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Eine Stadt sucht ihre Kunstwerke

Eine Stadt sucht ihre Kunstwerke

Die E-Mail aus dem Kulturbüro erreichte am Vormittag des 27. Juli die Amtsstuben der Stadtverwaltung. Das Kulturbüro sucht nach Bildern aus dem städtischen Kunstarchiv, die seit den 1960er-Jahren von städtischen Mitarbeitern zur Dekoration ihrer Büroräume gern ausgeliehen wurden und werden. Die Suche gestaltet sich offenbar nicht so leicht.

Dortmund. 

Die Bilder sind Teil des städtischen Investitionsvermögens – und teilweise nicht mehr auffindbar. Kulturdezernent Jörg Stüdemann spricht auf Nachfrage von „Abgängen aus Anschaffungen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre“. Es handelt sich um Werke – Grafiken, Bilder und Skulpturen -, die die Stadt von professionellen Dortmunder Künstlerinnen und Künstlern gekauft hat. Das Kulturbüro stellt dafür jährlich 25 000 Euro zur Verfügung. Der Wert der seit den 60er-Jahren aus diesem Etat angeschafften rund 5000 Kunstwerke reicht von 20 bis zu mehr als 1000 Euro.

Die Ausleihe nähmen die Kollegen „rege in Anspruch“, so die Mail aus dem Kulturbüro. Doch wer was ausgeliehen habe, sei wohl nicht immer in extra dafür vorgesehene Listen eingetragen worden, sagt Stüdemann: „Ob der Kollege bei der Pensionierung 1980 ein Bild zurückgegeben hat, entzieht sich der Kenntnis aller Lebenden.“ Gestohlen worden sei wohl nichts, aber es sei nicht auszuschließen, dass das eine oder andere Werk aus dem kommunalen Kunstbesitz irgendwo in der Ecke stehe oder bei Renovierungsarbeiten abgebaut worden sei.

Keine Eröffnungsbilanz

Dass aus diesem Bestand Kunstwerke fehlen, ist jetzt aufgefallen, weil ein Wirtschaftsprüfer darauf gestoßen ist, dass es vor 21 Jahren bei Gründung der Kulturbetriebe als städtischer Eigenbetrieb keine Eröffnungsbilanz nach den Richtlinien des Handelsgesetzbuches gegeben hat. Man hat das Aufnahmebuch für das Kunstvermögen der Stadt von 1910 fortgeschrieben, in dem man den Wert späterer Anschaffungen – auch den für andere städtische Museen – zum Teil nur geschätzt hat, statt den Anschaffungspreis beziehungsweise den Beschaffungswert einzutragen.

„Das konnte damals nicht in absehbarer Zeit neu inventarisiert und gezählt werden“, sagt Stüdemann, der seinerzeit noch nicht Beigeordneter in Dortmund war. Denn es sei zuvor oft nicht „nicht sauber erfasst worden“, ob es sich um Ankäufe oder Schenkungen gehandelt habe. Stüdemann: „Man hat dann zur Bilanzeröffnung einen fiktiven Beschaffungswert in die Bilanz eingetragen“ – im Einvernehmen mit dem damaligen Wirtschaftsprüfer.

Für den Kunstbestand des Museums am Ostwall – 3500 Bilder, mehrere tausend Grafiken und ein paar hundert Skulpturen – habe man beim Übergang in den U-Turm eine penible Inventarisierung komplett nachgeholt, so der Kulturdezernent. Und dabei seinerzeit mit Hilfe von Gutachten eine „Wertaufholung“ von rund 100 Millionen Euro beim Kunstbesitz herausgeholt.

Dieses Mal allerdings könnte am Ende ein Minus stehen; denn auch für das Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) sowie für das Naturkundemuseum muss nun der Bestand genau inventarisiert werden, wenn die Kulturbetriebe das Testat vom Wirtschaftsprüfer unter ihrem Jahresbericht haben möchten.

Der Kulturdezernent spricht von einer „ganz großen Übung“ angesichts der rund 40.000 Exponate wie Bauernschränke, Textilien, Kleingegenstände aus der Landwirtschaft und Bilder allein beim MKK. Dort sind zwei Werkstudenten damit beschäftigt, die Dinge zu inventarisieren. Die ebenfalls mehrere zehntausend Exponate beim Naturkundemuseum, darunter Käfer und Steine, befinden sich zurzeit wegen des Umbaus in Kisten. Deshalb soll die Inventur dort erst nach Abschluss der Umbauarbeiten erfolgen.

Eine Null in der Bilanz

Ist bei Exponaten der Anschaffungspreis- oder Beschaffungswert nicht zu ermitteln, steht am Ende eine Null in der Bilanz. Im jüngsten Quartalsbericht der Kulturbetriebe für den Kulturausschuss steht, dass es aufgrund der Inventur zu „ungeplanten Abschreibungsbeträgen“ kommt, die das Jahresergebnis der Kulturbetriebe belasten. Laut Kulturdezernent und Kämmerer Stüdemann könne niemand verlässlich sage, wie sehr die Abschreibungen die Bilanz verändern werden. In der Verwaltung spricht man hinter vorgehaltener Hand von einer Million Euro. Minus.

2016-10-19 01:13:00.0