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Unruhe im Schutzraum

Unruhe im Schutzraum

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Foto: WAZ FotoPool
Drei Förderschulen sollen abgewickelt werden. Was fällt da weg? Zu Besuch an der Friedrich-Fröbel-Schule.

Essen. 

Es hat ein bisschen was von Familie, wie die Schüler da an dem großen Holztisch sitzen und Dustin zur Kelle greift, um den anderen aufzutun. Das Essen haben die Acht- und Neuntklässler im Hauswirtschaftsunterricht gemacht, haben Obst geschnippelt und Quark gerührt. Es ist eine kleine Gruppe, die sich an diesem Morgen im Untergeschoss der Friedrich-Fröbel-Schule tummelt, etwa zehn Jungen und Mädchen hat der Lehrer um sich. Konrektor Volker Schwarzkopf beobachtet die Szene. „Diese Schule ist ein Schutzraum, den man so nicht aufrecht erhalten können wird. Das ist für viele Kinder gut, aber nicht für alle.“

Hohe Betreuungsquote

Damit ist das Dilemma benannt, das derzeit Schulverantwortliche allerorten umtreibt. Hintergrund ist das erklärte Ziel der Inklusion. Auch Kinder, die beim Lernen besondere Unterstützung brauchen, sollen an den Regelschulen unterrichtet werden. Der Prozess hat bereits begonnen, die Schülerzahlen an den Förderschulen sinken. Die Stadt reagiert nun mit dem Vorschlag, drei von ihnen abzuwickeln, darunter die Friedrich-Fröbel-Schule. Was passiert an diesen Förderschulen eigentlich, wie sieht der Alltag aus? Und warum protestieren die Verantwortlichen dort gegen die Pläne, obwohl sie doch Anhänger der Inklusionsidee sind?

Die Friedrich-Fröbel-Schule an der Buderusstraße vis-a-vis der Krayarena verfolgt wie die meisten Essener Förderschulen den Schwerpunkt „Lernen, emotionale und soziale Entwicklung“. Anders als an den vereinzelten Förderschulen für geistig oder körperlich Behinderte, für Sprach-, Hör- oder Seh-Geschädigte, liegt bei den Kindern hier eine „Lern- oder Entwicklungsverzögerung“ vor. Heißt konkret: Sie haben zum Beispiel Rechenschwächen, keine Strategie beim Arbeiten, können das eigene Handeln nicht überblicken. Viele von ihnen kommen aus schwierigen Verhältnissen.

Undurchsichtigkeit der Inklusion

An der Förderschule lernen sie in ihrem eigenen Tempo, bei enger Begleitung durch speziell geschulte Lehrer. Um die 100 Kinder der Fröbel-Schule kümmern sich derzeit 15 Pädagogen, zehn davon in Vollzeit. Oft sind die Klassen doppelt besetzt. Das macht es möglich, die Gruppen zwischenzeitlich zu teilen – während die eine Hälfte in der Küche mit dem Obstsalat beschäftigt ist, macht die andere Deutsch oder Mathe. Später wird getauscht. Wie man seinen Schützlingen an einer Regelschule gerecht werden wolle, sei ihm ein Rätsel, sagt Schulleiter Gerhard Seth. Es fehle derzeit noch an Personal und Konzepten. „Ich habe Angst um die Kinder.“

Die Fröbel-Schule soll zum kommenden Schuljahr aufgelöst und Dependance der Schule am Hellweg in Freisenbruch werden. Ganz aufgeben will man den Standort nicht, zumal er den offenen Ganztag anbietet, weshalb auch Kinder aus weiter entfernten Stadtteilen herkommen. Aus Sicht von Schulleiter Seth stellt die Stadt mit ihren Plänen dennoch einiges zur Disposition. Wie die Leiter der anderen betroffenen Förderschulen auch sieht er die zarten Anfänge von Inklusion gefährdet, die er und seine Kollegen in Zusammenarbeit mit den Regelschulen geschaffen haben.

Die Kooperation mit den Grundschulen im jeweiligen Beritt ist eng, man tauscht sich aus über einzelne Schüler und die Frage, wo sie am besten aufgehoben sind. „Aber Inklusion ist das noch nicht.“ Wie es dazu werden kann, daran möchten Seth und seine Kollegen gerne mitwirken. Nur beschleicht sie gerade das Gefühl, dass diese Mitarbeit nicht mehr möglich sein wird.

CDU macht Fragezeichen an Renzel-Pläne 

Auch die CDU tut sich schwer mit dem Vorschlag der Verwaltung, drei Förderschulen abzuwickeln: die Bernetalschule, die Ruhrtalschule und die Friedrich-Fröbel-Schule (siehe nebenstehenden Bericht). Ende Januar soll der Rat über die Pläne aus dem Dezernat von Peter Renzel (CDU) entscheiden. Ob ihre Fraktion zustimme, sei ungewiss, so die stellvertretende Vorsitzende Susanne Asche. „Wir sind noch in der Abwägung.“

Kritiker bemängeln, es handele sich bei dem Vorschlag um einen Schnellschuss. Bevor man darüber entscheiden könne, welche Förderschulen künftig noch benötigt werden und welche nicht, brauche es ein umfassendes Konzept zur Inklusion, also dem gemeinsamen Unterricht aller Kinder an den Regelschulen. Die SPD hatte jüngst ein Moratorium der Schließungspläne gefordert. „Man muss gucken, dass man nicht vorzeitig etwas abschneidet“, sagt auch Susanne Asche. „Wir sind gut beraten, uns nicht unter Druck setzen zu lassen.“

Die Verwaltung begründet den geplanten Schritt mit sinkenden Schülerzahlen und den Forderungen der Bezirksregierung. Weil im Zuge der Inklusion schon jetzt immer mehr Kinder mit Hilfebedarf an Regelschulen unterrichtet würden, fallen mehrere Förderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ bereits heute unter den Richtwert von 144 Schülern. Sie sind von Düsseldorf lediglich „geduldet“.

Dennoch gibt es auch in den Reihen der CDU Zweifel, ob der geplante Schnitt zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nötig ist. Die Politiker haben deshalb bei der Verwaltung einen Fragenkatalog eingereicht. „Wir wollen vom Schulträger und von der Bezirksregierung hören: Ist es zwingend, dass wir jetzt handeln?“, so Susanne Asche. Die Schulverwaltung hat zugesagt, die Fragen bis zur Sitzung des Schulausschusses am 16. Januar zu beantworten. Viel Zeit der Abwägung bleibt dann bis zur Ratsentscheidung freilich nicht mehr.

„Wir hätten uns gewünscht, dass wir jetzt schon ein Gesamtkonzept kennen“, so Asche. „Die Sorge, dass durch die Schließungen Know-how verloren geht, hat sich noch nicht aufgelöst.“