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Erinnerung an das Grubenunglück in der Bochumer Zeche Lothringen

Erinnerung an den Tod von 114 Bergleuten in Zeche Lothringen

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Foto: Deutsches Bergbaumuseum
Eine Schlagwetterexplosion riss vor 100 Jahren mindestens 114 Bergleute der Zeche Lothringen in den Tod. Die Katastrophe ist bis heute in ganz Bochum unvergessen. Ein Rückblick anlässlich der Gedenkfeier am heutigen 8. August.

Bochum. 

Das schreckliche Grubenunglück auf der Schachtanlage I/II der Gerther Zeche Lothringen, das für mindestens 114 Bergleute den Tod brachte, jährt sich am 8. August schmerzvoll, denn die „schlagenden Wetter“, wie der Bergmann die gefährlichen und leicht entzündlichen Grubengase nennt, zerrissen viele Familien, stürzten oft genug die Überlebenden in eine Existenzkrise. Denn eine Absicherung wie heute, davon konnte im 1912 keine Rede sein.

Fotos, Zeitungsseiten voller Totenlisten und Beileidsbezeugungen, all das kann nur einen vagen Eindruck vermitteln von den Szenen, die sich an jenem Donnerstag, den 8. August 1912 abspielten vor dem Tor der Zeche, das kurz nach Bekanntwerden der schlimmen Nachricht abgeriegelt worden war.

Explosion verbreitete sich rasend schnell

Die Explosion hatte sich um 9.20 Uhr ereignet und verbreitete sich rasend durch mehrere Abteilungen. Als Auslöser gilt heute die Entzündung schlagender Wetter infolge einer unsachgemäßen Schießarbeit (Sprengung). Die offizielle Zeitschrift für das „Berg- , Hütten- und Salinenwesen im Preußischen Staate, Jahrg. 1912, veröffentlichte zur Ursache: „Aus vorstehendem Befund wird man unbedenklich folgern können, daß unmittelbar vor der Katastrophe vor Ort des Querschlags Sprengschüsse weggetan worden sind, und daß hierzu Dynamit verwandt worden ist.“

Einen Eindruck über die Lage in den zerstörten Strecken und Abbaubetrieben, gibt ebenfalls dieser Bericht. Das Gros der Opfer starb sofort an Ort und Stelle: „Von den Bergleuten, die auf der III. Sohle im Nordwestfeld von der Katastrophe überrascht worden sind, ist niemand mit dem Leben davon gekommen. Besonders schwer verstümmelt waren die in der Wetterstrecke in Flöz G vorgefundenen Leichen, zwei unter Brüchen liegendenden Reparaturhauern waren die Kleidungsstücke in Fetzen vom Leibe gerissen. Der Führer eines leeren Pferdezugs wurde (…) im ersten Wagen seines Zuges sitzend mit stark verbranntem Oberkörper (…) tot hinter dem ganz verschütteten Pferd angetroffen.“

Bestattung in Massengräbern

Über zig Seiten ziehen sich diese Berichte. Was sich auf dem Zechenhof abspielte, schildert ein Reporter des „Bochumer Anzeigers“ dem es offenbar gelungen war, sich an den Absperrungen vorbei zu bewegen. Er schreibt zunächst über die Situation in Gerthe: „Vor jedem Hause und auf den Straßen standen Gruppen von Frauen und Kindern, darunter auch einzelne Männer, zusammen, dis sich eifrig unterhielten.“ Als er sich der Zeche nähert: „Vor dem Haupteingang der Zeche aber staute sich eine gewaltige Menschenmenge. (…) Vor dem Lampengebäude halten die Krankenwagen, die auf die Überführung der schwerverletzten Leute in das Bergmannsheil harren. Mehrere Bergleute mit leicht verbundenen Köpfen gehen an uns vorüber. Sie sind glimpflich davongekommen.“

Die Bestattung aus Bochum und Gerthe stammenden Opfer fand in zwei nach Konfession getrennten Massengräbern am Montag, 12. August auf dem Gerther Friedhof statt. Es gibt eine kurze Originalfilmsequenz: Sie zeigt die Wagen, jeweils mit mehreren Särgen beladen, wie sie sich einen Weg durch die Menge bahnen. Es sollen mehr als 300 000 Menschen die Straßen gesäumt haben. Zur Trauerfeier auf dem Friedhof kamen 15 000 Menschen.

Kaiser Wilhelm II. besuchte den Unglücksort einen Tag später 

Der Trauer-Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Gerthe bot schon kurz nach dem Unglück Anlass zu vielfältigen Spekulationen. Dabei sind die Fakten recht klar. Der Kaiser weilte mit seiner Entourage in Essen, um dort mit allem Pomp die 100-Jahrfeier der Firma Krupp zu begehen. Wilhelm soll, nachdem er per Drahtmitteilung von dem Unglück in Gerthe erfahren hatte, beim Festmahl auf dem Hügel ausgerufen haben: „Wir gedenken ihrer in Dankbarkeit, sie sind auf dem auf dem Felde der Ehre gefallen.“

Während tief in der Erde die Bergleute um ihr Leben kämpften, feierte das großindustrielle Establishment zunächst recht unbeeindruckt weiter. So war der Festakt im Lichthof der kruppschen Hauptverwaltung vormittags nach Plan verlaufen, obwohl sich die Nachricht aus Gerthe schon verbreitet haben müsste.

Wilhelm II. spendet 15.000 Reichsmark

Der Kaiser spendete tags darauf, so vermeldete es der Bochumer Anzeiger, „15 000 Reichsmark für die Hinterbliebenen des Unglücks“. Er entschloss sich, mit Gustav Krupp vom Bohlen und Halbach, seinem Bruder Prinz Heinrich von Preußen und weiteren hochgestellten Persönlichkeiten nach Bochum und Gerthe zu reisen.

Eigentlich hatte am 9. August nachmittags ein eigens einstudiertes bombastisches Festspiel stattfinden sollen. Es hieß zunächst, es sei verschoben: Aufgeführt wurde es jedoch nicht. Am Morgen stand zunächst eine ausgedehnte Werksbesichtigung, vor allem der Kanonenfabriken an. Danach ging die Fahrt in Automobilen nach Bochum, sehr zur Enttäuschung der Familie Krupp, denn der Rest des Jubiläumsprogramms wurde gestrichen.

Kaiser besucht Verletzte im Bergmannsheil

Nachmittags um 16.25 Uhr, fuhr die Kolonne – übrigens saßen Kaiser und Begleitung, darunter wieder Gustav Krupp von Bohlen und Halbach in Fahrzeugen der Firma Krupp – in Bochum ein und kam gut eine knappe halbe Stunde später vor der Zeche in Gerthe an, um sich vor Ort über den Hergang des Unglücks zu informieren. Auf dem Rückweg stoppte die Kolonne im Bergmannsheil. Hier erkundigte er sich nach dem Zustand der Verletzten. Offenbar nutzte der Monarch das Unglück auch, um nach dem großen Bergarbeiterstreik im Ruhrrevier vom Frühjahr 1912, bei dem es auch Tote gegeben hatte, für Entspannung zu sorgen.