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Rauchverbot in NRW setzt kleinen Kneipen besonders zu

Rauchverbot in NRW setzt kleinen Kneipen besonders zu

Seit drei Monaten herrscht in NRW absolutes Rauchverbot in der Gastronomie. Die Rechnung, dass die Kneipengänger sich dran gewöhnen, scheint bisher nicht aufzugehen: Wirte und Branchenverband melden teils verheerende Umsatzrückgänge. Insgesamt mehren sich die Anzeichen für den Niedergang der Szene.

Essen/Ruhrgebiet. 

Christiane Behnke hat nicht viel übrig für Statistiken. Die Wirtin vom „Alt-Krayer Gasthaus Budike“ hat von den Meldungen gehört, wonach die Gastronomie nach dem Rauchverbot kaum Umsatzrückgang zu verzeichnen habe. Behnke weiß es besser, zumindest in Essen hätten vor allem die kleinen Kneipen fast 30 Prozent weniger eingenommen. Es komme eben darauf an, wen man heranziehe für solche Statistiken: „Wenn man Sterne-Restaurants befragt, wo eh nie geraucht wurde, ist klar, dass die nichts von einem Umsatzrückgang erzählen.“

Das Gasthaus Budike ist ein Restaurant im Essener Osten, bis Mai mit viel Betrieb auch an der Theke. Die Atmosphäre im Lokal hat sich verändert in den letzten Monaten: Am Tresen ist weniger los, „und es gibt eine wahnsinnige Unruhe, weil ständig jemand rein- und rausrennt“, so Behnke.

Auch in Essens Kneipenviertel Rüttenscheid ist nichts mehr so, wie es mal war. Behnke, die auch die Kreisgruppe des Dehoga führt, weiß von Anwohnern, die Wirte anzeigten – wegen des Lärms durch auf der Straße paffende und schwatzende Gäste. Der Ärger wird auch in den kalten Monaten nicht verrauchen. Der Gaststättenverband fordert die Stadt auf, Genehmigungen für Tische und Stühle auf dem Gehweg auch im Winter zu erteilen. „Wenn die Gastronomie die Leute halten will, muss man ihnen was bieten“, sagt Behnke. „Sonst sehe ich schwarz für unsere schöne Kneipenszene im Ruhrgebiet.“

Wirte in Gelsenkirchen büßen ein Drittel des Umsatzes ein 

Auch in Gelsenkirchen ist die Gastronomie skeptisch. „Die Umsätze verlagern sich in den Privatbereich“, sagt Dehoga-GE-Geschäftsführer Rainer Nothoff in Funktionärsdiktion. Im Klartext: Viele bleiben zu Hause, weswegen der Verband das Umsatzminus in den Kneipen im Mai auf 30 Prozent beziffert. Nothoff erwartet Schließungen. „Das kommt mit einer gewissen Verzögerung, weil die Pachtverträge über mehrere Jahre laufen und es mehrmonatige Kündigungsfristen gibt.“ Im Kreis Recklinghausen werden laut Dehoga binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes 100 Betriebe zumachen.

Zusätzlichen Ärger gibt es in Gelsenkirchen, weil das Ordnungsamt dort besonders streng kontrolliert. So empfinden es jedenfalls die Gastronomen. „Die kommen auch, wenn sich keiner beschwert hat“, so Nothoff. Die Stadt weist das jedoch zurück. „Wir sind verpflichtet, darauf zu achten, dass das Gesetz eingehalten wird. Wir sind nicht besonders streng, wir nehmen nur übliche Stichproben“, sagt Gelsenkirchens Stadtsprecher Martin Schulmann.

Im Bermudadreieck Bochum ist früher Schluss 

In der Diskussion über Sinn und Unsinn des Rauchverbots war immer wieder zu hören, die Gastronomie verliere zwar Kunden, gewinne aber auch viele neue hinzu. Zumindest in Bochum ist das nicht der Fall. Die Interessengemeinschaft Bermudadreieck berichtet von 50 Prozent Minus im Thekenbereich beliebter Gaststätten wie Intershop, Café Konkret oder Mandragora. „Wir machen jetzt in der Woche anderthalb, am Wochenende zwei Stunden früher zu“, sagt Mandragora-Betreiber Dirk Steinbrecher. Noch haben die Wirte kein Mittel gefunden, den Einbruch annähernd wett zu machen. „Ich weiß nur eines“, so Steinbrecher: „Dumpingpreise wären der falsche Weg.“

Im Mandragora entzündete sich zuletzt eine heftige Debatte. Als Steinbrecher einem Grünen-Politiker Hausverbot erteilte und die WAZ darüber berichtete, führte das unter Bochumer Kneipengängern zu einer Kontroverse über Sinn und Unsinn von Rauch- und Hausverboten.

Immerhin: Mit Anwohnern gibt es im Bermudadreieck kaum Ärger. „Wer hier wohnt, ist daran gewöhnt, dass es laut ist“, heißt es bei der Interessengemeinschaft. Anders als in dem anderen Bochumer Szeneviertel, dem Ehrenfeld – dort hat es wie anderswo auch bereits Anzeigen gegeben.

Dortmunder Kneipen bleibt die Laufkundschaft weg 

In Dortmund hat das Ordnungsamt die Kontrollen mit der Verschärfung des Gesetzes zwar nicht erhöht — aber ein paar Zahlen gibt die Stadt dann doch heraus. Es habe 46 Beschwerden beim Ordnungsamt gegeben — daraufhin stellten die Kontrolleure 33 Verstöße gegen das Gesetz fest. Zehn Gastronomen mussten insgesamt 1800 Euro an Bußgeldern zahlen. Zudem gab es 242 mündliche Verwarnungen und 21 Verwarngelder.

Und wie sieht’s bei den Gastronomen aus? Wir haben vier Dortmunder Kneipen heraus gegriffen. Der „B-trieb“ im Kreuzviertel macht am Wochenende 20 Prozent weniger Umsatz, bilanziert Mit-Betreiber Wolfgang Gärtner. Unter der Woche sei alles beim Alten geblieben. „Dann kommen meist Stammgäste zum Essen.“ An Wochenenden aber bleibe die Laufkundschaft weg — Junggesellenabschiede zum Beispiel, die „richtig was auf’n Kopp hauen“ und 300 Euro am Abend da lassen. „Wir müssen uns darauf einstellen, mit dauerhaft weniger Geld auszukommen“, fürchtet er. Wohin die Gäste verschwinden weiß Gärtner nicht. An den Kiosk? In den Garten? Ins „Barrock“, Gärtners zweiter Kneipe 100 Meter weiter, verschiebt sich der Umsatz jedenfalls nicht. Hier hat sich in den letzten drei Monaten nichts geändert. Rauchverbot gilt drinnen schon lange.

Dramatischer sieht’s im kleinen „Bass“ in der Nordstadt aus — bis vor drei Monaten noch ein Raucher-Club. Betreiber Waldemar Becker sind zwei Drittel des Umsatzes weggebrochen, sagt er. Der Gastronom führt das nicht allein aufs Rauchverbot zurück, sondern auch auf die Gesamtsituation in der Nordstadt. Zudem hat er die Kneipe erst vor Kurzem vom alteingesessenen Wirtepaar übernommen. Als „alter Hase“ in der Gastronomie gibt er zwar nicht so schnell auf. „Aber da werden viele Läden über die Wupper gehen“, meint er. „Die Kultur der Gaststätten wird sterben — dabei haben Kippe und Pilsken die Region doch so geprägt“. In seinem zweiten Lokal, der „Depothek“, läuft derweil alles wie gehabt. Schon 2008 hatte er es zum Nichtraucherlokal gemacht. Draußen an der frischen Luft darf man aber noch qualmen.

Zahl der Lärm-Beschwerden in Duisburg nimmt zu 

Auch in Duisburg waren die Sorgen groß vor dem Inkrafttreten des absoluten Nichtraucherschutzgesetzes. In der traditionsreichen Studentenkneipe „Finkenkrug“ hatte Wirt Roland Jahn rund 10.000 Euro für eine Spezialtür ausgegeben, um getrennte Räume für Raucher und Nichtraucher zu schaffen. Wie sich später zeigen sollte, hätte er sich diese Investition auch sparen können.

Dennoch: Jetzt, nach drei Monaten, sind die Sorgen im Finkenkrug verflogen – zum Teil zumindest. „Unsere Gäste haben akzeptiert, dass sie drinnen nicht mehr rauchen dürfen“, sagt Kellnerin Sonja Müller. Sie weichen widerspruchslos auf den Biergarten oder auf die Straße aus. „Das ist momentan kein Problem, im Winter wird sich das wohl ändern.“

Die kleinen Eckkneipen haben umso mehr Probleme

Während die größeren Kneipen wie der Finkenkrug anscheinend erst einmal mit einem blauen Auge davon gekommen sind, ist die Zukunft der Eckkneipen ungewisser. Insbesondere bei diesen Lokalen sieht der Duisburger Dehoga-Vorsitzende Marc Weber Probleme und prophezeit auch Lokalschließungen. „Für einige Gastronomen lohnt es sich einfach nicht mehr, durch das Gesetz sind sie nun tiefer im Minusbereich gelandet.“ Weber weiß bereits von einigen Pachtverträgen, die die Wirte nicht mehr verlängert haben.

Damit widersprechen Weber und sein Verband auch der Erhebung des statistischen Landesamtes, das den Gastronomen im Mai sogar ein leichtes Umsatzplus (nominal 0,1 Prozent) bescheinigte. Das Problem sei nämlich, dass die kleine Einraum-Kneipe an der Ecke gar nicht erfasst worden sei, „da ihr Umsatz unter 150.000 Euro liegt“, so Weber weiter. „Real liegt der Umsatz bei 2 Prozent im Minus. Ein deutlicher Widerspruch zu dem, was unsere, wenn auch nicht repräsentative Umfrage unter den Kollegen ergeben hat.“

Stadt Duisburg wurde bei 25 Lärm-Beschwerden aktiv

Unterschätzt hätten die Gastronomen in der Region auch die Lärm-Problematik, die sich durch das Rauchen vor der Tür ergibt. Probleme mit Nachbarn hat seit Anfang Mai etwa „Das Café“ (ehemaliges Café Gräfen) an der Krummnacherstraße, erzählt Webster-Gastronom Marc Weber, der diese Probleme selbst nicht hat. Denn die Kneipen am Dellplatz haben wegen ihrer Biergärten eine Sondernutzungserlaubnis.

Zwar kontrolliert die Stadt Duisburg nur anlassbezogen, also bei Beschwerden, aber auch hier mussten einige Gastronomen schon zahlen. 25 Lärm-Beschwerden registrierte das Ordnungsamt seit Anfang Mai. In 22 Fällen bekamen die Wirte eine schriftliche Ermahnung, dreimal wurde ein Ordnungswidrigkeits-Verfahren eingeleitet, war also eine Geldbuße fällig.

In Oberhausen wird öfter die Zeche geprellt 

In Oberhausen sind die Auswirkungen des harten Nichtraucherschutzgesetzes offenbar voll angekommen. Schon nach zwei Monaten qualmfreier Gastronomie hieß es in vielen Lokalen, wie die Redaktion in einer Umfrage unter den Kneipenwirten gemacht hat: Die Gäste bleiben fern, die Umsätze sind um bis zu 30 Prozent eingebrochen. Kneipen, die mit einen Biergarten punkten können, stünden vergleichsweise besser da.

Gastronom Edmund Eckstein, Wirt der Gaststätte Eckstein in Sterkrade, hat wegen etwa den Sky-Sportkanal gekündigt, denn der sei teurer geworden und lohne sich nun nicht mehr, um die Gäste anzulocken. Und der Gastronom hat mit der Einführung des Nichtraucherschutzgesetzes noch eine weitere Beobachtung gemacht: Die Zahl der Zechpreller steigt an. Lokalbesucher nutzen offenbar das ständige Raus und Rein, um sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Dies sorge für zusätzliche Verluste.

In Mülheims Altstadt-Treff werden Stammtisch-Runden seltener 

In Mülheim hat Gastronom Uwe Mühlenfeld, Wirt des Uerige-Treff, aus Protest gegen die Verschärfung des Nichtraucherschutzes Politikern der Partei „Die Grünen“ Lokalverbot erteilt. Das Schild an der Eingangstür hat inzwischen Kultstatus. Gäste lassen sich immer wieder davor fotografieren, sagt Wirtin Kerstin Mühlenfeld. Doch auch wenn Mitglieder der Grünen kommen, müssen sie nicht durstig von dannen ziehen. Auch sie bekommen ein „Dröppke“.

Dennoch: „Das Nichtraucherschutzgesetz macht sich auch bei uns bemerkbar“, sagt Mühlenfeld. Stammtisch-Runden kommen seltener, oder sie bleiben gleich komplett fern. Thekengäste, die nur ein Bierchen trinken wollen, trinken dieses lieber daheim – wo sie die dazu eine Zigarette rauchen können. Weiteres Problem: Auch die Nachbarn sind nicht begeistert von den Rauchern auf der Straße. Beschwerden wegen Lärm habe es auch schon gegeben.

In Düsseldorf wird’s vor allem in den Stadtteilen schwierig 

Düsseldorfer Kneipen, die schon vor der Verschärfung des Nichtraucherschutzes angeschlagen waren, haben es jetzt noch schwerer, sagt Isa Fiedler, Sprecherin der Wirte in der Düsseldorfer Altstadt. Dies sei eine Entwicklung, die besonders in den Stadtteilen zu beobachten sei. Das Kneipenviertel in der Altstadt sei davon weniger betroffen.

Ohnehin hätten sich die Gäste inzwischen größtenteils daran gewöhnt, dass sie nur außerhalb der Lokale rauchen dürfen. „Oder anders gesagt: Sie müssen sich jetzt daran gewöhnen“, sagt Fiedler. Dies geschehe jedoch nur sehr langsam. „Aber andere Länder haben vorgemacht, dass es geht.“ Immerhin habe es noch keine Anwohnerbeschwerden gegeben, weil sich der Lärm von der Kneipe an die frische Luft verlagert habe: „Wer in der Altstadt wohnt, ist da Kummer gewöhnt.“

Hagener Wirte durch Rauchverbot unter Druck 

„Wir spüren den Druck. Vor allem die kleinen Kneipen um die Ecke haben ihre Probleme. Da rufen die Wirte bei uns an und motzen über Einbrüche in den ersten Monaten von 10 bis 50 Prozent“, sagt Lars Martin, Geschäftsführer der Dehoga-Niederlassungen in Hagen und Siegen. Er prophezeit, dass der verschärfte Nichtraucherschutz im nächsten Quartal weiteren (kleinen) Kneipen das Genick brechen wird.

„Viele leben ja jetzt schon von ihren Reserven, haben manchmal gerade ihre letzte Lebensversicherung aufgelöst“, sagt Martin und erinnert das Kneipenkonzept „Barhocker“, der auf den drei Beinen Bier, Unterhaltung und Zigarette steht. „Fällt ein Standbein weg wird es schwer, das Barhocker am Stehen zu halten.“