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Bürger wollen protestieren, bis es der NPD zu bunt wird

Essener wollen protestieren, bis es der NPD zu bunt wird

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Foto: WAZ FotoPool
Die Bürger aus Essen Kray machen mobil gegen die Landeszentrale der Rechtsextremen – und setzen ihre Hoffnung nicht zuletzt in die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Viele haben Angst vor den braunen Gesellen und davor, dass ein Stadtteil abrutscht, der für manchen schon genug Probleme hat.

Essen. 

Sie sind aufgeregt und wütend, empört und verängstigt: Die NPD-Landeszentrale in ihrem Stadtteil – das ist das Letzte, was sie sich gewünscht haben, und heute Abend im evangelischen Gemeindezentrum an der Leither Straße muss es alles raus.

Mitten in der Menge sitzt ein kleiner, zierlicher Mann mit weißem Bart und schweigt. „Das ist mir alles so peinlich“, wird er der NRZ hinterher sagen und sichtlich bedrückt den Kopf schütteln. Obwohl den 66-Jährigen ja im Grunde gar keine Schuld daran trifft, dass die Rechtsextremen in den Hinterhof seines Hauses an der Marienstraße 66 gezogen sind. Es ist eine Art Fremdschämen für eine politische Gruppierung, die er „Gesocks“ nennt und die er unter der Hausnummer 66a genauso wenig haben will wie anderswo.

Aber was tun? Das „Wetteifern“ unter der Krayer Bürgern, die auf vielfältige Art zeigen wollen, dass Kray bunt ist und nicht braun – er sieht es mit Skepsis: „Damit ändern wir nichts. Die müssen da raus.“ Die, das sind für ihn Nazis.

Ein Versprechen

Seinen Namen mag der ältere Herr, der im nördlichen Ruhrgebiet wohnt, nicht in der Zeitung lesen, aber sein Versprechen, das darf ruhig die Runde machen: Dass er als Eigentümer des Vorderhauses eine goldene Brücke bauen würde, wenn Frau N. aus Bochum, die im Juni der „Bürgerbewegung Pro Münster e.V.“ aus Lengerich die Immobilie im Hinterhof verkaufte, den Vertrag anfechten würde. Seine Anwälte haben ihm gesagt: Das geht, denn dem Vernehmen nach wurde Frau N. über den rechtsextremen Hintergrund dieser Bürgerbewegung, die von drei beinharten NPD-Kadern geführt wird, arglistig getäuscht.

Wenn sie den Kauf also rückabwickeln würde – er wäre bereit, das Haus zu erwerben. Es hat ihm schon mal gehört, gut zehn Jahre ist das her, bis er den Hinterhof-Bau für 30.000 D-Mark (umgerechnet rund 15.400 Euro) verkaufte. Ein Spottpreis, aber berechtigt, denn die Immobilie, die als Schreinerei genutzt wurde, war damals noch nicht saniert. Was die rund 140 Quadratmeter auf zwei Ebenen heute wert sind? 40.000, vielleicht 50.000 Euro, „keine Ahnung“ sagt er. Aber angesichts der aktuell so niedrigen Zinsen ließe sich das ausgesprochen günstig über die Miete refinanzieren.

Bürger wollen Rechtsextreme mit Aktionen und Protesten nerven 

Das gilt natürlich auch für den NPD-Tarnverein aus Lengerich, der – wie ein Blick der NRZ ins Grundbuch von Steele zeigt – keinerlei Grundschuld hat eintragen lassen müssen, um einen möglichen Kredit abzusichern. Manch einen Beobachter überrascht diese Information, denn musste der NPD-Landesverband aus seinem bisherigen Domizil in Wattenscheid nicht ausziehen, weil der Eigentümer in finanzielle Schwierigkeiten geraten war?

Der ältere Herr jedenfalls, Immobilienmakler von Beruf, ahnt, dass sie ihm in Kray Lorbeerkränze flechten würden, könnte es klappen mit der von ihm geplanten Rückabwicklung des Vertrags.

Denn ansonsten, so viel scheint allen klar, brauchen sie einen langen Atem, um die Rechtsextremen mit immer neuen Aktionen und Protesten so zu nerven, dass es ihnen in Kray zu bunt wird.

„Ich habe Angst“

Dabei wird in diesen eineinhalb Stunden immer wieder deutlich: Wie man diese Buntheit nach draußen trägt, wie man überhaupt seinen Protest gegen braune Rattenfänger artikuliert, darüber gibt es geteilte Meinungen. Mancher etwa hätte sich ein mediales Totschweigen gewünscht, anderen kann der Protest gar nicht laut genug sein, mancher vermisst an diesem Abend den OB, andere eine eindeutige Abgrenzung zur Antifa, der sie nicht über den Weg trauen.

Und immer wieder dieser Satz: „Ich habe Angst.“ Aber wohl auch nicht nur vor der NPD und braunen Gesellen, die Kinder auf die schiefe Bahn führen, wie eine Mutter sich sorgt. Sondern auch davor, dass ein Stadtteil abrutscht, der für manchen schon genug Probleme hat: Suchen sich die Rechtsextremen vielleicht gerade deshalb ein Viertel aus, in dem „dieser Drogenscheiß läuft“, wie einer klagt, wo es einen Privatpuff gegenüber gibt und „diese Banden, die vor nix Respekt haben“?

Der Widerstand, er wird wohl so bunt werden wie das Häuflein derer, die sich an diesem Abend zusammengefunden haben. Mancher wird bunte Tücher aus dem Fenster hängen, andere das Hakenkreuz beim Aldi um die Ecke übermalen, wieder andere am Samstag auf die Straße gehen. Und der zierliche Mann mit Bart wird ein Angebot machen. Mal sehen, was da geht.