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Operation am offenen Herzen: Genfs UN-Palast wird saniert

Operation am offenen Herzen: Genfs UN-Palast wird saniert

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Hauptsitz der Vereinten Nationen im schweizerischen Genf. Foto: dpa
Was wir bereits wissen
Außen hui, innen pfui: Nach dem Hauptquartier in New York steht nun der europäische UN-Sitz vor einer millionenschweren Modernisierung.

Genf. 

Kichernde Japaner, lautstarke Russen. Amerikanische Geschäftsleute, afrikanische Delegierte, Trachtengruppen aus dem Schwarzwald, manchmal gar Eskimos. Ein Selfie muss einfach sein. Kaum jemand, der nach Genf kommt, verzichtet auf ein Erinnerungsfoto vor der Flaggenreihe der 193 UN-Mitgliedstaaten am Eingang des „Palais des Nations“, des europäischen Hauptsitzes der Vereinten Nationen.

Gut 100.000 Genf-Besucher nehmen sich jedes Jahr die knapp zwei Stunden Zeit für eine geführte Tour „durch die Wandelgänge der multilateralen Diplomatie“. Viel Wissenswertes – so die Eigenwerbung der UN – lasse sich erfahren beim „Blick in die Räume, in denen wichtige Verhandlungen geführt werden und bedeutende Treffen stattgefunden haben“.

Rund 100.000 Besucher jährlich

Manche waren erfolgreich, viele aber auch nicht. Es gab gute Beschlüsse nach oft langwierigen Debatten, mit denen die Menschenrechte gestärkt wurden. Und es gab und gibt immer wieder dramatische Misserfolge. Darunter bereits drei vergebliche Anläufe zu Friedensverhandlungen für Syrien.

Wer durch die Gänge und Säle des zwischen 1929 und 1936 für den damaligen Völkerbund errichteten Palastes wandelt, sieht viel glänzenden Marmor und Kunstschätze aus aller Welt. Gemälde, Skulpturen, Vasen, Wandteppiche. Glänzende Messingschilder verkünden, welcher Staat jeweils der edle Spender war.

Geschichtsträchtiges Gemäuer

Besonders beeindruckend und groß: Die vom spanischen Künstler Miquel Barcelò geschaffene Decke aus farbenfrohen Stalaktiten im „Saal der Menschenrechte und der Allianz der Zivilisationen“. Sie sollen das Meer als Ursprung der Arten darstellen.

Aber es gibt auch eine andere Tour durch den Genfer UN-Sitz. Eine, für die man keine Tickets kaufen kann. Man muss dazu eingeladen sein. Sie führt nicht an Glanzlichtern vorbei, sondern zu Schandflecken. Undichte Dächer, nasse Keller. Geborstene Rohrleitungen und Sicherungskästen aus der Nachkriegszeit, Risse in Wänden, bröckelnder Putz.

Störanfällige Infrastruktur

Der zweite Hauptsitz der Vereinten Nationen nach New York ist im Inneren so verrottet wie die Moral autokratischer Staatschefs mancher UN-Mitgliedsländer. Was die Touristen bei den offiziellen Führungen nicht ahnen, ist traurige Realität: Ein Großteil der Anlagen und der Technik im „Palais des Nations“ ist hoffnungslos veraltet.

„Die Infrastruktur der Konferenzräume ist am störanfälligsten“, sagt der deutsche Direktor der Genfer UN-Verwaltungsabteilung Clemens Adams. Analog statt digital. Ersatzteile seien dann nur noch schwer zu besorgen. „Da wird dann schon mal der Lötkolben zum wichtigsten Wartungsinstrument.“

Sanierung dringend nötig

Die Sanierung des mit Anbauten rund 600 Meter langen UN-Palastes ist dringend nötig. Anfang 2017 kann sie nach jahrelangen Debatten und Bemühungen um die erforderlichen Millionensummen endlich beginnen. Sieben Jahre soll sie dauern und nach der Planung 836,5 Millionen Schweizer Franken kosten (rund 780 Millionen Euro).

Eine Alternative zur umfassenden Sanierung und Renovierung gibt es für Adams nicht: „Hinter den Fassaden befinden sich marode Wasserleitungen, verstopfte Abwasserrohre und veraltete Elektrizitätsleitungen, die zum Teil noch einfach nur mit Stroh isoliert sind.“

Nicht nur die Touristen, auch viele der rund 75.000 Delegierten – pro Jahr finden hier rund 12.000 Tagungen statt – bemerken allerdings kaum, wie baufällig der malerisch am Genfersee vor der Alpenkulisse gelegene UN-Komplex tatsächlich ist. „Die meisten verstehen nicht, warum wir diese Renovation dringend brauchen“, sagt die Design- und Bauchefin des Umbauprojekts Véronique Neiss.

„Dirty Tour“ gibt Einblicke in morsche Eingeweide des Palastes

Deshalb gibt es die „dirty tour“. Um das Verständnis für die millionenschweren jahrelangen Bauarbeiten zu erhöhen, zeigt die UN-Verwaltung Diplomaten und Journalisten die morschen Eingeweide des Palastes. Gleich zu Beginn „des schmutzigen Rundgang“ schlägt einem aus einem Kellergewölbe staubige Luft entgegen. Ein große schwarze Umwälzpumpe von anno dunnemal müht sich ächzend, Luft in Konferenzräume zu bringen. „Diese Technik war mal modern“, sagt Adams. „In den 1930-er Jahren.“

Aus Lecks in den Decken tropft es eifrig herab. Wasserleitungen sind nur notdürftig geflickt. „Wenn es irgendwo nass wird, müssen wir meist Wände öffnen, um feststellen zu können, wo genau das Leck ist“, sagt der Ingenieur Andrew Curd. Einmal sei gar das Archiv geflutet worden. Viele Dokumente seien dabei zerstört worden. Obendrein stellen Asbest als Klebemittel und veraltete Elektroinstallationen reale Gefahren dar.

Sanierungsrundumschlag „Strategic Heritage Plan“ alternativlos

Ginge es nach den strengen Schweizer Bauvorschriften, hätte der UN-Komplex womöglich längst geschlossen werden müssen. Doch auf dem UN-Areal gelten keine nationalen Gesetze. Seit seinem Bau ist der Palast nie umfassend renoviert worden. Inzwischen wäre er auch mit noch so vielen kleinen Reparaturen nicht mehr zu retten. Zum Sanierungsrundumschlag mit dem Namen „Strategic Heritage Plan“ gibt es keine Alternative.

„Zudem ist es auch kostengünstiger, richtig zu renovieren, anstatt immer nur ein bisschen“, sagt Adams. Erfahrungen mit der umfassenden Gebäudesanierung bringt der deutsche Experte aus New York mit. Dort war er bereits maßgeblich an der Totalrenovierung des UN-Hauptquartiers am East River beteiligt.

Harte Nerven und Geduld erforderlich

Dass für so ein Großprojekt bei laufendem Konferenzbetrieb harte Nerven und Geduld erforderlich sind, erklären Adams und seine Kollegen immer wieder. Dafür soll das historische „Palais des Nations“ mit seinen mehr als 30 Konferenzräume und fast 2800 Büros erheblich moderner, sicherer, umweltgerechter sowie rollstuhltauglich werden – bei künftig deutlich günstigeren Betriebskosten.

Wie beim New Yorker UN-Hauptquartier, waren auch für das Großprojekt am Genfersee die erforderlichen Millionen nicht einfach aufzutreiben. Etliche Appelle an UN-Mitgliedstaaten verhallten scheinbar ungehört. Schließlich entschloss sich die Schweiz, für rund die Hälfte der Kosten zinslose und langfristige Kredite zu gewähren.

„Ein zeitgemäßer und funktionaler UN-Sitz ist eine wesentliche Voraussetzung zur Stärkung des internationalen Genf als Ort, an dem Lösungen für die globalen Herausforderungen unserer Zeit erarbeitet werden“, erklärte die Schweizer Regierung.

Die Schweiz oder Südkorea?

Ganz uneigennützig ist die Großzügigkeit allerdings nicht. 2012 gab es etwas, was Genfer Diplomaten den „Warnschuss“ für „La Genève Internationale“ nannten: Der neue UN-Klimafonds wurde überraschend nicht am Schweizer Standort des UN-Europasitzes sowie Dutzender anderer internationaler Organisationen angesiedelt, sondern im südkoreanischen Songdo.

Plötzlich sah sich das teure Genf mit dem schärfer werdenden globalen Konkurrenzkampf um Sitze internationaler Organisationen konfrontiert. „Songdo hat beweisen, dass Genfs herausragende Stellung nicht für alle Zeiten gesichert ist“, konstatierte die „Neue Zürcher Zeitung“ und machte eine Rechnung auf: „Über 28.000 Menschen arbeiten direkt für das internationale Genf. Die Organisationen geben pro Jahr in der Schweiz rund 1,6 Milliarden Franken aus und ihre Angestellten weitere 1,5 Milliarden. Der Beitrag an die Wirtschaftsleistung des Kantons Genf beträgt 9,2 Prozent.“

Großzügige Spender mit Eigennutz

Kein Wunder also, dass am Ende auch einige jener Abgeordneten in Bern für die Schweizer UN-Kredite waren, die sie anfangs als unnötig bezeichnet hatten. Absehbar ist, dass die UN für die vollständige Umsetzung ihres Genfer „Heritage Plans“ mehr Geld brauchen werden, als bislang von Mitgliedstaaten zugesagt.

Freiwillige Spenden sind daher willkommen. China ging bereits mit gutem Beispiel voran und versprach, die Kosten für den Umbau eines seit Jahrzehnten nicht mehr nutzbaren Kinosaals in einen „modernen multifunktionalen Konferenzraum“ zu übernehmen. In dem verstaubten Kino im UN-Untergeschoss hat sich der markante Geruch nach Zelluloid und Öl von den Filmvorführmaschinen gehalten. „Hier merkt man, dass Geschichte riecht“, sagt Adams.

Operation am offenen Herzen

Dass auch Bauarbeiten für Gerüche sowie Lärm und Unbequemlichkeiten sorgen, werden Tausende UN-Mitarbeiter ab Anfang 2017 und in den Folgejahren erfahren. Zwar werden etliche Büros in ein noch zu errichtendes Nebengebäude ausgelagert, aber im wesentlichen soll der Betrieb im Palast trotz Sanierung weiterlaufen. Der Kommentar des Verwaltungschefs: „Das wird sein wie eine Operation an einem offenen Herzen.“ (dpa)