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Die perfide (Abmahn-)Welle

Die perfide (Abmahn-)Welle

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Gelsenkirchen. 

Immobilienmaklerin ist die FDP-Ratsfrau May-Britt Liesmann (41). In dieser Eigenschaft hat sie über eine Anwaltskanzlei Briefe an Kollegen schicken lassen. Der Inhalt hat es in sich: Es sind Abmahnungen, in denen wegen kleiner formaler Verstöße jeweils „Gesamtgebühren“ von 506 Euro in Rechnung gestellt werden.

Falls der angeschriebene Makler die beigefügte Unterlassungserklärung nicht unterzeichne und der Zahlungsaufforderung nicht nachkomme, so die Androhung der Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen (U + C), umfasse das von Liesmann erteilte Mandat „auch die Erhebung einer Unterlassungsklage“ sowie die Beantragung einer einstweiligen Verfügung. Und durch welches Vergehen fühlt sich Liesmann in ihrem Recht beeinträchtigt? „Eine Überprüfung Ihrer Homepage ergab, dass Ihr Impressum der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 4 TMG nicht genügt“, so U + C in den Abmahnungen. Frei übersetzt: Die Makler hätten sich des Vergehens schuldig gemacht, im Impressum ihrer Internet-Seite nicht die gesetzlich geforderte Handelsregisternummer angegeben zu haben.

Noch unglaublicher erscheint diese Aktion, wenn man sich anschaut, wo die von Liesmann abgemahnten Makler ihren Sitz haben: Dresden, Nürnberg, Stuttgart, Breisach … . Ein „konkretes Wettbewerbsverhältnis“ zur Gelsenkirchenerin Liesmann, wie es von der Kanzlei U + C in ihren fast identisch formulierten Abmahnung behauptet wird, ist nicht zu erkennen.

Das sieht auch Rudolf Koch (im Bild) so. In seiner Eigenschaft als Vizepräsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) vertritt der Heßleraner einige von Liesmann angeschriebene Makler. Derartige Abmahnwellen sind für den 60-Jährigen nichts Neues. 16 000 Fälle hat er bereits ausgewertet – vor allem im Auftrag des IVD.

Rudolf Koch ist zuversichtlich, dass die von ihm vertretenen Makler im Falle eines Rechtsstreits gute Karten haben. „Die Rechtsprechung tendiert dahin, bei einer großen Zahl von Abmahnungen zunächst mal zu prüfen, ob ein Missbrauch vorliegt“, so Koch. „Missbrauch“ heißt: Die Auftraggeber und ihre Anwaltskanzleien nutzen die Bestimmungen des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in Verbindung mit dem Telemediengesetz) aus. „Aus der Kombination ,kleine Maklerin aus Gelsenkirchen’ und ,bundesweite Abmahntätigkeit’ kann ein Gericht schließen, dass hier ein bestimmtes Motiv vorliegt. Nämlich: abzukassieren“, sagt Koch.

Wie viele Makler von Liesmann bzw. der in Sachen Abmahnungen bisher vor allem im Porno-Bereich (Downloads im Internet) in Erscheinung getretenen Kanzlei angeschrieben worden sind und wie viele möglicherweise bereits gezahlt haben, weiß er nicht. Von insgesamt acht Abmahnungen habe er Kenntnis. Die Aktenzeichen ließen darauf schließen, dass U + C im Auftrag Liesmanns mindestens 35 Makler auf die „Wettbewerbsverstöße“ hingewiesen und diese in Rechnung gestellt hat. „Es gibt Kanzleien, die kommen pro Jahr auf rund 50 000 Aktenzeichen für Abmahnungen“, weiß Koch.

Im Fall Liesmann hat die Kanzlei wohl als Reaktion auf Kochs Recherchen einen weiteren Brief geschrieben – mit überraschendem Inhalt: U + C teilt nämlich mit, dass ihre Mandantin May-Britt Liesmann sich mit der Rücknahme der Abmahnungen einverstanden erkläre. Im Gegenzug müsse Koch aber für sich und die fünf von ihm vertretenen Makler eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. In dieser müsse er gegenüber Liesmann versichern, „unbedingtes Stillschweigen“ zu halten und keine „öffentlichkeitswirksamen Erklärungen“ in dieser Angelegenheit abzugeben. Falls er dagegen verstoße, verpflichte er sich, eine durch ein Gericht festzulegende Vertragsstrafe zu zahlen.

Kochs Antwort auf diesen Kuhhandel: Öffentlichkeitswirksame Erklärungen! „Ich denke nicht daran, das zu unterschreiben“, sagt er.

Auf WAZ-Anfrage erklärt U + C-Anwalt Sebastian Stemmler, dass dieser angebotene Deal kein Eingeständnis dafür sei, dass es für die Abmahnungen rechtlich keine oder nur eine schwache Grundlage gebe. Sondern? „Frau Liesmann hat das Angebot wohl gemacht, weil sie FDP-Stadtverordnete ist.“ Mehr wolle er zu der Sache nicht sagen.

Und was sagt Liesmann? Die Bueranerin antwortete am Freitag per E-Mail auf eine WAZ-Anfrage und erklärte, dass es sich um „eine geschäftliche Angelegenheit“ handele. Weil der Vorgang noch nicht abgeschlossen sei, wolle sie sich aktuell nicht äußern.

Auch Immobilienexperten sollten im Glashaus nicht mit Steinen werfen: IVD-Vize Rudolf Koch in Internet-Auftritten der Immobilienmaklerin May-Britt Liesmann eine ganz Reihe von Fehlern, die aus seiner Sicht abmahnwürdig wären.

Das fange damit an, dass Liesmann mehrere Firmensitze angebe. Nämlich: ihre Privatadresse in Buer, zusätzlich Ludwig-Erhard-Straße 5 im Büropark Schloß Berge sowie in anderen Zusammenhängen auch noch eine Recklinghäuser Adresse. (An der Ludwig-Erhard-Straße 5 finde sich übrigens zurzeit kein Hinweis auf ein Büro von Liesmann-Immobilien – weder ein Klingel- noch ein Firmenschild.)

Weitere Internet-Angaben Liesmanns, die aus Sicht von Koch zu Abmahnungen führen könnten: eine falsche Firmenbezeichnung, eine falsche Umsatzsteueridentifikationsnummer, fehlerhafte Angaben über die Provision, unkorrekte Ausweisung eines Neubaus und und und.

Rudolf Koch hat nun die Kanzlei U + C bzw. deren Mandantin Liesmann in einem Brief aufgefordert, auf alle bisher in Abmahnungen geltend gemachten Ansprüche zu verzichten. Im Gegenzug würde er auch auf alle Ansprüche bezüglich Liesmanns zahlreichen formalen Fehlern in ihren Internetauftritten verzichten, so der IVD-Vize.

Am Freitagnachmittag erhielt Rudolf Koch die Antwort per Fax: Die Kanzlei U + C hat im Namen ihrer Mandantin alle Abmahnungen unter der Voraussetzung zurückgezogen, dass auch keine Ansprüche gegen Liesmann gestellt werden. Eine Stellungnahme gab May-Britt Liesmann auch nun nicht ab – obwohl der „Vorgang“ ja abgeschlossen war.

Zur Person: Als Jura-Student wurde Rudolf Koch 1973 erstmals mit dem Abmahn-Phänomen konfrontiert. Und zwar durch seinen Vater, der Vorstandsmitglied im Verband Deutscher Makler war. „Mein Jagdinstinkt war erwacht“, sagt er. Seit Mitte der 80er Jahre kämpft er mit zahlreichen Mitstreitern – u.a. auch mit dem Verein „Forschungsstelle Abmahnwelle“ – für die Opfer von findigen Anwälten. Zum Beispiel: im Friseurhandwerk (die WAZ berichtete: „Kerstin’s Schnittpunkt“ in Rotthausen). Recherche sei sein Spezialgebiet, so Koch. Dass er sich so stark einbringt (1900 Fälle allein in 2008), führt er auch auf sein „Helfer-Syndrom“ zurück. Und: „Jeder Fall birgt Neues. Das ist einfach spannend.“