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So gefährlich sind Bürgerwehren für die Gesellschaft

So gefährlich sind Bürgerwehren für die Gesellschaft

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Bürgerwehr Gelsenkirchen Foto: Funke Foto Services
  • Seit der Kölner Silvesternacht gründen sich überall in Deutschland Bürgerwehren
  • Soziale Medien beschleunigen die Gründung solcher Gruppen erheblich
  • Kriminologe: Wenn Bürgerwehren Städte „für unsere Damen“ sicherer machen wollen, müssten sie an anderer Stelle ansetzen

Essen/Bochum. 

In Sassenberg haben sie jetzt also auch eine Bürgerwehr. 14.000 Menschen leben in dem beschaulichen Dorf im Münsterland, dessen Tourismusabteilung die örtlichen Spargelhöfe und das gut ausgeschilderte Radwegenetz bewirbt. Ein Blick in die Kriminalstatistik legt nahe: Sassenberg ist keine Hochburg des Verbrechens. Man kann sogar sagen: In Sassenberg lebt es sich ziemlich sicher und die Polizei kann eine gute Aufklärungsrate vorweisen.

Nichtsdestotrotz zweifeln einige Sassenberger das Gewaltmonopol des Staates an. Sie haben sich vor knapp zwei Wochen via Facebook zu einer Bürgerwehr zusammengeschlossen. Etwa 240 Mitglieder zählt die Gruppe inzwischen. Einer der Initiatoren ist laut Facebook-Profil ein Faustkämpfer namens „Herzog Igzorn“ – so wie der Bösewicht aus der Zeichentrickserie „Die Gummibärenbande“, der mit seinen Ungeheuern durch die Lande zieht und Unheil anrichtet.

Die „Stadt für unsere Damen sicherer machen“

Sassenberg ist nur ein Beispiel von vielen. Seit der Kölner Silvesternacht gründen sich überall in Deutschland Bürgerwehren. In Düsseldorf zählt die Gruppe „Düsseldorf passt auf“ mittlerweile mehr als 14.000 Mitglieder. Laut Gruppenbeschreibung geht es darum, „unsere Stadt für unsere Damen sicherer zu machen“. In Essen hat eine Beinahe-Gründung einer solchen Gruppe im Unperfekthaus für Ärger gesorgt. Und in Bielefeld haben sich neulich 70 teils bewehrte Bürger in einer Kneipe versammelt, um anschließend durch die Straßen zu marschieren.

InfoWas treibt die Menschen dazu? Professor Thomas Feltes ist Rechtswissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Ruhr-Uni Bochum. Er erforscht seit fast 30 Jahren das Phänomen Bürgerwehr. Sein Erklärungsansatz: „Die Angst vor dem Fremden spielt eine große Rolle bei der Verbrechensfurcht. Das hat was mit Urängsten zu tun.“ Eine aus der Urzeit überkommene Abwehrhaltung gegen alle, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. Grob gesagt: Ein Verbrechen, das „Fremde“ begehen, wirkt für die Gruppe schlimmer als ein Verbrechen aus den eigenen Reihen.

„Da schwingt eine Pfadfindermentalität mit“

„Dass Fremde den Kölner Dom beschießen und Frauen belästigen, damit hatten die Menschen nicht gerechnet. Das fühlte sich für manche so an, als seien sie von Fremden im eigenen Wohnzimmer angegriffen worden.“ Und Feltes glaubt: „Wenn zum Beispiel im Düsseldorfer Maghreb-Viertel etwas ähnliches passiert wäre, wäre der Skandal nicht so gewaltig gewesen.“

Silvester-Übergriffe in KölnDie Menschen, die jetzt bei einer Bürgerwehr mitmachen, hätten das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen. Und so eine Bürgerwehr scheint für einige dann das passende Ventil zu sein. Eines, das auch noch Spaß und Abenteuer verspricht. „Da schwingt auch eine gewisse Pfadfindermentalität mit“, sagt Feltes. Mit Gleichgesinnten in Gruppen durch die Gegend zu ziehen, das reize manche.

„Dass sie ihre Energie sinnvoller nutzen und sich zum Beispiel besser in Flüchtlingsunterkünften engagieren sollten, sei mal dahingestellt“, setzt Feltes nach. Das werde aber kaum geschehen. Denn die Mitglieder von Bürgerwehren hätten oft eine ganz ähnliche Gesinnung wie Pegida und Co.: Furcht vor Fremden, Furcht vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Alles in allem: diffuse Angst. In „Nordafrikanern“ hätten sie nun einen Sündenbock für ihre Ängste gefunden. „Die CSU macht das ja vor, wenn sie Grenzschließungen fordert. Wenn eine etablierte Partei so etwas sagt, fühlen sich die Leute bestätigt.“

In keinem Verhältnis zur kriminalistischen Wirklichkeit

Außerdem würden die Menschen durch die „allgemeine Großwetterlage“ zusätzlich aufgestachelt, wie Feltes sagt. „Nach der Kölner Silvesternacht ist von der Politik und auch von den Medien eine Hysterie losgetreten worden.“

Die stehe in keinem Verhältnis zur kriminalistischen Wirklichkeit. „Der Großteil von Gewalt und sexueller Gewalt passiert in den Familien. 70 bis 80 Prozent solcher Übergriffe passieren zuhause“, sagt Feltes. „Den fremden Vergewaltiger hinterm Busch gibt es zwar, aber der ist die absolute Ausnahme.“

Daraus könnte man folgern: Wenn Bürgerwehren unsere Städte „für unsere Damen“ sicherer machen wollen, müssten sie an anderer Stelle ansetzen. Mit dem, was sie jetzt tun, sorgen sie eher für unnötige Konflikte, so Feltes. „So eine Bürgerwehr kann durchaus eine Gefahr für die Bürger werden. Wenn es zum Beispiel zu Provokationen von anderen oder gegen andere Gruppen kommt, kann das schnell ausarten. Die Polizei weist die Bürgerwehren ja nicht umsonst immer wieder darauf hin, dass sie sie ablehnt.“

Zumal sich eine Bürgerwehr je nach Fall schon allein durch ihre Gründung strafbar macht. „Wer unbefugt eine Gruppe, die über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügt, bildet oder befehligt oder wer sich einer solchen Gruppe anschließt, sie mit Waffen oder Geld versorgt oder sonst unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ heißt es in Paragraph 127 des Strafgesetzbuches. Und: „Wenn mal etwas passiert, dann ist die gesamte Gruppe strafbar. Möglicherweise macht sich eine solche Gruppe dann zum Beispiel des Landfriedensbruchs schuldig.“

Schlechtes Wetter verdirbt den Spaß am Marschieren

Am Ende werden die Bürgerwehren aber nicht von Paragraphen abgeschreckt – sondern vom Wetter, glaubt Feltes. „Aus Erfahrung wissen wir, dass sich solche Gruppen relativ schnell wieder auflösen. In den letzten Jahren gab es das immer wieder bei Einbruchsdelikten. Da haben sich Menschen aus Nachbarschaften zu Bürgerwehren zusammengeschlossen. Irgendwann ist denen das dann aber zu langweilig geworden.“ Wenn es dann noch regnet oder schneit, hätten die Leute bald keine Lust mehr, durch die Gegend zu marschieren.

„Man sieht es ja auch in Düsseldorf: In der Facebook-Gruppe sind 14.000 Menschen, vor Ort waren dann aber nur 50.“ Soziale Medien beschleunigten die Gründung solcher Gruppen erheblich, aber „die Bürgerwehren, die sich dort aktuell gründen, werden bald erledigt sein“, ist sich Feltes sicher.

Dabei sei eine konstruktive, nachhaltige Polizeiunterstützung durchaus wünschenswert, findet der Kriminologe. „Der Austausch zwischen Polizei und Bürgern kommt in Deutschland zu kurz.“ In einigen Städten wie Düsseldorf gibt es zwar die sogenannten kriminalpräventive Räte, die in Zusammenarbeit mit der Polizei vorbeugend für mehr Sicherheit sorgen. Aber: „Die braucht man nicht für eine ganze Stadt, das ist viel zu groß. Man bräuchte so etwas für Straßenzüge. Zum Beispiel für das Maghreb-Viertel in Düsseldorf.“