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Polizei in Essen kritisiert Projekt Notinsel als Alibi-Aktion

Polizei Essen kritisiert Projekt Notinsel als Alibi-Aktion

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Foto: WAZ
Polizei und Kinderschutzbund in Essen halten wenig vom Projekt Notinsel. Ein Kind in Gefahr könne nicht erst nach dem Logo der Initiative suchen: Jeder Erwachsene sei dagegen in der Verantwortung zu helfen. Für die Kritiker ist das Projekt daher wenig mehr als eine Alibi-Aktion.

Essen. 

Sie vermehren sich rasant und genießen einen guten Ruf – die sogenannten Notinseln. Schon 330 Geschäfte und Einrichtungen in Essen schmücken sich mit dem bunten Logo, das Kindern signalisieren soll: „Hier wird Dir geholfen.“ Polizei und Kinderschutzbund beurteilen die Insel-Idee kritisch.

„Ein Kind, das in Not ist, kann nicht nach einem Logo suchen, es braucht Hilfe – sofort“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Essener Kinderschutzbundes, Ulrich Spie. Jeder Erwachsene, der ein Kind sehe, das bedrängt, bedroht oder geschlagen werde, müsse eingreifen. „Wir brauchen nicht ein paar wohlmeinende Geschäftsleute, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft aller Bürger.“

Ähnlich argumentiert Bettina Schekelmann vom Kommissariat für Kriminalprävention und Opferschutz: „Wir sollten Kindern allgemein vermitteln: Wenn Du in Not bist, wende Dich an einen Erwachsenen.“ Oft sei gar kein Geschäft in der Nähe sei, weil Täter ihre Opfer bewusst in wenig belebten Gegenden ansprechen: „Da kann ein Kind auch durch lautes Schreien auf sich aufmerksam oder zu einem Wohnhaus rennen und auf alle Klingeln drücken.“

Wichtig sei, dass es überhaupt gelernt habe, in solchen Situationen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – und dass Erwachsene hinsehen. Selbstbehauptung der Kinder, Sensibilität der Erwachsenen nennt die Polizistin also als Schlüsselwörter.

Personal in Geschäften nicht ausreichend geschult

Wer aber meine, die Hilfe für Kinder institutionalisieren zu müssen, der müsse das professioneller angehen, fordert Spie. „Da reichen ein hübscher Aufkleber und guter Wille nicht aus.“ Das Notinsel-Programm, das es auch in vielen anderen Städten gibt, sei ein „Schnellschuss mit Qualitätsmängeln“: Das Personal in den Geschäften werde nicht ausreichend geschult, es fehle an der Rückkopplung mit Fachleuten und Handlungsempfehlungen für heikle Situationen, „wo es nicht bloß um ein Pflaster geht“.

Den Einwand, dass hier auch ein Passant überfordert wäre, lässt Spie nicht gelten: „Das Logo erweckt ja den Eindruck, in den Geschäften gäbe es qualifizierte Hilfe.“ Daher habe er sich gegen eine Teilnahme an dem Projekt entschieden: „In anderen Städten ist der Kinderschutzbund bei den Notinseln dabei. Wir führen dazu auf Landesebene eine Diskussion.“

„Doch wir reden mit den Inhabern und überprüfen sie“

Der „Verein für Kinder- und Jugendarbeit“ (VKJ), der Essens Notinseln betreut, kann einige der Einwände verstehen. „Sicher sollte ein Kind in jedes Geschäft fliehen können, aber der Aufkleber kann eine Ermutigung sein“, glaubt Cornelia Lang vom VKJ. Pädagogisch geschultes Personal gebe es in den Läden nicht: „Doch wir reden mit den Inhabern und überprüfen sie.“ Ohne erweitertes polizeiliches Führungszeugnis gehe nichts: „Es gab Läden, die da abgewinkt haben.“

Allgemein sei das Interesse am Logo riesig; und manchen treibe wohl neben Nächstenliebe auch der Werbe-Effekt, so Lang. „Aber seit wir vor zwei Jahren in Essen gestartet sind, hatten wir mindestens einen dramatischen Fall mit Eingreifen der Polizei.“ Welchen Nutzen die Inseln darüberhinaus hatten, werte man derzeit aus.