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Blick in menschliche Abgründe

Blick in menschliche Abgründe

Schwalbach. 

Klaus Pfarr sitzt mit seinem Mops Toni im Garten in der Hofheimer Straße in Schwalbach im Taunus und sagt: „Es gibt nur drei Arten von Menschen: die Guten, die Bösen und die Metzger.“ Er selbst war sein Leben lang Metzger. Jetzt steht in der Zeitung, „der Manfred“, wie er hier heißt, sei ein Serienmörder gewesen. Ein Böser? Pfarr kennt ihn schon lange, schließlich wohnte er nur zwei Häuser weiter. „Er hat bei mir sein Bier gekauft, war immer nett, ich bin da skeptisch.“ Manfred habe immer gerufen: „Ei Gude!“ So grüßen Schwalbacher einander. Seine Frau ist entsetzt. Er aber sagt schulterzuckend: „Man kann in Menschen eben nicht reingucken.“

Ähnlich muss es den Mitgliedern der „AG Alaska“ gegangen sein. Seit zwei Jahren untersucht ein Team aus 15 Forensikern, Kriminalisten und Polizisten den Fall von Manfred Seel, dem mutmaßlichen Täter, der vor zwei Jahren gestorben ist. Seine Tochter ließ nach seinem Tod die Garage entrümpeln und stieß in blauen Tonnen auf mehrere Leichenteile. Diese gehörten – so berichtet Holger Thomsen von der „AG Alaska“ – zu Britta Simone Diallo, einer Prostituierten, die schon im Jahr 2003 im Alter von 43 gestorben sein soll. Die Überreste waren entstellt, es fehlten Teile der Leiche. LKA-Mitarbeiter Frank Herrmann sagt: „Das war die Spitze der Auslebung seiner abweichenden sexuellen Präferenzen.“

Videos mit sadistischenFantasien auf dem Computer

Die Garage in Schwalbach liegt in der Nordstraße, einer Sackgasse, schön renovierte Häuser, sogar Fachwerk, saubere Fassaden. Seit Tagen reden alle wieder von dem Vorfall. „Hier wohnen nur liebe Menschen“, sagt die 91-jährige Gisela Dori. „Er soll ja auch immer freundlich gewesen sein.“ Ein anderer Nachbar, der direkt neben der Garage aufwuchs, sagt: „Der Manfred war ruppig, aber freundlich.“

Wenn die „AG Alaska“ richtig liegt, trägt Manfred Seel die Verantwortung für bis zu zehn Morde. Es sind Taten, die zwischen 1971 bis in die 90er-Jahre begangen wurden und bisher ungelöste Fälle waren. „Der Ort, wo die Opfer aufgefunden wurden“, sagt Frank Herrmann, „und die Art, wie sie zugerichtet wurden, zeigen große Übereinstimmungen.“ Den Leichen wurden unterschiedliche Körperteile und Organe vom Täter entnommen und mitgenommen. „Wenn Sie das zusammenrechnen, könnten Sie sich tatsächlich dadurch einen neuen Körper herstellen“, erläutert einer der Ermittler. Den Beamten zufolge gibt es auch Hinweise, dass einem der Opfer Organe bei lebendigem Leib entnommen wurden.

Am Donnerstag zeigt die Polizei erstmals Fotos der Frauen: Dominique Monrose starb 1993, Gisela Singh 1991, Hatice E. 1972, Gudrun Ebel 1971. Sogar der in Hessen noch heute bekannte Fall des 13-jährigen Tristan Brübach aus dem Jahr 1998 wird jetzt Seel zugeordnet. Auch sein Tod passt laut Herrmann „in das Muster des mutmaßlichen Mörders“.

Doch was war das für ein Muster? Weder die Experten noch die Einwohner von Schwalbach können sich einen Reim darauf machen: Ein Familienvater, begabter Musiker, später Alkoholiker, nach seiner Behandlung trocken. Frank Herrmann sieht einen Schlüssel in Seels Computer. „Wir haben darauf 32 000 Fotos und zahlreiche Videos gefunden.“ Darunter seien sadistische Fantasien gewesen, die Manfred Seel wohl später „eins zu eins“ nachinszenierte. „Er hatte einen Raum in seinem Haus“, sagt Herrmann, „dort schloss er sich ein und schaute diese Bilder und Videos an.“ Selbst Kannibalismus als Motiv wird nicht ausgeschlossen.

Seels Tochter lässt das Haus gerade renovieren. „Ich würde das abreißen“, sagt der Nachbar Klaus Pfarr. Schließlich sei es immer mit dem Namen „Alaska“ verbunden. Das war sein Spitzname. „Manfred hatte immer gern Pelze getragen“, sagt Pfarr, „selbst wenn es warm war.“ Andere sagen, es habe mit den eiskalten blauen Augen zu tun.

Die „AG Alaska“ wird mehrere Jahre weiterarbeiten, sagt Sabine Thurau vom LKA. Es gebe noch weitere Fälle, die sich dem Mann zuordnen lassen, darunter zwei ungeklärte Vermisstenfälle 1998 und 1999. Die Opfer arbeiteten in einem Frankfurter Altenheim, wo auch Seel beschäftigt war. Zudem wurden 1996 und 2004 zwei Frauenschädel gefunden. Wirklich geklärt sei bisher nur der Fall Diallo: „Es besteht kein Zweifel daran, dass Manfred Seel diese Frau umgebracht hat“, sagt Thurau. „Juristisch aber wird sich der Fall nicht klären lassen, auch bei einem Toten gilt letztlich die Unschuldsvermutung.“ Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Seel einen Mittäter hatte.

In der Nordstraße, wo die Garage von Manfred Seel stand, arbeitet jetzt Hans-Joachim Scherer im Frühling an den Bäumen. Er macht also die Arbeit, die früher „der Manfred“ gemacht hat. Scherer sagt, manche nennen die Straße nur noch die „Mordstraße“. Aber eine Situation geht dem 76-Jährigen nicht aus dem Kopf: „Vor drei oder vier Jahren haben wir im Sommer einmal draußen gegrillt.“ Es hätten damals Sitzplätze gefehlt. „Die Garage stand häufig offen, und ich weiß noch, wie wir dann ein paar Fässer herausgeholt haben, um darauf zu sitzen.“