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Aids- und Nazi-Songs der Bandbreite spalten Homosexuelle vor dem CSD

Aids- und Nazi-Songs der „Bandbreite“ spalten Homosexuelle

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Foto: WNM
In ihrem Song „Aids“ macht „Die Bandbreite“ die US-Regierung für die Verbreitung von Aids verantwortlich und beruft sich auf einen antisemitischen Autor. Die Gruppe soll Ende Juli beim Christopher Street Day auftreten. Kritiker werfen ihr auch noch Schwulenfeindlichkeit vor.

Duisburg. 

Chris Schulze steckt in der Klemme. Er ist Vorsitzender des neuen Vereins „DU Gay“ und plötzlich zwischen die Fronten geraten. Denn im Netz und in der schwul-lesbischen Community tobt ein Meinungskrieg um den musikalischen Hauptact des Duisburger Christopher Street Days am 28. Juli: Die Bandbreite. Die Duisburger Polit-Popper mit der Vorliebe für Verschwörungstheorien hatte der Arbeitskreis Duisburger Lesben und Schwulen (AkDuLuS) zum CSD eingeladen, noch bevor DU Gay die Organisation des Fest- und Demonstrationstages vom Arbeitskreis übernahm. Im Internet werfen User der Bandbreite Schwulenfeindlichkeit vor. Darüber hinaus macht die umstrittene Band in ihrem Song „Aids“ die US-Regierung für die Verbreitung des HI-Virus verantwortlich und beruft sich dabei auf einen antisemitischen Autor.

Am Montagabend traf sich wegen all des Wirbels der DU-Gay-Vorstand. Die Krisensitzung, bei der auch die Ausladung der Gruppe diskutiert wurde, endete ohne Ergebnis: „Wir wollen die bestmögliche Entscheidung für den CSD Duisburg treffen“, erklärt Chris Schulze weiteren Beratungsbedarf.

Die Diskussion konzentrierte sich bislang auf den Bandbreite-Song „Kein Sex mit Nazis“. Darin rappt Marcel Wojnarowicz, Stimme und Kopf des Duos:

Der Führer Adolf Hitler war homosexuell, und deshalb trieb er es mit Rudolf Hess in ’nem Hotel, doch viel zu oft war Rudi in Europa unterwegs, und dat ging dem geilen Adi ja ma tierisch auf den Keks. Dann war er ganz alleine und hat so stark gelitten und fand auch keinen Trost an Evas braunen Titten. Darum war er ständig angepisst und auch so voll fanatisch, denn keiner von den Schwulen damals wollte Sex mit Nazis.

„Persiflage“ oder „zutiefst homophobes Machwerk“?

Weil der Duisburger dem Diktator eine homosexuelle Orientierung andichtet, stelle der Song Schwulsein als verachtenswerte Eigenschaft dar, kritisiert Frank Laubenburg, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft „Die Linke.queer NRW“. Für das Mitglied des Düsseldorfer Stadtrates ist das Lied ein „zutiefst homophobes Machwerk“. Der beschuldigte Sänger argumentiert im Facebook-Schlagabtausch mit „künstlerischer Freiheit“ und „Persiflage“, wirft Laubenburg gar eine „kunstfeindliche Denke“ vor. Er sei „ganz sicher kein Schwulenhasser und auch nicht homophob“.

In einer Stellungnahme vom 20. Juni verteidigte auch DU Gay den Text (die Stellungnahme und die Diskussion darunter wurden zwischenzeitlich auf www.facebook.com/CsdDuisburg entfernt). Das Argument des Vereins: Bei der „Parade der Kulturen“ des Frankfurter Jugendrings sei das Lied von einer internationalen Jury ausgezeichnet worden. „Wäre ‚Kein Sex mit Nazis’ ein Aufruf zur Homophobie, hätte man die Band vor dieser Kulisse sicherlich nicht ausgezeichnet.“

Aidshilfe distanziert sich

Interpretationsspielraum hin, künstlerische Freiheit her: Von größerer Brisanz als das vor Jahren veröffentliche Lied ist eines, zu dem die Bandbreite vor vier Wochen ein Musikvideo veröffentlichte (siehe Webvideo auf der dritten Seite des Artikels). Es heißt „AIDS“ und war im AkDuLus-Vorstand nicht bekannt, als das Popduo zum CSD eingeladen wurde (siehe Infobox).

Was sich „Wojna“ darin pseudo-wissenschaftlich zusammenreimt, lehnt wie befragte AkDuLus-Mitglieder auch der Geschäftsführer der Aidshilfe Duisburg/Wesel empört ab: „Wir distanzieren uns von den Inhalten, die eindeutig einer vergessen geglaubten Verschwörungstheorie entstammen“, meint Dietmar Heyde. Der Text sei für die Präventionsarbeit der Aidshilfe, die sich traditionell am CSD beteiligt, „massiv kontraproduktiv“.

Und darum geht’s: Wojnarowicz, so rappt er zum Einstieg, will als Fachfremder nichts weniger als „unzweifelhaft beweisen“, „dat die Geschichte von Aids ne Lüge ist“. Der US-amerikanische Virologe Robert Gallo, der für sich wie der spätere Nobelpreisträger Luc Montagnier die Entdeckung des Retrovirus HIV-1 reklamierte, habe angeblich „Aids gebaut“. Den Auftrag zur Entwicklung des biologischen Kampfstoffs soll laut Liedtext der Kongress der Vereinigten Staaten gegeben haben.

Das Opfer-Image, die Feinde und die dubiosen Verbündeten der Bandbreite 

Für die „Forschung an der Bevölkerung“, so textet der Sänger mit Fachbegriffen und Formeln jonglierend weiter, hätten sich die Amerikaner Immunschwache und Einsame ausgeguckt: Drogenkranke und homosexuelle Männer ohne Angehörige. In der zweiten Strophe dichtet die Bandbreite dann auch noch ihre Lieblingsfeinde in die Weltverschwörung ein: Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, das Pentagon und die CIA: „Nach Jahren endlich wissen wa, die Ausrottung von Afrikanern haben sie ganz gezielt geplant.“

Dass das pseudo-wissenschaftliche Lied eine Auftragsarbeit ist, für die der „Förderverein Neue Wege in der HIV-Therapie“ (siehe Infobox unten) den Musikern nach Angaben des Vereinsvorsitzenden Detlef Rohm Geld zahlte, wird spätestens in der letzten Strophe deutlich: Darin fordert Wojnarowicz ein Sofortprogramm mit dem Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure, kurz ASS. Tests „mit dem Wirkstoff, der Infizierte hoffen lässt“, verweigere das „Kartell der Pharmaindustrie“ aus Profitgier.

Verleugnung wissenschaftlicher Zusammenhänge

So weit, so abenteuerlich. Auf „AIDS“ angesprochen, gesteht der Songschreiber immerhin: „Ich kenne die Wahrheit nicht.“ Dass die US-Regierung das World Trade Center selbst zerstört habe, sei für ihn zwar „Gewissheit“ (die Anschläge vom 11. September sind das Lieblingsthema der Bandbreite). Die vertonte Aids-Verschwörung dagegen sei lediglich „die für mich plausibelste zur Entstehung von HIV. Klar, Mediziner oder Biologe bin ich nicht.“ Was Wojnarowicz aber nicht davon abhält, die unstrittigen Nachweise der Wissenschaft im AIDS-Song als „Mist von den Affen“ zu bezeichnen. Untersuchungen belegen HIV-Infektionen aus den 60er Jahren und den Ursprung beim Affen.

Der 35-Jährige verlässt sich stattdessen lieber auf „zwei vollkommen unabhängige Quellen“: auf die Broschüre des Journalisten Christoph Klug aus Recklinghausen und das Buch „Die geplanten Seuchen“ von Wolfgang Eggert. Das Machwerk aus dem „BeimPropheten!“-Verlag bewertet der Arzt und Wissenschaftsjournalist Philipp Grätzel von Grätz so: „Eggert zumindest führt plastisch vor, wie der Schritt aussieht, den man gehen muss, um von einem diffus-linken Fortschrittsskeptizismus und Antiimperialismus zum Antisemitismus zu gelangen.“ Dass Eggert und Wojnarowicz denselben Markt für Verschwörungstheoretiker bedienen – Zielgruppe: die selbst ernannten „Wahrheitsbewegten“ oder „truther“ – zeigt schon ein Blick in Eggerts Werkschau. „Angriff der Falken“ heißt sein Buch über „Die verschwiegene Rolle von Mossad und CIA bei den Anschlägen vom 11. September“.

Mit Antisemitismus- und Rassismus-Vorwürfen kennt sich Wojnarowicz aus, seit Rechtsradikale seine Lieder beklatschen und er mit seinen Provokationen jene Medien für sich interessieren konnte, die er „gleichgeschaltete Mainstream-Medien“ schimpft. Solche wie das „durchweg islamophobe und kriegshetzende Nachrichtenmagazin Spiegel-Online“ (Wojnarowicz auf facebook.com/CsdDuisburg). Von diesen Medien fühlt er sich wahlweise totgeschwiegen, verfolgt oder diskreditiert. Die taz beispielsweise darf nach einer Unterlassungsklage nicht mehr behaupten, die Bandbreite verbreite anti-semitische Texte. Und der deutsche Presserat bemängelte nach einer Beschwerde Wojnarowicz’ eine WAZ-Überschrift‚ in der die Bandbreite „rechts“ genannt wurde.

Scharmützel im linken Lager und „DU Gay“ unter Druck

Solche Fehler Einzelner nutzt der Gründer des Plattenlabels „Lärmquelle Records“ nur zu gern, um sich als verfolgter Vertreter der Wahrheit zu profilieren. Im AIDS-Clip robbt er bezeichnenderweise im weißen Kittel durch den Kugelhagel seiner Verfolger. Zur Imagepflege dienen ihm auch Scharmützel mit Kritikern aus dem linken Lager. Wojnas Lieblingsfeinde sind die, Zitat, „Antideutschen“. In einem Rap bittet er „Liebe Veranstalter“ vorsorglich darum, ihn bei aufkommender Kritik und Meinungsverschiedenheiten nicht wieder auszuladen. Für Wojnarowicz ist das keine Frage der Wahlfreiheit eines Veranstalters. Stattdessen stünden Demokratie und Meinungsfreiheit auf dem Spiel. Und wer wollte sich für die nicht einsetzen? Den Track adressierte der vermeintlich Verfolgte via Facebook auch an die grübelnden Entscheider des Vereins „DU Gay“, versteht sich.

Fakt ist: Um die USA und die Politik des Staates Israel zu kritisieren, strapaziert das Duo die künstlerische Freiheit über politische uns musikalische Grenzen hinweg, verbündet sich dazu immer wieder mit dubiosen Verdächtigen: mit rechtspopulistischen Bloggern und Laienprediger Ivo Sasek zum Beispiel.

Warum Ärzte und Aufklärer den Aids-Song anprangern 

Zu dem Schweizer, der bei einem „Anti-Zensur-Koalitions-Kongress“ 2009 mit dem eidgenössischen Präsidenten der Scientology-Kirche und Holocaustleugner Bernhard Schaub auftrat, erklärte Wojnarowicz 2011 im Gespräch mit DerWesten: „Man kann auch politisch gemeinsam mit Leuten für eine Sache eintreten, deren Standpunkte zu bestimmten Themen man nicht 100-prozentig teilt.“

Nun also Wolfgang Eggert. Als Kenner etlicher Verschwörungs-Bausätze versteht es Wojnarowicz, reale Bezugspunkte zu diesem Buch als Indizien anzuführen. Eggert bereite lediglich die Thesen Jakob Segals auf. Der war in der DDR Professor an der Humboldt-Universität. Der Biologe äußerte im Kalten Krieg den Verdacht, HIV sei möglicherweise das Ergebnis militärischer Experimente in den USA. Unklar ist, inwieweit diese These Teil einer KGB-Kampagne war, mit der der sowjetische Geheimdienst die USA der HIV-Verbreitung beschuldigen sollte.

Aspirin hat „nachgewiesen keine Wirkung bei HIV-Infizierten“

Die nun von der Bandbreite vertonte Theorie zu HIV-Entstehung und blockierter ASS-Forschung entsetzt und verärgert auch Duisburger Experten. „Es sollte bedacht werden, dass wir nach und nicht vor der Zeit der Aufklärung leben“, kommentiert zum Beispiel Dr. Ingulf Becker-Boost das Lied. Der Arzt aus dem Gesundheitszentrum am Sittardsberg ist der einzige Infektiologe in der Stadt. Er behandelte in den 80ern den ersten HIV-Patienten in den Wedau-Kliniken und betreut zurzeit mehr als 200 Infizierte. Er verweist zum Ursprung des Virus und zur ASS-Therapie auf die wissenschaftlichen Standards beziehungsweise die wirksame antiretrovirale Therapie (ART). Aspirin habe bei HIV „nachgewiesen gar keine Wirkung – außer Nebenwirkungen“.

Dem Duisburger Medizinier und den Ergebnissen der seriösen Forschung widerspricht Detlef Rohm nichtsdestotrotz. Er ist der Vorsitzende des Vereins „Neue Wege in der HIV-Therapie“ und bestreitet nicht, dass die Vereinigung der Bandbreite „auch ein wenig Geld“ für den Rap auf ihre unerforschten Thesen zahlte. Nach eigenen Angaben entwickelt Rohm als Biologe „für die Pharmaindustrie Medikamente im plasmatischen Bereich“. Er behauptet allen Ernstes, was niemand je beweisen konnte: Das spottbillige und daher für die Pharmaindustrie uninteressante ASS könne die Latenzzeit von der Infektion bis zum Ausbruch von Aids verlängern. Dass die scientific community diesen Ansatz als widerlegt beziehungsweise unsinnig einstuft, ficht ihn nicht an.

Dr. Ingulf Becker-Boost verurteilt im Gegenzug schon die „Suggestion, mit hochdosierter und ziemlich toxischer Acetylsalicylsäure könne HIV bekämpft werden“. Dadurch könnten schlimmstenfalls Patienten vor der Inanspruchnahme wirksamer Medikamente abgehalten werden, befürchtet der Arzt. Er verweist zur Verdeutlichung auf das „unselige Wirken“ des ehemaligen südafrikanischen Staatspräsidenten Thabo Mbeki (siehe Infobox). Darum sei es auch „gut“, so Becker-Boost, dass kein Mitglied des Vereins „Neue Wege…“ zur Behandlung von HIV-Patienten zugelassen ist.

„Lieber seriös, differenziert und unideologisch aufklären“

Dietmar Heyde, Geschäftsführer der Aidshilfe Duisburg/Kreis Wesel, kennt den Förderverein „Neue Wege …“ ebenfalls. Der Aidshilfe habe der Verein immer mal wieder Geld gespendet. An Heydes Urteil ändert das nichts: Dass der Verein und die Bandbreite „billige Therapien als Heilmittel vorgaukeln“, helfe bei der Bekämpfung der Seuche in Entwicklungsländern nicht. Im Gegenteil, so Heyde: „Das spielt Aids-Leugnern dort doch in die Karten.“ Eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklungspolitik der USA und der Pharmaindustrie sei zwar „nachvollziehbar und angebracht“. Die Aidshilfe aber wolle „anders als die Bandbreite lieber weiter seriös, differenziert und unideologisch aufklären“.

Darum werde der Verein „als letztes Mittel“, so Heye, auch die eigene Beteiligung am CSD in Duisburg überprüfen, sollte die Bandbreite dort auftreten. Der Band hat er deswegen auch eine Mail geschrieben: „Ich habe sie darin gebeten, den Aids-Song nicht auf dem CSD zu spielen.“ Eine Antwort hat Dietmar Heyde noch nicht erhalten.

Der Link zum Video „Aids“ von Bandbreite auf YouTube