einem Fuß im Gefängnis zu stehen.

Wir springen ein, wenn Kollegen ausfallen. Wir verschieben Urlaub, wenn die Schichten sonst nicht besetzt werden können. Wir machen unseren Job gerne! Aber viel mehr können wir Pflegekräfte in Deutschland nicht mehr geben! Das Gesundheitssystem stürzt ein wie ein Kartenhaus.

Die stationäre Versorgung ist in der Kranken- und Altenpflege zuweilen katastrophal. Während meiner Ausbildung habe ich auch Einblicke in die Altenpflege bekommen: Ältere Herrschaften melden sich zum Toilettengang, aber aus akuter Personalnot werden sie gebeten, es doch „einfach laufen zu lassen“, schließlich hätten sie ja eine Einlage.

Patienten äußern Schmerzen, die Pflegekraft jedoch ist im Nachtdienst allein. Sie schafft es durch das hohe Arbeitsaufkommen nicht, zügig ein Schmerzmittel zu verabreichen. Wer kann da noch ohne Angst und mit Vertrauen als Patient in ein Krankenhaus oder Pflegeheim gehen?

Herr Spahn, niemals würde ich Ihnen wünschen krank zu werden. Aber diese Zustände würden Sie wohl gar nicht am eigenen Leib erfahren, da Sie das Privileg einer Privatstation genießen.

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Auch in der ambulanten Versorgung gibt es massive Engpässe. Schwangere Frauen finden kaum noch Hebammen. Auf einen Termin beim Facharzt muss man Wochenlang warten. Einen Kinderarzt muss man sich am besten schon direkt nach der Zeugung suchen. Auch hier tun die niedergelassenen Ärzte ihr Bestes: Öffnen die Praxen immer früher am Morgen, nehmen dringende Patienten trotzdem irgendwie an und bekommen am Ende noch nicht einmal alle erbrachten Leistungen vergütet!?

Meine Mutter arbeitet in der ambulanten Krankenpflege in meinem Heimatdorf. Auch hier kündigen Kollegen und kaum einer bleibt bei der Stange. Die Menschen zu Hause warten auf eine Pflegekraft, die ihnen aus dem Bett hilft, die Tabletten verabreicht und bei Bedarf das Insulin spritzt. Aber was passiert, wenn eines Tages niemand mehr kommt?

Das alles sind alarmierende Signale. Die Dinge laufen aus dem Ruder!

Ab 2020 kommt dann noch die generalistische Pflegeausbildung. Für mich ist das die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Probleme. Natürlich ist die Regierung davon überzeugt, damit eine super Sache auf den Weg gebracht zu haben. Vor allem um die Altenpflege aufzuwerten. Gleichzeitig soll damit aber auch der Pflegenotstand bekämpft werden. Durch einen allgemeinen Abschluss als Pflegefachmann/- fachfrau kann man universell in jedem Fachbereich (Alten-/ Kranken-/ Kinderkrankenpflege) arbeiten. Ich habe drei Jahre eine Ausbildung speziell in der Kinderkrankenpflege gemacht. Niemals wäre ich in der Lage, ältere Menschen derart kompetent zu versorgen, wie ein/e examinierte Altenpfleger/in. Genauso wenig qualifiziert wäre diese Person für die Pflege meiner 500g schweren Patienten.

Jedes Patientenklientel hat besondere Bedürfnisse und spezielle physiologische Gegebenheiten. Diese zu kennen ist unerlässlich! Allein mit einer einjährigen Spezialisierung innerhalb der generalistischen Pflegeausbildung ist dies nicht möglich. Niemals kann das gleiche Wissen vermittelt werden, wie in spezialisierten Ausbildungsberufen. Dies wird zu Kompetenzverlusten, Fehlern und im schlimmsten Fall zum Tod von Patienten führen. Spezialisierung ist unglaublich wichtig! Ich könnte meine Weiterbildung sonst auch einfach sein lassen.

Übrigens zeigen sich Weiterbildungen in der Pflege kaum auf dem Gehaltszettel. Man investiert Zeit und Energie, um für seinen Arbeitgeber ein attraktives Aushängeschild zu sein. Letztendlich wird man auch für diese erworbenen Kompetenzen nicht entlohnt.

Als Pflegekraft verstehe ich nur einen Bruchteil der Finanzierung im Gesundheitswesen. Aber ich weiß, dass einiges in die entgegengesetzte Richtung läuft und Gelder in die falschen Töpfe fließen. Daher bitte ich Sie, Ihren Auftrag als Gesundheitsminister ernst zu nehmen! Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können. Pflegekräfte sollten keine Angst um ihren Berufsstand haben müssen!

  • Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft – sie verdienen menschenwürdige Pflege.
  • Ältere Menschen haben in ihrem Leben viel für unsere Gesellschaft geleistet – sie verdienen menschenwürdige Pflege.
  • Pflegekräfte tragen enorm viel zu einer funktionierenden Gesellschaft bei – sie verdienen menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Freundliche Grüße,

Johanna Uhlig“

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Jens Spahn antwortet im Video auf Post von Johanna Uhlig

Und Jens Spahn hat geantwortet. In einem Facebook-Video wendet sich der Minister direkt an Johanna Uhlig:

Er dankt Johanna Uhlig für ihre ehrlichen Worte. „Wir müssen wahnsinnig viel arbeiten, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, fährt Spahn fort. „Wir starten jetzt mit mehr Stellen in Kliniken, dass jede Stelle in den Kliniken bezahlt wird, dass die Tarifsteigerungen refinanziert werden, mit Pflegepersonaluntergrenzen zum ersten Mal auf vier Stationen, die wir aber auch weiter ausbauen wollen. Also wir machen ein ganzes Bündel von Maßnahmen und ja, ich weiß, das reicht noch nicht. Es ist erst der erste Schritt. Aber es ist eben der erste Schritt, um Vertrauen zurückzugewinnen und um Ihren Arbeitsalltag besser zu machen.“

Natürlich, betont Jens Spahn, ginge das alles nicht von heute auf morgen. Aber er verspricht Johanna Uhlig und ihren Kollegen eines: „Ich werde jeden Tag, jede Stunde dafür arbeiten, es besser zu machen.“