Veröffentlicht inPolitik

Gute Vorsätze und tiefer Frust

Gute Vorsätze und tiefer Frust

Bottrop. 

Der Wahlslogan auf dem Piraten-Plakat könnte ein Fingerzeig in eigener Sache sein. „Für dieses System ist ein Update verfügbar“, ist da zu lesen. Auch die Landespartei in NRW setzt auf einen neuen Vorstand, um aus ihrer seit Monaten anhaltenden Flaute herauszukommen. Hier und heute in Bottrop, wo der 40-jährige Patrick Schiffer mit hauchdünnem Vorsprung zum neuen Vorsitzenden gewählt wird, soll der Anfang gemacht werden.133 Ja-Stimmen erhält der Screendesigner – zwei mehr als Ex-Landeschef Michele Marsching, der erneut eine empfindliche Niederlage einstecken muss.

Schiffer, erst vor gut einem Jahr zu den Piraten gestoßen, ist der Öffentlichkeit bis zu diesem Parteitag völlig unbekannt. In seiner Rede präsentiert er sich vor der Partei, die zuletzt durch Affären und interne Streitereien immer wieder zurückgeworfen wurde, als Vermittler und wirbt um mehr Teamgeist. Mit einer „schnellen Eingreiftruppe“ will er zur Stelle sein, wenn es mal wieder irgendwo kriselt. „Ich will mit Euch den Wahlkampf rocken und ein richtig geiles Ergebnis in NRW ein fahren“, ruft der Düsseldorfer.

Durch politische Initiativen ist der Netzaktivist, der sich für „eher links“ hält, bisher kaum aufgefallen. Als Landtagsfraktionschef Joachim Paul wissen will, wo er die Piraten „zwischen Staatsdirigismus und Marktradikalismus“ verorte, muss Schiffer passen. Aber es fehlt ihm nicht an guten Vorsätzen. „Ich werde diesen Weg weitergehen und mich zu einem politischen Menschen entwickeln“, verspricht er nach seiner Wahl.

Die Vorbehalte gegen die erneute Kandidatur Marschings, dem auch außerhalb der Piraten durchaus der Ruf des Polit-Profis vorauseilt, werden beim „Kandidatengrillen“ deutlich. Viele Fragesteller verhehlen nicht, dass sie den 34-jährigen Landtagsabgeordneten aus Weeze nicht gleichzeitig an der Parteispitze sehen wollen. Nur mit der Trennung von Amt und Mandat ließen sich Interessenkonflikte vermeiden, heißt es immer wieder. Auch seine Forderung nach einer „Professionalisierung“ der Vorstandsarbeit, unter der Marsching auch eine Bezahlung der Mitglieder versteht, hilft ihm nicht weiter. Auch Marschings ausgeprägtes Selbstbewusstsein und wiederholte Hinweise auf seine guten Kontakte zu Journalisten kommen nicht überall beim Piratenvolk gut an. Am Ende unterliegt er knapp.

Trostloses Bild

Der Parteitag bietet anfangs ein trostloses Bild. Eine Stunde nach Beginn verlieren sich gerade einmal 100 Piraten in der Halle. Später, als gewählt wird, sind es 250 – vor einem Jahr in Dortmund waren es noch 500. Der Stimmungsverfall ist deutlich spürbar, aus vielen Wortbeiträgen spricht tiefer Frust. „Ihr müsst euch gegenseitig ermutigen, wenn der Bundes- oder Landesvorstand Scheiße machen“, sagt die scheidende Parteivize Christina Herlitschka.

Gleich mehrere Mitglieder des alten Vorstands um Parteichef Sven Sladek treten nicht mehr zur Wiederwahl an. Sladeks Bilanz dauert nicht einmal zwei Minuten. Die Affäre um das vom Vorstand unter Verschluss gehaltene Rechtsgutachten zur Bundestags-Kandidatenliste spricht er ebenso wenig an wie Antisemitismus-Vorwürfe im Kreisverband Köln. Sein Stellvertreter Ralf Gloerfeld, der ebenfalls nicht mehr kandidiert , sagt: „Ich muss mir jetzt Gedanken machen, ob das noch da ist, was mich bewogen hat, in die Piratenpartei einzutreten.“

Nach den Wirren um die Parteifinanzen vor einem Jahr, als die damalige Schatzmeisterin Nadine Krämer den Piraten keine Unterlagen präsentieren konnte, hat ihre Nachfolgerin Stephanie Nöther die Kasse weitgehend geordnet. Der Parteitag spricht Krämer nachträglich eine Teilentlastung aus, allerdings müssen noch Belege für das erste Halbjahr 2012 nachgereicht werden. Laut Nöther stehen die Piraten in NRW mit einem Kassenstand von 500 000 Euro finanziell gesund da.

Patrick Schiffer, der neue Chefpirat, kandidiert auch für den Bundestag. Sollte er gewählt werden, will er den Parteivorsitz sofort räumen. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass er in die Verlegenheit kommt. Eine aktuelle Umfragen sieht die Piraten in NRW bei drei Prozent.