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Warum Sex-Sklavinnen in der Schweigefalle gefangen sind

Warum Sex-Sklavinnen in der Schweigefalle gefangen sind

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Foto: Kerstin Kokoska
Die NRW-Polizei müht sich im Kampf gegen Sex-Versklavung – und kennt doch nicht einmal das ganze Ausmaß. Weltweit werden in der Branche Profite in Höhe von jährlich 110 Milliarden Euro gezogen. Fast zwei Drittel der illegalen Gewinne entfielen auf die Zwangsprostitution.

Essen/Düsseldorf. 

Es war ein vier Wochen dauerndes Martyrium. Die junge Frau hatte ihren Peiniger im Internet kennengelernt. Der Düsseldorfer Rocker lockte sein Opfer in seine Wohnung, wo er es immer wieder vergewaltigte, schlug und ins Bordell brachte.

Ende April 2013 gelang ihr dort die Flucht. Sie ging zur Polizei und erstattete Anzeige. Die Ärzte fanden bei der Abgemagerten Hämatome am ganzen Körper. Die Aussicht, den inzwischen gefassten Täter mit einer vollständigen Beweislage zu konfrontieren, sind mäßig. Denn das Opfer hat Deutschland längst verlassen.

Der Fall ist Teil des Reports zum Menschenhandel, den das Landeskriminalamt NRW jährlich herausgibt. Er gestattet einen Blick in die Prostitutionsszene an Rhein und Ruhr. Doch der Blick ist stark eingeengt. Denn tatsächlich sinken die Zahlen der durch die Polizei erfassten Opfer, der Täter und die Summe der beschlagnahmten Rotlicht-Erlöse seit 2011.

Mehr noch: Sie sind beschämend gering. Waren es 2012 noch 95 Opfer, registrieren NRW-Behörden landesweit gerade 71 für das Jahr 2013. 16 Fälle in Köln, sechs in Dortmund, vier in Duisburg, zwei in Oberhausen. Ein Fall ist aus Essen gemeldet.

Wie weit weg von der Realität müssen diese Zahlen sein?

„Wir kennen nur das Hellfeld“, sagt Frank Scheulen vom Landeskriminalamt. „Wir groß das Dunkelfeld der Gewalt ist, wissen wir wirklich nicht.“ Die Frauen haben oft pure Angst. Die Zuhälter haben ihnen den Pass abgenommen. „Sie haben auch wenig Vertrauen in die Polizei“, sagt LKA-Mann Scheulen. In den Heimatländern, formuliert er vorsichtig, sei die Polizei oft „wenig demokratisch kontrolliert“.

„Madames“ nehmen die Mädchen in Empfang

Die Heimatländer: Bulgarien und Rumänien liegen da ganz vorne, auch das westafrikanische Nigeria. Nigerianische Mädchen werden in Deutschland von „Madames“, weiblichen Zuhältern, in Empfang genommen, die sie mit Voodoo-Ritualen in Schach halten. So müssen sie „Madam“ über einem Hühnerherzen Treue schwören – oder werden sterben…

Das wirkliche Ausmaß ist also nur grob vorstellbar – und gewaltig. Die Zahl der Prostituierten liegt bundesweit bei 400.000. 30.000 von ihnen arbeiten geschätzt in NRW. 80 Prozent haben Migrationshintergrund. Viele sprechen kein Wort Deutsch.

In Vierteln wie der Vulkanstraße in Duisburg geht viel Geld durch die Etablissements. Die Polizei schätzt es hier auf einen zwei- bis dreistelligen Millionenbetrag im Jahr. Es ist die Grundlage für weitere Kriminalität.

Gelsenkirchen will deshalb die Szene zwischen Adenauerallee und Bickernstraße mit einer Sperrzone austrocknen und mittelfristig die ganze Stadt mit dem Prostitutionsverbot abdecken – bis auf ein kleines, überwachbares „Verrichtungsgelände“. Essen und Bonn sind so vorgegangen.

Abgeordnete fragen: Was tun?

Doch: Kann dies weiterhelfen? Am Mittwoch kommen im Berliner Bundestag Experten mit den Abgeordneten des Menschenrechts-Ausschusses zusammen. Auch sie wissen nicht, wie viel verkauften Sex es in Deutschland gibt und wie viel davon erzwungene Leistung ist, also Versklavung. Ihr Fragenkatalog zeigt eine Ausrichtung: Müssen wir Gesetze ändern? Auch Carsten Moritz wird da sein.

Carsten Moritz ist Abteilungsleiter beim Bundeskriminalamt (BKA). Er kann sich viel vorstellen: Mehr Kontrollmöglichkeiten. Die Anhebung des Einstiegsalters in Prostitution auf 21. Die Einführung von Erlaubnispflichten für die Betreiber und „Zuverlässigkeitsprüfungen“. Auch steht ja die 2001 erfolgte „Legalisierung“ des ganzen Gewerbes kritisch zur Debatte.

In einem Punkt ist sich die Koalition aber schon einig: Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass die Zwangsprostituierten nicht ausagen.

In unserem Düsseldorfer Fall bedeutete das für den Rocker: Haft.