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Essener Evag leidet unter zu vielen Krankmeldungen

Essener Evag leidet unter zu vielen Krankmeldungen

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Symbolfoto EVAG Foto: Andreas Bartel / FUNKE Foto Services
Evag-Mitarbeiter melden sich zu häufig krank. Die Verkehrsgesellschaft droht mit Sanktionen gegen alle, die durch ständige Krankmeldungen auffallen.

Essen. 

In der aktuellen Finanzkrise der Stadt Essen gerät die Tochter Evag immer stärker unter Druck, einen drastischen Sparkurs zu steuern. In der Zentrale der Essener Verkehrsgesellschaft versucht man gerade, an einem Hebel anzusetzen, der am Ende Millionen in die Kassen spülen könnte – ohne dass die Kunden und auch die Mitarbeiter auf irgendetwas verzichten müssten. Evag-Personalchef Wolfgang Hausmann möchte die Krankenquote zumindest so weit reduzieren, dass sie dem Bundesdurchschnitt der deutschen Verkehrsunternehmen entspricht. Das wären glatt vier Prozentpunkte weniger. Oder anders ausgedrückt: rund drei Millionen Euro Ersparnis pro Jahr.

Doch derzeit schneidet die Evag trotz einiger Etappenerfolge immer noch schlecht ab. Fast zehn Millionen Euro Verluste jährlich werden allein durch die Krankmeldungen verursacht. Im Jahre 2013 lag die Krankenquote der 1905 in Essen beschäftigten Via- und Evag-Mitarbeiter bei 12,73 Prozent. Die im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aufgeführten Betriebe kamen insgesamt auf „nur“ 8,76 Prozent – das sind fast vier Prozent weniger als in Essen.

Keine Fahrer-Reserve bei Krankheitsfällen

Zwar konnten die Zahlen im Vorjahr hier auf 11,25 Prozent reduziert werden, wesentlich höher lagen sie aber bei den 860 Evag-Fahrern: 12,79 Prozent. Im Jahr 2012 waren es sogar 16,29 Prozent!

„Da müssen wir nicht drumrum reden. Unsere Fehlzeiten sind zu hoch.“ Nicht nur das: „Sie sind existenzgefährdend.“ Das sagt Wolfgang Hausmann, Leiter für Personal und Soziales bei der Evag. Allein im Vorjahr mussten Rückstellungen von 2,6 Millionen Euro auf das Arbeitszeitkonto für das Personal gebildet werden. Das sind Gelder, die für nicht ausgeglichene Überstunden gezahlt werden. „Und wir haben enorm viele Überstunden“, so Hausmann. Weil es für Krankheitsfälle keine Fahrer-Reserve mehr gibt. Die wurde schon vor Jahren abgeschafft. Mit den Folgen, dass etliche Fahrer für andere einspringen und länger arbeiten müssen – und etwa bei Grippewellen zum Ärger der Kunden sogar die ein oder andere Verbindung ausfallen muss.

Evag-Mitarbeiter werden immer älter

Angesichts leerer Kassen ist die Chance geradezu Null, wieder einen Reserve-Pool zu bilden. „Wir sind verpflichtet, uns personell schlank zu halten“, sagt Evag-Sprecher Nils Hoffmann.

Die Evag muss gegensteuern. Das versucht sie seit längerem. Seit 2011 ist die Krankenquote um zwei Prozentpunkte gesunken. „Aber das reicht nicht. Das ist immer noch inakzeptabel“, sagt Hausmann: „Wir müssen unter den Bundesdurchschnitt kommen. Gelingt es uns, den Krankenstand zu reduzieren – dann sind das große Geldsummen, die eingespart werden und niemandem weh tun.“

Einer der Hauptgründe für die häufigen Krankheitsausfälle bei der Essener Verkehrsgesellschaft sind die immer älter werdenden Mitarbeiter. Nur 28 Prozent sind jünger als 40 Jahre. Den größten Anteil machen mit 38 Prozent die 50- bis 65-Jährigen aus, dicht gefolgt von den 40- bis 50 Jährigen (34 Prozent). „Mit zunehmendem Alter steigen die Fehlzeiten stark an. Und wir haben einen riesigen Altersbuckel“, gibt Personalleiter Hausmann zu bedenken. „Hier müssen wir ansetzen.“

Die Evag wollte mit Sport-, Entspannungs- und Stressbewältigungskursen für mehr Fitness beim Personal sorgen. Die aber sind jetzt gestrichen. „Wir haben kein Geld dafür. Obwohl wir wissen, dass uns die Fehlzeiten um die Ohren fliegen“, bedauert Hausmann.

Prävention soll den Krankenstand verringen

Auf die Prävention will er aber nicht verzichten. Möglichkeiten bietet der Tarifvertrag Demografie, wonach ein Prozent der Bruttolohnsumme für Projekte für ältere Mitarbeiter ausgegeben werden sollen. Beim Essener Verkehrsbetrieb wären das rund 650.000 Euro im Jahr. Die sollen vor allem dafür verwendet werden, Fahrer möglichst zu entlasten. So sollen vor allem Jüngere Linien übernehmen, die besonders lang oder wegen hoher Verkehrsdichte besonders starke Nerven erfordern. Auch könnten Dienstpläne so geändert werden, dass ältere Fahrer zwischen zwei Fahrten mehr Zeit haben und nicht mehr bis spät in die Nacht fahren müssen.

Das Konzept ist noch in Arbeit und wird gerade Punkt für Punkt mit dem Betriebsrat besprochen. „Vielleicht haben wir bis zum Sommer eine Einigung“, hofft Hausmann. Die soll dann gleich auch für drei Jahre gelten. „Dann wissen wir, ob sich das nachhaltig positiv ausgewirkt hat.“

Die Fahrer sollen aus der Anonymität geholt werden

Der Personalchef setzt noch auf eine andere Strategie. „Wir müssen die Fahrer aus der Anonymität der Krankheit herausholen.“ Auch um ihre Motivation wieder zu stärken. Um ihnen deutlich zu machen, dass sie wichtig sind, dass sie gebraucht werden. „Damit nicht der Eindruck entsteht, dass es nicht auffällt, wenn man krank ist“, so Hausmann. Denn viele Fahrer, die wieder ihren Dienst antreten, sehen ihren Chef gar nicht. Sie sind gleich wieder einer Linie zugeteilt. Mancher kommt sich da wie eine Nummer vor.

Das soll anders werden, „Da sind wir seit Anfang des Jahres dran“, berichtet Mario Wunsch, zuständig für das betriebliche Gesundheitsmanagement. Jeder Fahrer, der wieder gesund ist, „soll persönlich vom Fahrmeister begrüßt werden, bevor er wieder auf den Bock steigt“, so Hausmann. Einfach auch, um seinen Kollegen zu sagen: „Schön, dass Du wieder da bist.“

„Das wäre der letzte Warnschuss“

Diese Rückkehrer-Gespräche sollen obligatorisch eingeführt werden, ebenso jährliche Fürsorge-Gespräche mit dem Vorgesetzten, bei dem auf die persönliche Situation des Einzelnen und seine Wünsche eingegangen werden soll.

Loben und fördern – das soll die eine Seite sein. Die andere: der mahnende Zeigefinger. Für Mitarbeiter, die wegen ihres hohen Krankenstandes besonders auffallen und sich keine Verhaltensänderung abzeichnet, soll es sogenannte „Fehlzeiten-Gespräche“ geben. Hausmann: „Das wäre der letzte Warnschuss.“ Auch hier geht es um eine gemeinsame Lösungssuche. Dem Betroffenen soll aber auch klar gemacht werden, was ihm andernfalls droht: die krankheitsbedingte Kündigung.