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Niemand will sie haben – Reise zu den Roma auf dem Balkan

Niemand will sie haben – Reise zu den Roma auf dem Balkan

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Es ist eine fremde, verstörende Welt. In den großen Roma-Vierteln des Balkans sind die Kontraste enorm: Die einen leben im Müll, andere im Luxus. Ablehnung schlägt den Roma von allen Seiten entgegen. Westeuropäische Staaten fürchten eine Welle von Armutsflüchtlingen.

Sofia/Belgrad. 

Der Gestank verbrannten Gummis weht über ein paar Männer mitten in dem riesigen Siedlungslabyrinth. Fakulteta in der bulgarischen Hauptstadt Sofia – mit 35.000 bis 45.000 Einwohnern ist es eine der größten Roma-Siedlungen Südosteuropas.

In aller Ruhe beschlagen die Männer das Zugpferd eines klapprigen Holzwagens. Wenige Schritte weiter weht der Dampf gekochter Schweinebäuche aus Kesseln über einem offenen Holzfeuer. Als sich die zwei Fremden aus Deutschland etwas auffällig auf den Schlammwegen umgucken, heftet sich eine Kinderschar an ihre Fersen. Die Kontraste sind so groß wie auf der Reise zu Orten der Roma auf dem Balkan insgesamt. Schwappt von hier eine Armutswelle in den Westen?

Die meisten Bewohner sind arbeitslos und arm

Bulgarische Nicht-Roma setzen in der Regel keinen Fuß nach Fakulteta. Es ist eine abgeschlossene, ghettoartige Welt und sie gilt als gefährlich. Die meisten Bewohner sind arbeitslos und arm, aber längst nicht alle. Aus einer Baracke, zusammengebastelt aus Spanplatten und Blech, dringt modriger Geruch, aus einer anderen Mokkaduft. Hinter dem offenen Tor eines einfachen Steinhauses singt eine Frau traurig-schön vor einer Handvoll Zuhörern. Draußen steht ein Trabbi. Hinter einem Hügel aus Müll schimmert ein dreistöckiger Palast mit Säulen, grün getöten Scheiben und einem blinkenden VW-Touareg am Tor im Frühlingslicht. Gegelte Kerle mit Sonnenbrillen kommen vorbei. Wie die wenigen Wohlhabenden ihren Luxus finanzieren, will niemand so genau sagen.

„Was wollt ihr hier?“, fragt ein dunkel gekleideter junger Mann, als die Fremden an der Holzhütte seiner Familie entlanggehen. Er kommt langsam die zwei Stufen von einer schmalen Terrasse herunter. Oben sitzen gut gelaunte Männer an einem gezimmerten Tisch mit Gabeln, gemeinsamen Tellern mit Schopska-Salat und Innereien sowie einer Flasche mit ordentlichem Branntwein

Jesus will nach Europa

Frauen sind auch dabei, stehen aber großteils drumherum. Die Männer winken die Fremden herauf und füllen für sie zwei kleine Plastikbecher aus der Flasche. Langsam taut auch der junge Mann auf. Jesus heißt er.

Der 21-Jährige lebt mittlerweile mit seinen Eltern und seiner jüngeren Frau Nina in einer Zwei-Zimmer-Wohnung irgendwo in der Stadt. Er ist zwar stolz, aus Fakulteta weggekommen zu sein. „Doch hier ist meine Gemeinschaft“, sagt er. Nina bekommt bald ein Baby, dann wird es auch in der Wohnung zu eng. „Ich will nach Europa“, sagt Jesus, obwohl er als bulgarischer Roma bereits EU-Bürger ist. England, Deutschland, Frankreich – da ist er nicht festgelegt. „Aber ich habe nicht genug Geld.“

Viele scheuen Kontakt zu Roma-Minderheiten

Jesus ist eigentlich Monteur etwa von Klimaanlagen, hat aber nur einen Job in einem Imbiss. Zwischen 350 und 500 Lewa verdient er im Monat, nicht mehr als 250 Euro. „Ich will in Europa als Monteur arbeiten und keine Hilfe brauchen“, sagt er. „Wenn ich genug verdient habe, will ich wieder nach Bulgarien zurück.“ Erstaunt klingt er nicht, als er hört, dass Roma vom Balkan auch in Deutschland oft keine Arbeitserlaubnis und keine Wohnungen haben.

In den Balkanländern scheuen viele den Kontakt zu den Roma-Minderheiten. Sie wollen sie oft nicht als Nachbarn, Arbeitskollegen oder Mitschüler der Kinder haben. Selbst wer die einzige Schule in Fakulteta besucht hat, hat in Sofia meist nur eine Chance als ungelernter Arbeiter. Der zuständige Referent der bulgarischen Regierung sagt: „Heute versuchen wir, die Kinder zur Schule mit dem Bus aus dem Viertel herauszubringen, so dass sie mit anderen Kindern zusammenkommen.“

Roma auf dem Balkan – „Die Regierung kümmert sich um nichts“ 

Dani hat das Vertrauen in die bulgarischen Behörden längst verloren. „Die Regierung kümmert sich um nichts“, schimpft die resolute 52-Jährige. Korrupte Beamte sollen dafür verantwortlich sein, dass Unternehmen ihren Abfall nicht weit von ihrem Häuschen in Fakulteta illegal auf einen Abhang kippen lassen.

Im Sozialismus hatten viele Roma Arbeit in den großen Staatsbetrieben. Heute sind sie das schwächsten Glied in einer Gesellschaft voller sozialer Spannungen. Dani redet sich in Rage: „Unsere Kinder werden hier krank.“ Weil es nicht überall Kanalisation gibt, schwemmt der Regen manchmal Fäkalien über die Wege.

Sozialprojekte zur Integration der Roma sind angelaufen

Bulgariens Sozialministerin Deyana Kostadinova ist eine schmale Frau, aber erscheint durchsetzungsstark. „Die Wirtschaftskrise wirkt sich am Gravierendsten auf die Schwächsten aus“, räumt sie ein. Doch eine Strategie zur Integration der Roma sei vom Parlament ohne Gegenstimme verabschiedet worden, Sozialprojekte seien angelaufen.

Staatspräsident Rosen Plevneliev gibt sich in einem Saal mit rotem Samt, Holzschnitzereien und Stuckdecke energisch im Kampf für eine bessere Verwaltung, Minderheitenrechte und Wachstum. Oft hapere es aber noch an der Umsetzung. Erst kürzlich gab es Massenproteste wegen steigenden Lebenshaltungskosten in Bulgarien, dem Armenhaus der EU.

Deutschland will die Schotten dichter machen

Stehen Armutsflüchtlinge aus Südosteuropa, stehen Roma in Mengen vor den Toren Deutschlands, Frankreichs oder Österreichs? Die Schwächsten sind im Zentrum der Debatte um angeblich massive Armutseinwanderung. Deutschland setzt sich derzeit dafür ein, die Schotten dichter zu machen.

„Wer nur kommt, um Sozialleistungen zu kassieren, und das Freizügigkeitsrecht missbraucht, der muss wirksam davon abgehalten werden“, hat Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gesagt. Die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengenraum ohne Grenzkontrollen ist von Deutschland zunächst blockiert worden. Die Visafreiheit etwa für Serbien und Mazedonien soll nach dem Willen Deutschlands bald ausgesetzt werden können.

Viele Roma halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser

Was sagen die Zahlen? Insgesamt leben nach vom Europarat zusammengetragenen Schätzungen knapp fünf Millionen Roma in den Ländern Mittel- und Südosteuropas. Nach Deutschland sollen laut dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma einige Zehntausend Roma aus den Ländern gekommen sein. Weil viele nur begrenzte Zeit bleiben, gilt die Zahl demnach als recht konstant, auch wenn neue dazukommen.

Viele halten sich in den deutschen Städten dann irgendwie über Wasser, etwa mit Schwarzarbeit auf Baustellen. In Bulgarien, Rumänien oder Serbien wird der Anteil der Roma auf acht bis zehn Prozent geschätzt. In Deutschland zählt weit unter einem halben Prozent der Bevölkerung zu den Sinti und Roma.

Belvil – eine berüchtigte Siedlung in Belgrad

In Fakulteta geht die Sonne langsam unter. Am Horizont schimmern die Gipfel der Berge um Sofia im Abendlicht. Frauen und Kinder ziehen sich allmählich in die Häuser zurück. Einige Männer stehen im Kreis um zwei kämpfende Hunde. Mit Rufen feuern sie die Tiere an, die frontal aufeinander losspringen. Für Fremde scheint es mit der Dunkelheit Zeit, das Viertel zu verlassen.

Knapp 400 Kilometer weiter nordwestlich. Mitten in der serbischen Hauptstadt Belgrad liegt die berüchtigte Roma-Siedlung Belvil. Hier gibt es keine festen Häuser, keine Autos, keine Pferde. Nur schiefe Hütten aus allem, was sich finden lässt. Und Unmengen Abfall.

Roma auf dem Balkan – Viele wurden nach dem Krieg vertrieben 

Zekir Gashijani sitzt im Schummerlicht seiner höhlenartigen Behausung und erzählt voller Empörung und Energie. Ein kleiner Ofen strahlt glühende Hitze ab. Es ist muffelig, ein Fernseher läuft tonlos, eine alte Kommode steht an der Wand. Einen niedrigen Tisch gibt es, ein Bett. Gashijani zeigt auf seine teilnahmslos daliegende Frau. „Sie ist krank.“ Eine Lungenentzündung hatte sie, erzählt er, Probleme mit dem Bauch kamen dazu. Kein Arzt stellte eine Diagnose. „Medikamente haben wir nicht“, sagt Gashijani.

Gashijani ist 40, er sieht aber älter aus. Er gehört zu den Roma aus dem Kosovo, die nach dem Krieg dort von Albanern aus ihrer Heimat vertrieben wurden. „Ich hatte ein Haus in Pristina“, erzählt er. Heute ist der ganze Stolz des gläubigen Muslims ein kleiner, mit Teppichen geschmückter Verschlag, der ihm als Gebetsraum dient.

Kinder spielen zwischen Schlammpfützen

Wie alle in Belvil lebt er mit und vom Müll. Die Kinder und Jugendlichen der slumgleichen Siedlung fahren mit schwergängigen alten Kistenfahrrädern durch die neuen, sauberen Hochhausviertel der Umgebung. Sie sammeln alles auf, was die Bewohner wegwerfen. Die Männer von Belvil bearbeiten mit Äxten und Hämmern die Fundstücke und bereiten sie für Wertstoffhändler auf. Eisen, Holz, Plastik, Altpapier, Stofffetzen türmen sich um die Hütten auf.

Örtliche Helfer haben den Menschen sogar gezeigt, was sie aus dem Abfall noch essen können. Zwischen riesigen Schlammpfützen spielen Kinder Fußball. Ein Vater schneidet seinem Sohn auf einem kleinen Plastikstuhl die Haare. „Wenn es in Belgrad Jobs gibt, dann bekommen sie die Serben“, berichtet Gashijani.

Familien werden umgesiedelt

Lange wird er seinem Geschäft mit dem Müll nicht mehr nachgehen können. Die meisten der einst 200 Familien von Belvil hat die Stadt schon umgesiedelt. Etwa in die Siedlung Maki¨. Ist es hier besser? Zunächst ist Maki¨ weit draußen, am Stadtrand von Belgrad. Arbeitsmöglichkeiten gibt es hier keine. Von der Stadt trennt die Menschen eine kilometerlange, gefährliche Schnellstraße. Doch ist es hier sauberer.

Die Bewohner von Maki¨ leben in weiß-blauen Wohncontainer, akkurat auf dem Asphalt aufgereiht. Davor waschen Frauen mit der Hand Kleider in Plastikwannen. Die Menschen bekommen Papiere, Krankenversicherung. Die deutsche Grünen-Chefin Claudia Roth fragt bei einem Rundgang einen Jungen nach seinem Tag. Ein Bus hole ihn später noch zur Schule ab, erzählt der 13-Jährige Nicola. Und was erwartet er von der Zukunft? „Ich will Automechaniker werden.“

Nachbarn wehren sich gegen Sozialwohnungen

Ivan Nedeljkovic tritt aus seinem Wohncontainer. Auch er hat das Kosovo im Krieg vor 14 Jahren Hals über Kopf verlassen und dann zehn Jahre unter einer Brücke vom Abfall gelebt. „Ich war noch einmal im Kosovo, aber ein Nachbar bedrohte mich: Wenn ich zurückkomme, würde das meine Familie nicht überleben“, sagt der 30-Jährige.

Heute arbeitet Nedeljkovic als Hilfsarbeiter bei einem Tischler. „Ich muss meine Familie, meine zwei Brüder, meine Schwester und meine Mutter unterhalten.“ Medikamente bekommt der stämmige Mann – gegen Depressionen. Innerhalb der nächsten zwei Jahren soll Nedeljkovic wieder umziehen. 3,6 Millionen Euro hat die EU Serbien für Sozialwohnungen bewilligt. Doch Standorte zu finden, ist wegen Widerständen der jeweiligen Nachbarschaft gegen Roma nicht leicht.

„Wir werden viel zu wenig gehört.“

Doch keineswegs alle Roma auf dem Balkan blicken in eine unsichere Zukunft. Milos Paunkovic ist überhaupt nicht begeistert, dass Besucher aus Deutschland immer zuerst die schlimmen Seiten sehen wollen. Der Anzug sitzt bei dem Inhaber einer Transportfirma korrekt. Nebenher engagiert er sich im serbischen Nationalrat der Roma. „Guckt Euch doch auch an, wo wir wohnen“, sagt er.

Damit meint er die alteingesessenen, die privilegierten Roma in ihren bürgerlichen Häusern. Paunkovic will für ein positives Bild der Roma werben. „Wir haben viele Ingenieure, viele mit guter Bildung.“ Doch er sagt auch: „Wir werden viel zu wenig gehört.“ (dpa)