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Tischtennis-Europameister Timo Boll ist in China ein Superstar

Tischtennis-Ass Timo Boll in China ein Superstar

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Der derzeit beste deutsche Tischtennis-Spieler Timo Boll genießt im fernen China einen Status wie hierzulande Popstars. Der 30-jährige Sportler ist der einzige, der den chinesischen Profis Paroli bieten kann.

Düsseldorf. 

Kein deutscher Sportler wird in China mehr bewundert als Timo Boll. Nun erscheint ein Buch über seine Erfahrungen im Land des Tischtennis. Ein Gespräch über kulturelle Unterschiede, zudringliche Fans, die WM in Dortmund und das Älterwerden im Leistungssport.

Herr Boll, wie oft waren Sie schon in China?

Timo Boll: Ich hab’s nie nachgezählt, aber ich fahre seit 15 Jahren hin und war bestimmt 70 Mal dort.

Wie alt waren Sie beim ersten Mal?

Da war ich 16.

Was hat sich in der Zeit am meisten verändert in China?

Es herrscht weniger Armut, und die Gebäude sind moderner geworden. Es sind mehr Autos als Fahrräder unterwegs – mittlerweile werden sogar Verkehrsregeln eingehalten (lacht). Ansonsten sind die Chinesen weltoffener geworden.

Boll sammelte nur gute Erfahrungen in China

Woran machen Sie das fest?

Am Tischtennis, zum Beispiel. Als wir im letzten Jahr ein Leistungszentrum besucht haben, durften dort auch Schüler aus anderen Ländern trainieren. Das hätte es vor 15 Jahren sicher nicht gegeben.

Die Chinesen gelten manchmal als undurchschaubar und verschlossen. Legt sich das Klischee, wenn man öfter dort ist?

Ich habe einen ganz anderen Eindruck bekommen – dass sie sehr warmherzig und gastfreundlich sind. OK, einige benehmen sich auch ein bisschen rabiater als die Deutschen. Manchmal lassen uns die Massen nicht zum Bus, weil jeder noch ein Autogramm will. Da kennen die nichts, selbst wenn ein Polizist dabeisteht. Aber sonst habe ich nur gute Erfahrungen gemacht.

Finden Sie es eigentlich schade, dass Tischtennis in Deutschland nicht den Stellenwert hat wie in China? Oder sind Sie froh, dass Sie hier weitgehend unerkannt durch die Straßen gehen können?

Naja, mittlerweile bin ich auch in Deutschland populärer geworden und werde des Öfteren erkannt – aber in China hat das ganz andere Ausmaße. Da ist ein enormer Respekt vor den Sportlern vorhanden. Tischtennis ist dort eine Mediensportart.

Werden wir je an die Stärke der Chinesen herankommen, oder müsste man dafür das ganze System auswechseln?

Es schon schwer, das chinesische Tischtennissystem zu schlagen – einfach weil dort eine unglaubliche Euphorie herrscht und weil sie eine große Masse an Spielern haben, die früh gesichtet werden und schon mit fünf, sechs Jahren mit tollen Trainern zusammen arbeiten. In China wird eine Sportlerkarriere als Chance angesehen, bei uns eher als Risiko.

Tischtennis einst eine schwedische Domäne

In den 90er Jahren haben die Schweden die Dominanz der Chinesen eine Weile gebrochen. Jetzt sind sie wieder übermächtig. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Stimmt, es gab eine Zeit, da sind sie dem europäischen Tischtennis hinterhergehinkt. Aber sie haben sich technisch weiterentwickelt und haben im Moment eine wahnsinnig gute Spielergeneration.

Inzwischen haben die Chinesen selbst Angst, ihre Dominanz könnte dem Sport schaden und ihn für das Publikum langweilig machen.

Ich denke, deswegen sind sie mir auch so dankbar – weil ich einer der wenigen bin, der ihnen noch Paroli bietet und der sie ab und zu mal schlägt. Aber klar, das Wunder, hinzufallen und wieder aufzustehen, das vermissen sie bei den großen Turnieren. Es gibt inzwischen Überlegungen, dem Welttischtennis zu helfen und ein paar Trainer nach Europa zu schicken, um mehr Konkurrenz zu schaffen. Aber am Ende wollen sie natürlich doch oben stehen (lacht).

Gibt es etwas, dass die Deutschen von den Chinesen lernen können?

Ja. Die freundliche Behandlung der ausländischen Spieler. Denen wird vor Ort sehr geholfen. Wenn ich dagegen unsere Vereine sehe – wenn da ein Chinese spielt, der bekommt vielleicht seinen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt und man zeigt ihm, wo die Trainingshalle ist. Das war’s. Da gibt es in China eine größere Gastfreundschaft. Ich glaube, in der Beziehung sehen wir die Chinesen generell falsch. Sie sind schon sehr warmherzige Menschen. Ich betrachte sie nie von ihrem System her.

Vom Talent zum Routinier

Umgekehrt gefragt – gibt es etwas, das die Chinesen von uns lernen können?

Wir haben natürlich auch unsere guten Seiten. Die Informationspolitik, zum Beispiel. Was mir in China immer ein bisschen auf den Keks geht, ist, dass wir nie einen Plan bekommen, wo draufsteht, was wo stattfindet. Da wird einfach an die Tür geklopft. „So, wir fahren jetzt zum Spiel oder sonstwo hin.“ Es ist schon überraschend, wohin die Reise manchmal geht.

Sie waren in Ihren Teams meist der Jüngste. Jetzt sind sie Anfang 30.

Ja, man wird rasend schnell vom Talent zum Routinier.

Macht Sie das ein bisschen melancholisch?

Melancholisch vielleicht nicht, aber man macht sich schon Gedanken darüber, wie lange die Karriere dauern kann und was danach kommt. Aber ich habe noch Ambitionen und denke, dass ich noch ein paar Jahre auf einem guten Level spielen werde. Ich habe mir vorgenommen, noch fünf Jahre auf Top-Ten-Niveau zu bleiben.

Was ist das nächste Ziel, auf das Sie hinarbeiten?

2012 stehen erstmal Olympia und die Mannschaftsweltmeisterschaft im eigenen Land an. Bei der Heim-WM in Dortmund hätten wir natürlich gerne das Endspiel Deutschland gegen China. Ich kann mich noch gut an die WM in Bremen 2006 erinnern, da haben wir im Halbfinale gegen China gespielt – vor 13 000 Zuschauern. Da ist die Stimmung richtig hochgekocht. Das möchten wir gerne wieder erleben. Und Olympia ist natürlich für jeden Sportler ein Highlight. Beim letzten Mal haben wir als Mannschaft die Silbermedaille gewonnen. Die würden wir gerne verteidigen. Im Einzel fehlt mir noch die Medaille. Vielleicht schaffe ich’s ja dieses Mal.

  • Das Buch: Friedhard Teuffel: „Timo Boll: Mein China“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 315 Seiten.