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Jede zehnte Unterrichtsstunde fällt an Essener Schulen aus

Jede zehnte Unterrichtsstunde fällt an Essener Schulen aus

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Foto: dpa
  • An Schulen in Essen fällt mehr Unterricht aus, als das Land landesweit angibt
  • Rund 100 Eltern dokumentierten sieben Wochen lang den Unterrichtsausfall
  • Nicht-repäsentativen Erhebung mit einer Ausfallquote von 10,01 Prozent. Land gibt als offizielle Ausfallquote 1,7 Prozent an

Essen. 

An Essener Schulen fällt viel mehr Unterricht aus, als NRW landesweit angibt. Das ist das Ergebnis einer lokalen WAZ-Aktion, an der sich rund 100 Eltern im Stadtgebiet sieben Wochen lang beteiligt haben. Sie dokumentierten für uns den Stundenausfall an den Schulen ihrer Kinder – am Ende stand bei dieser nicht-repäsentativen Erhebung eine Ausfallquote von 10,01 Prozent. Das Land NRW gibt als offizielle Ausfallquote landesweit 1,7 Prozent an.

Ermittelt wurden die Daten von mehr als 40 Essener Schulen, also etwa einem Drittel der Essener Schulen. Dabei waren sowohl Grund-, als auch Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Jede zehnte Stunde fällt aus

Warum das Land NRW auf einen sehr viel niedrigen Wert kommt als unsere nicht-repräsentative Erhebung, liegt sicher auch der Frage, was man als Unterrichtsausfall werten darf. NRW zählt fachfremden Vertretungsunterricht nicht mit als Ausfall; wir schon. Seinen Wert von 1,7 Prozent ermittelt das Land durch Stichproben, 14 Tage lang an insgesamt 770 Schulen. Zuletzt geschah das im Schuljahr 2014/15.

Wenn die Erhebung der Essener Eltern jetzt auf einen flächendeckenden Wert von zehn Prozent kommt, deckt sich das vor allem mit den Erfahrungen vieler Eltern: An nicht wenigen Schulen führen Väter und Mütter mittlerweile akribisch Statistik über nicht gegebenen Fachunterricht und kommen dabei nicht selten auf Werte, die sogar an der 20-Prozent-Marke liegen.

Welche Fächer betroffen sind

Überraschend deutlich macht unsere Erhebung, dass die naturwissenschaftlichen Fächer, die so genannten „Mint“-Fächer, offenbar viel weniger vom Ausfall betroffen sind als Sprachen und Geisteswissenschaften. Ausnahmen sind jedoch Biologie und Chemie.

Dafür gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten: Einerseits werden Fächer wie Mathe, Physik und und Informatik deutlich häufiger von Männern als von Frauen unterrichtet. Besonders an Gymnasien, die tendenziell über sehr junge Pädagogen verfügen, fallen Lehrerinnen regelmäßig wegen Schwangerschaft, Mutterschutz und Elternzeit aus. Andererseits gibt es viel weniger Lehrer für Natur- als für Geisteswissenschaften. Häufig werden Lehrer, die zum Beispiel Mathe und Sport unterrichten könnten, wegen des großen Bedarfs nur in Mathe eingesetzt. Entsprechend schwierig sind dann Vertretungen im Fach Sport zu besetzen. Grundsätzlich achten Schulleiter darauf, dass im Zweifel lieber klassische Nebenfächer ausfallen als Hauptfächer.

Realschulen mit hohen Werten

Warum sind – zumindst laut unserer Statistik – Realschulen stärker vom Ausfall betroffen als zum Beispiel Gymnasien? Womöglich, weil sie tendenziell ältere Lehrer beschäftigen als andere Schulen – aktuelles Durchschnittsalter an Esener Realschulen: 46, 6. Lehrer an Essener Gymnasien sind dagegen 42,8 Jahre alt.

Was wir gemessen und gemacht haben 

Beim Stundenausfall an Schulen klaffen offizielle Angaben und die Wahrnehmung der Betroffenen weit auseinander. Die 1,7 Prozent, die die Landesregierung angibt, haben mit der Realität nichts zu tun, so der Eindruck vieler Eltern und Schüler.

Wir wollten wissen, wie es tatsächlich aussieht, und haben unsere Leser aufgerufen, uns zu helfen. Über einen Zeitraum von sieben Wochen – von Beginn des zweiten Halbjahres bis zu den Osterferien – haben wir die Daten von 100 Essener Schülern ausgewertet: insgesamt knapp 20.000 Schulstunden.

Woche für Woche haben uns die Eltern (und in wenigen Fällen die Schüler selbst) via E-Mail detailliert geschildert, wie viele Stunden in den einzelnen Fächern ausgefallen sind. Diese Daten haben wir in eine Excel-Tabelle übertragen, mit den regulären Stundenplänen der Schüler abgeglichen und so die Ausfallquote ermittelt.

Wie zu Beginn angekündigt, haben wir die Ausfalldaten nicht auf einzelne Schulen bezogen ausgewertet. Der Datensatz ist für ein aussagekräftiges Ergebnis schlicht zu klein.

Doch was ist eigentlich „Unterrichtsausfall“? In unserer Erhebung galt eine Stunde als ausgefallen, wenn sie tatsächlich nicht stattfand oder ein fachfremder Lehrer den Vertretungsunterricht übernommen hat.

Fiel Unterricht aus, weil Lehrer auf Klassenfahrt waren, haben wir das als Ausfall gewertet. Solche Fahrten sind Teil der schulischen Ausbildung und stehen lange im Voraus fest. Schulen müssten also ausreichend Lehrkräfte haben, um Vertretungsunterricht sicherstellen zu können.

Als eine Schule hingegen ihre Schüler nach Hause schickte, weil die Heizung ausgefallen war, haben wir das nicht als Unterrichtsausfall gewertet. Stichwort: höhere Gewalt.