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Angelique Kerber kennt „die dunkle Seite“ des Tennis

Angelique Kerber kennt „die dunkle Seite“ des Tennis

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Foto: Bongarts/Getty Images
Bei der Wahl zur „Sportlerin des Jahres 2012“ konnte sie nur die zurückgetretene Biathlon-Königin Magdalena Neuner schlagen. Ohne Frage: Die Tennisspielerin Angelique Kerber ist eine der herausragenden deutschen Sportlerinnen. Im Interview spricht der Tennis-Star über Weihnachten, ihr neues Selbstbewusstsein und das schwere Frühjahr 2011, als sie vor dem Karriere-Ende stand.

Essen. 

Am Jahresende rangiert die 24-Jährige auf Rang fünf der Tennis-Weltrangliste – so hoch war seit Steffi Graf keine Deutsche notiert.

Frau Kerber, es war ein bewegtes Tennis-Jahr für Sie. Da könnten Sie ja über Weihnachten einfach ’mal zu Hause in Kiel entspannen, oder?

Angelique Kerber: Nee, Weihnachten verbringe ich in Polen, immer schon. Es ist ja das Fest der Familie, und die meisten meiner Verwandten wohnen halt in Polen. Ist ja einfacher, wenn wir rüber fahren, als wenn alle anderen her kommen müssten. Wenn ich genau überlege: Ich habe Weihnachten noch nie in Deutschland gefeiert. Polen ist für mich ja auch eine Heimat.

Und der Stolz der Familie ist riesig. Ihre Großeltern betreiben in Polen ja sogar eine Tennishalle mit einem, nun ja, speziellen Namen.

Kerber: Das ist sogar eine richtige Akademie, und ja, sie heißt so wie ich, sie trägt meinen Spitznamen „Angie“. Die heißt aber schon seit Jahren so, nicht erst seit ich so erfolgreich bin.

Haben Sie diesen Erfolg denn schon richtig verarbeitet? Wie schalten sie ab?

Kerber: Das Jahr war in der Tat verrückt. Darum musste ich im Urlaub alles erst ‘mal verdauen.

Wo waren Sie denn?

Kerber: Auf den Malediven, zum zweiten Mal hintereinander, und davor war es Mauritius. Also ich kenn’ die Ecke da schon ein bisschen. Da kann ich richtig abschalten, und warm ist es auch.

Und dann liegt Angelique Kerber im Sonnenstuhl und genießt die freie Zeit?

Kerber: Nee, ich habe da meinen Tauchschein gemacht. Ich war jeden Tag vier Stunden draußen auf dem Meer, es war großartig. Schon als Kind war ich mehr unter dem Wasser als drüber. Und da unten bei den Fischen, das ist eine völlig andere Welt.

Ihre Welt hier ist jetzt die absolute Weltspitze im Damen-Tennis. Sie sind die Nummer 5 der Rangliste, und plötzlich eine große Nummer. Wie macht sich das bemerkbar?

Kerber: Die Leute kommen, um dich zu sehen – und du wirst anders behandelt: Du musst nicht mehr mit dem Bus durch die Stadt kurven, sondern wirst vom Flughafen abgeholt. Es sind schon solche Kleinigkeiten. Und seit ich in Istanbul gespielt habe (beim Saisonfinale der acht Weltbesten; d. Red.), merke ich, dass jetzt auch die anderen Spielerinnen Respekt vor mir haben. Vor gut einem Jahr wussten die doch noch gar nicht, wer ich bin.

Begegnen Sie selbst einer Maria Scharapowa, einer Serena Williams auch anders?

Kerber: Klar, ich hab nicht mehr diesen „Wow-Effekt“, wenn die neben einem stehen oder mit mir im Training ein paar Bälle schlagen. Vor zwei Jahre war es noch Miss Scharapowa, jetzt ist es halt die Maria.

Und Sie sind plötzlich mittendrin im Zickenkrieg?

Kerber: Also, ich hab’ mit niemandem Stress. Jede macht so ihr Ding. Und wenn es da bei den anderen ‘mal Zickenalarm gibt, dann sag ich: Es sind halt Mädels.

Sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Dazu gehört wie bei jeder erfolgreichen deutschen Tennisspielerin, dass irgendwann der Vergleich mit Steffi Graf kommt, man an Steffi Graf gemessen wird.

Kerber: Die Steffi war immer ein großes Vorbild für mich, und es ist eine totale Ehre, mit ihr verglichen zu werden. Aber Steffi ist eine Legende, und ich weiß nicht, ob jemals wieder eine Spielerin das erreichen wird, was sie geschafft hat.

Die Zeiten einer Steffi Graf waren auch immer die Zeiten der großen Duelle, mit Navratilova, Seles oder Hingis. Derzeit aber fehlen dem Damen-Tennis diese alles überstrahlenden Figuren. Oder täuscht das?

Kerber: Ich glaube, das ist ein bisschen ungerecht. Denken sie nur an Serena Williams oder Maria Scharapowa. Früher war es bei den Tennis-Damen doch so, dass immer die gleichen Vier im Halbfinale standen, heute dagegen ist es total offen. Bei uns kann halt wirklich, so blöd das klingt, jede jede schlagen.

Bei den letzten acht Grand-Slam-Turnieren gab es sieben verschiedene Siegerinnen.

Kerber: Das ist anders als bei den Männern, wo es jetzt immer die großen Vier mit Djokovic, Federer, Nadal und Murray gibt. Wenn Sie diese Ausgeglichenheit als Manko sehen, dann sind wir vielleicht einfach zu viele in der Weltspitze. Es gibt halt keine richtige Führerin. Aber für mich muss das ja nicht schlecht sein.

Zumindest traut man Ihnen auch durchaus den Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier zu. Oder wären Sie lieber einmal die Nummer 1 der Rangliste, als Beleg, schwarz auf weiß, die beste Tennisspielerin der Welt zu sein?

Kerber: Nee, da würde ich immer den Grand-Slam-Sieg nehmen. Dieses Gefühl nach dem verwandelten Matchball, diesen Pokal in der Hand zu halten, diesen Augenblick kann dir niemand nehmen. Das ist das ganz Besondere. So stelle ich es mir zumindest vor (lacht).

Empfinden Sie das als Druck?

Kerber: Der Druck kommt ja von außen, und den versuche ich erst gar nicht an mich ranzulassen. Ich bin stolz auf mich, auf die Erfolge, aber ich trainiere einfach weiter genauso hart wie immer, versuche weiter einfach mein Bestes. Ich bin da ganz entspannt: Was kommt, kommt. Und wann es kommt, das gucken wir dann mal.

So locker waren Sie nicht immer.

Kerber: Das stimmt, im Jahr 2011, als so gar nichts lief, als ich ein Spiel nach dem anderen verlor, da kam der Druck ja nur von mir. Von außen war da gar nichts; mich kannte ja keiner. Aber dieser eigene Druck war das Schlimmste: Dieses Gefühl „Du musst mehr machen, dies noch und das noch“. Da geht dann gar nichts mehr bei mir.

Sie standen kurz davor, den Schläger für immer wegzulegen.

Kerber: Ja, ich kenne die dunkle Seite, wenn du an dir zweifelst, dich ständig fragst: Wie soll der Weg weitergehen? Und: Geht er überhaupt weiter?

Sie spielten weiter. Warum?

Kerber: Ich habe mir geschworen: Wenn ich aufhöre, egal ob jetzt oder in zehn Jahren, dann will ich sagen können: Ich habe mein Bestes gegeben. Und das konnte ich damals nicht sagen. Ich merkte: Das kann nicht alles gewesen sein. Und ich mache es, weil ich es liebe. Weil ich ja nie was anderes gemacht habe.

Die Erfahrung aber hat Sie gestählt.

Kerber: Ich weiß, wie es ist, praktisch am Ende der Karriere zu stehen. Deswegen schätze ich jeden einzelnen Sieg so sehr. Natürlich möchte ich noch mehr gewinnen, noch erfolgreicher sein, aber ich weiß: Am Ende ist es auch nur ein Tennisspiel. Das Leben geht auch danach weiter, so oder so. Diese Negativ-Erfahrung hat mir sicher geholfen, auf dem Boden zu bleiben, jetzt im Erfolg nicht durchzudrehen. Wenn ich diese Zeit nicht erlebt hätte, wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin.