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Sammler-Erben fordern Kunstwerke von Lehmbruck-Museum zurück

Sammler-Erben fordern Kunstwerke von Lehmbruck-Museum zurück

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Gemälde der Expressionismus - Ausstellung im Lehmbruck Museum in Duisburg Foto: Stephan Eickershoff/ WAZ FotoPool
Hat das Lehmbruck-Museum von „NS-Raubkunst“ profitiert? Wie erst jetzt bekannt wurde, fordern die Erben des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess bereits seit zehn Jahren zwei Bilder zurück, die sich bis Kriegsbeginn in dessen Sammlung befunden haben soll. Das Museum will Nachforschungen anstellen.

Duisburg. 

Viele Jahre wollte man im Lehmbruck-Museum über dieses Thema gar nicht sprechen. Zu viel Öffentlichkeit ist nicht ratsam, wenn es um Restitutionsfälle geht. Schon die Debatte über die Rückforderung von Emil Noldes „Buchsbaumgarten“ zog sich wie Kaugummi und kratzte immer wieder die unangenehme Frage an die Oberfläche, ob Deutschlands renommiertes Skulpturenmuseum womöglich von „NS-Raubkunst“ profitiert haben könnte.

Der acht Jahre währende Streit versandete vorerst, nachdem die Erbengemeinschaft 2007 ein Vergleichsangebot über 300.000 Euro ausschlug. Das Bild blieb in Duisburg. Jetzt droht dem Museum eine neuerliche Debatte über das Anrecht auf zwei Kunstwerke.

Nach Recherchen schwelt bereits seit zehn Jahren ein Konflikt um das Ölgemälde „Frauen am Meer“ des Expressionisten Erich Heckel. Erstaunlich ist, dass dieser Konflikt bislang aus der Öffentlichkeit gehalten werden konnte: Über ihre Anwälte fordern die Erben des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess das Bild zurück, das sich bis Kriegsausbruch in Familienbesitz befand. 1952 hatte das Lehmbruck-Museum das Heckel-Bild von der Düsseldorfer Galerie Wilhelm Großhennig erworben. Noch im Dezember 2012 lehnte es das Kuratorium ab, überhaupt Nachforschungen zu der Herkunft (Provenienz) des Heckel-Gemäldes anzustellen.

Personelle Wechsel

Doch inzwischen gab es an den entscheidenden Stellen im Museum personelle Wechsel: Neu-OB Sören Link als Kuratoriumsvorsitzender, Neu-Kulturdezernent Thomas Krützberg und die neue Museumsdirektorin Söke Dinkla haben offenbar einen Sinneswandel eingeleitet. Denn auf Anfrage erklärte Dinkla überraschend: „Wir werden uns der Prüfung der Provenienz nicht länger verschließen.“

Das Museum wolle jetzt bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung einen Antrag auf Fördermittel stellen, um den Weg des Bildes lückenlos zu recherchieren. Womit allerdings längst noch keine Entscheidung über eine mögliche Rückgabe gefallen sei, betont Dinkla: „Wir haben das Bild gerne in der Sammlung, stehen in der Pflicht und Verantwortung, es öffentlich zu präsentieren und gehen daher nicht leichtfertig mit diesem Thema um. Dennoch halte ich es für richtig, dass wir auch unserer Pflicht nachkommen, die Provenienz zu recherchieren.“

Das gleiche gelte für einen zweiten Restitutionsfall, mit dem sich das Museum derzeit konfrontiert sieht: Das Ölgemälde „Frauen im Blumengarten“ von Emil Nolde soll ebenfalls zur Kunstsammlung Hess gehört haben.

Eine Frage der Herkunft 

Dass sich das Lehmbruck-Museum mit Rückforderungen von Kunstwerken auseinandersetzen muss, deutete bereits Ex-Direktor Raimund Stecker an: Sein umstrittenes Vorhaben, die Giacometti-Skulptur „Das Bein“ zu verkaufen, begründete er unter anderem damit, dass man „Rücklagen für Restitutionsfälle“ bilden müsse. Stecker war wegen seines Finanzgebahrens dann schnell Geschichte. Aktuelle Brisanz erhielt das Thema aber wieder durch die Folgen des Münchener Kunstfundes von Cornelius Gurlitt, der eine internationale Debatte über die NS-Raubkunst entfachte.

Wie Gurlitt die Anwälte anspornte

Was die Museen sensibilisierte, spornte auch die Anwälte bei ihren Rückforderungen an. Eine Berliner Kanzlei machte im Auftrag der Erben der Kunstsammlung Hess Druck auf die Mitglieder des Kuratoriums: Nach zehn Jahren seien weitere Verzögerungen nicht mehr hinnehmbar, heißt es in einem Schreiben vom Dezember. Und wie der Fall Gurlitt zeige, würden sich die Probleme mit NS-verfolgungsbedingt verloren gegangenen Kunstwerken „nicht durch Zeitablauf erledigen.“ Bis dahin hatte das Kuratorium das Ersuchen der Sammler-Erben weitgehend abgeblockt.

Zwar erklärte die Stiftung des Museums bereits vor Jahren, dass man sich den Washingtoner Prinzipien sowie der Gemeinsamen Erklärung des Bundes und der Länder zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes „uneingeschränkt verpflichtet“ fühle. Allerdings handelt das Kuratorium erst danach, seit neue Leute die Verantwortung tragen. „Wir werden uns der Forschung nicht verschließen und werden die Schritte einleiten, die formal notwendig sind, um den Fall zu klären“, sagt Direktorin Söke Dinkla. Gerade das Haus als eine öffentliche Einrichtung müsse sich den Erklärungen verpflichtet fühlen.

Zu welchem Ergebnis die Nachforschung kommen wird, ist offen. Zwar wollen die Anwälte der Sammler-Erben bestehende Lücken in der Herkunft des Heckel-Werks „Frauen am Meer“ seit vier Jahren vollständig aufgeklärt haben. In einem anderen Fall jedoch, bei dem es sich ebenfalls um Werke aus der Hess-Sammlung handelt, beurteilt der Kunsthistoriker Andreas Hüneke von der Freien Universität Berlin die Lage anders. In einer Stellungnahme von 2004 zu Rückgabeforderungen, die eben jene Berliner Kanzlei stellte, die auch die Forderungen an das Lehmbruck-Museum richtet, hält er einige der Darstellungen der Anwälte über die Verlustumstände für „übertrieben“.

Weg der Rückverfolgung

Der Weg der Rückverfolgung wird jedenfalls nicht einfach: Die Kunstsammlung, die der jüdische Schuhfabrikant Alfred Hess nach seinem Tod 1931 seiner Frau Tekla und seinem Sohn Hans überließ, wurde nach der Machtergreifung der Nazis zwischen Museen und Galerien hin- und hergeschickt. Hans Hess emigrierte 1933 nach London, 1939 folgte ihm seine Mutter Tekla Hess. Einige Kunstwerke konnte sie mitnehmen, die anderen wurden zwischen Museen, Galerien und Kunsthändlern versandt, viele später verkauft. Zu Noldes „Frauen im Blumengarten“ ist in den Forschungsschriften kaum etwas zu finden.

Eine Rückgabe an die Erben der Sammlung Hess sorgte aber bereits 2006 für Schlagzeilen: Das Land Berlin gab das Gemälde „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner, das ein Vierteljahrhundert lang im Brücke-Museum ausgestellt war, an die Enkelin von Alfred Hess zurück. Wenige Monate später wurde das Bild bei Christie’s in New York für fast 30 Millionen Euro an ein Privatmuseum versteigert.

Ob es sich bei den beiden Kunstwerke im Besitz des Lehmbruck-Museums tatsächlich um NS-Raubkunst handelt, werden die Nachforschungen zeigen. Das Museum gehe mit dem Recherchenauftrag auch die Verpflichtung ein, nach dem Ergebnis zu handeln, sagte Direktorin Dinkla. Letztlich könnte die Entscheidung am Ende aber auch die Politik treffen müssen: Heckels „Frauen am Meer“ hatte das städtische Museum 1952 mit eigenen Mitteln gekauft. Noldes „Frauen im Blumengarten“ erwarb das Museum 1956 durch die finanzielle Unterstützung der Wohnungsbau AG, dem Vorläufer der Gebag.

Kein Geld für den Rückkauf

Der heutige Wert der beiden Bilder lässt sich schwer schätzen. Dass das Museum vor sieben Jahren bereit war, für Noldes „Buchsbaumgarten“ stolze 300.000 Euro als Entschädigung zu zahlen, verdeutlicht zumindest die Dimension. Die Anwälte sollen bereits angedeutet haben, dass ihre Mandanten die Bilder im Fall einer Rückgabe verkaufen wollen. Klar ist bereits jetzt: Solche Summen wird sich das Museum heute nicht mehr leisten können. Durch die finanzielle Schieflage ist selbst für die Ausstellungen kaum noch ein Etat vorhanden.

Es wird wohl tatsächlich am Ende ein reiner Zufall sein, dass die beiden Bilder derzeit Teil der laufenden Ausstellung „Bilder des Aufbruchs – der Expressionismus und Lehmbruck“ sind. Zu sehen sind die beiden Werke noch bis zum 9. Februar. Danach wandern sie für längere Zeit wieder ins Museumsdepot. Zumindest so lange, bis es eine Entscheidung gibt.