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Armes Oberhausen, reiches Monheim – Kämmerer im Zwiegespräch

Armes Oberhausen, reiches Monheim – Kämmerer im Zwiegespräch

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Foto: Ralf Rottmann
Monheim lockt mit seiner Mini-Gewerbesteuer Firmen an – und schnappt Oberhausen die Oxea-Verwaltung weg. Ein Streitgespräch zwischen beiden Kämmerern.

Essen. 

Während fast alle Ruhrgebietsstädte im Schuldensumpf stecken und mit immer höheren Gemeindesteuern Unternehmen abschrecken, lockt die Stadt Monheim am Rhein mit dem niedrigsten Gewerbesteuersatz des Landes sie scharenweise an und macht sich damit im Revier nicht eben beliebt. Oberhausens Kämmerer Apostolos Tsalastras zieh die Monheimer Kollegin Sabine Noll dafür seinerzeit des „Gewerbesteuer-Kannibalismus’“. Stefan Schulte lud beide zum Streitgespräch ein.

Frau Noll, Ihre Stadt ist schuldenfrei und schreibt Überschüsse, derzeit bauen Sie gerade ein flächendeckendes Glasfasernetz. Von alledem können Städte im Ruhrgebiet nur träumen. Wie machen Sie das?

Sabine Noll: Monheim kommt aus einer ähnlichen Lage, in der viele Ruhrgebietsstädte heute sind. Bis 2011 war die Stadt in der Haushaltssicherung und hatte einen harten Strukturwandel hinter sich, nachdem der größte Arbeitgeber Shell seine Raffinerie in den 80er-Jahren geschlossen hatte. 2011 kamen unverhofft Gewerbesteuer-Nachzahlungen für die Vorjahre. Dieser Einmaleffekt hat uns für einen Moment aus dem Korsett der Haushaltssicherung befreit. Und der wurde genutzt, um den Gewerbesteuer-Hebesatz auf 300 Punkte zu senken in der Erwartung, dass durch neue Ansiedlungen die Einnahmen steigen. Und genau das ist gelungen. Als erstes haben wir damit die Schulden bis 2013 abbezahlt, seitdem können wir massiv in die Stadt investieren.

Herr Tsalastras, Oberhausen nimmt etwa den doppelten Hebesatz an Gewerbesteuern und ist wie fast alle Revierstädte hoch verschuldet. Warum?

Apostolos Tsalastras: Wir sind unter massiver Kontrolle der Kommunalaufsicht und müssen die Auflagen des Stärkungspakts erfüllen. Eine Senkung der Gewerbesteuer würde eine Erhöhung an anderer Stelle bedeuten, etwa der Grundsteuer. Das würde uns auch nicht attraktiver machen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Monheim nicht nur diesen einen Moment hatte, sondern ein großes Unternehmen als sichere Bank für hohe Gewerbesteuer-Einnahmen auch für den F all, dass sich nicht gleich viele neue Unternehmen ansiedeln.

Noll: Wir haben seit der ersten Senkung der Gewerbesteuer den Zuzug von rund 350 Unternehmen verzeichnet, waren also nicht abhängig von einem Großunternehmen.

Tsalastras: So oder so können nicht einfach alle dem Beispiel Monheims folgen. Denn dann hätten wir alle wieder den gleichen, dann aber niedrigeren Hebesatz und damit eine Steuerspirale nach unten. Damit wäre niemandem geholfen. Das Modell Monheim funktioniert nur für einige wenige – oder gar nicht.

Noll: Ich finde, man sollte den Blick etwas weiten – über NRW hinaus. Wir leben im Flächenland mit dem höchsten durchschnittlichen Gewerbesteuersatz. Unsere direkten Konkurrenten sind Städte in den Niederlanden und Belgien, aber auch in anderen Bundesländern – dort sind Hebesätze wie bei uns längst Gang und Gäbe. Wenn also ein Unternehmen nach Monheim kommt, entscheidet es sich für NRW.

Tsalastras: Aber sie locken ja nicht massenhaft Unternehmen aus dem Ausland nach Monheim, sondern aus den Nachbar-Regionen, zum Beispiel aus Oberhausen. Das Chemieunternehmen Oxea verlegt seine Verwaltung in Ihre Stadt.

Noll: Die meisten kommen nicht aus der Region. Und Oxea ist nicht nach Monheim gezogen, weil wir den niedrigsten Steuersatz haben, sondern weil Oberhausen den höchsten hat. Die Frage ist doch, wo wäre Oxea denn sonst hingegangen …

Tsalastras: … aber Oxea ist nach Monheim gegangen, nicht nach Düsseldorf oder Neuss oder Belgien. Ich will das gar nicht kritisieren, das ist eine unternehmerische Entscheidung, auch wenn sie mich ärgert. Oxea verlagert ja nur seine Verwaltung nach Monheim, nicht die Produktion. Alles, was an Infrastruktur benötigt wird, was an Verkehrsbelastung stattfindet, müssen wir stemmen. Das tun wir auch gerne, weil wir die Arbeitsplätze von Oxea ja in Oberhausen behalten wollen. Aber wenn dann die Gewerbesteuer mit der Verwaltung nach Monheim wandert, ist das nicht in Ordnung.

Die Revierstädte haben aber auch Fehler gemacht: Cross-Border, Zinswetten oder Franken-Kredite. Oberhausen könnte die städtischen RWE-Aktien verkaufen, um sich Luft zu verschaffen. Und die Städte hätten sich nicht mit dem Kauf der Steag das nächste Risiko ans Bein binden müssen.

Tsalastras: Das ist aber nicht die Ursache für die finanzielle Situation. Außerdem gibt es bei uns in Oberhausen weder Zinswetten und Franken-Kredite. Wir haben nur wenige RWE-Aktien und die halten unsere Verkehrsbetriebe. Die Steag-Beteiligung läuft über die Energieversorgung Oberhausen, die zur Hälfte RWE gehört.

Noll: Studien belegen, dass die größten Risiken eingeht, wer besonders verzweifelt ist. Aber wer am Abgrund steht, darf eben den nächsten Schritt nicht mehr machen. Einig sind wir uns, dass die Kommunen insgesamt unterfinanziert sind. NRW hat in den 80er-Jahren die Zuweisungen an die Kommunen systematisch gekürzt. Dadurch fehlen den Kommunen heute rund zwei Milliarden Euro im Jahr, das entspricht fast exakt der Summe aller Defizite, die pro Jahr auflaufen. Einen Satz kann ich mir trotzdem nicht verkneifen: Es gibt keine Region, in die so viel Fördergeld geflossen ist wie ins Ruhrgebiet. Da fragt man sich schon, wo das alles geblieben ist.

Tsalastras: Na ja, wenn man sich die Gesamtlage im Revier mit sehr hoher Arbeitslosigkeit trotz bester Konjunktur ansieht, muss man sagen, so viel Fördergeld kann man in die Region gar nicht stecken, um die Sozialausgaben auszugleichen. Explodiert sind unsere Defizite nicht in den 80ern, sondern mit Hartz IV ab 2005. Ich zahle in Oberhausen allein für Wohnkosten Bedürftiger 70 Millionen Euro im Jahr, es waren mal 40 Millionen. Wenn sich an dieser Situation nicht grundlegend etwas ändert, werden wir auf Förderprogramme angewiesen bleiben.

Das Land schafft einen Ausgleich über den Kommunalsoli. Monheim will dagegen bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen, Frau Noll. Ist das nicht unsolidarisch?

Noll: Man darf nicht nur Monheim sehen, 78 Kommunen müssen zahlen. Einige müssen dafür Kredite aufnehmen, andere rutschen durch den Soli selbst in die Haushaltssicherung. Wir sind davon überzeugt, dass das nicht verfassungskonform ist. Wir geben ohnehin 80 Prozent unserer Gewerbesteuer-Einnahmen ins Umlagesystem, mit dem Soli sind es 90 Prozent. Irgendwo ist eine Grenze erreicht, schließlich ist es das Geld unserer Steuerzahler, die von uns erwarten, dass wir es für sie investieren. Monheim hat etwa kein Freibad, zahlt aber Geld an Städte, damit diese Freibäder unterhalten können. Wir sagen, das Land muss die Kommunen finanziell ausstatten, nicht wir.

Tsalastras: Wenn ich das richtig sehe, fließt der größte Teil in den Kreis Mettmann und nicht in den Soli. Mir wäre es auch lieber, das Land würde die Zuweisungen allein tragen. Wenn es aber die Kommunen mit für die Finanzierung des Stärkungspaktes heranzieht, dann müssen auch die reichen Städte ins Boot.

Noll: Monheim zahlt 33 von 91 Millionen Euro, die von den Kommunen für den Soli aufgebracht werden. Eine Stadt mit 43 000 Einwohnern kann nicht die Finanzen von NRW retten. Hinzu kommen Fehlanreize: Wenn ich als Nehmer-Kommune nur noch auf die Hilfe aus anderen Städten hoffe, vernachlässige ich die eigenen Sparanstrengungen. Die einen machen Verluste, die anderen zahlen die Zeche – das ist doch nicht richtig.

Tsalastras: Das ist aber in einem Solidarsystem so. Und da tun Sie den Kommunen im Stärkungspakt sehr unrecht. Was die ihren Bürgern zumuten müssen, an hohen Steuern und eingesparten Dienstleistungen, ist nun wirklich nicht schön.

Noll: Das stimmt. Ich meinte etwas anderes: Wenn Städte, zugegeben nicht Ihre, aber andere im Ruhrgebiet, Geld etwa mit Zinswetten verbrennen, hört das Verständnis ei­ner Geberkommune auf.