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5:6 vor 40 Jahren: Bochumer Spektakel gegen Bayern

5:6 vor 40 Jahren: Bochumer Spektakel gegen Bayern

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Foto: imago
  • Am 18. September 1976 führte der VfL gegen Bayern mit 4:0.
  • Am Ende verlor der Ruhrgebietsklub noch mit 5:6.
  • Torwart Werner Scholz erinnert sich mit Grausen.

Wattenscheid. 

Werner Scholz will nicht jammern. Er ist ja froh darüber, dass er bisher mit 71 Jahren immer noch mitmischen konnte. „Ich habe einen guten Draht zu den jungen Burschen“, sagt der Torwarttrainer des Regionalligisten SG Wattenscheid 09. Am Montag aber steht ihm eine Hüftoperation bevor, er sagt: „Ich habe früher zu viel auf Asche trainiert, ich brauche einen neuen Stoßdämpfer. Und ich weiß nicht, ob ich danach wieder den Medizinball in den Winkel schießen kann.“ Diese Zweifel nagen schon ein wenig an ihm. Falls ihm der Orthopäde künftig verbieten sollte, die Fußballschuhe anzuziehen, dann würde ihn das schon treffen.

Wenn Werner Scholz über Fußball spricht, ist Leidenschaft der Antrieb. Bis heute ist dem gebürtigen Hamborner nicht egal, was sich vor genau 40 Jahren abspielte, als er im Tor des Bundesligisten VfL Bochum stand – am 18. September 1976, dem sechsten Spieltag der Saison 76/77. Der große FC Bayern München ist mit den fünf Weltmeistern Gerd Müller, Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Uli Hoeneß und Katsche Schwarzenbeck zu Gast – Formel 1 gegen Familienkombi. Das Ruhrstadion ist im Umbau, nur 17 000 Zuschauer erleben deshalb eines der spektakulärsten Spiele der Bundesliga-Geschichte und zweiffellos das spektakulärste Spiel der VfL-Geschichte. 4:0 führt Bochum nach 53 Minuten, Werner Scholz meint: „Die Bayern hatten uns total unterschätzt.“ Dann aber dreht der Europapokalsieger in nur 20 Minuten das Spiel, führt 5:4. Bochum gleicht noch einmal aus, öffnet aber weiter die Deckung – und muss den K.o.-Schlag hinnehmen: Eine Minute vor Schluss spitzelt Sprinter Uli Hoeneß den Ball unter Werner Scholz hindurch zum 6:5 ins Netz. Eine unvergleichbare Dramaturgie, ein Spiel für die Ewigkeit. Für Werner Scholz aber „einfach nur eine Katastrophe“.

Er ereifert sich immer noch, weil er sich damals vor einigen Vorderleuten im Stich gelassen fühlte. „Beim 4:1 dachten wir ja noch alle: Naja, 4:1. Zwei Minuten später hieß es nur noch 4:2, da wurde es schon kriminell für uns. Unsere Verteidiger Hermann Gerland und Erich Miß riefen ständig, die anderen sollten zurückkommen.“ Doch deren Motto hieß längst: Jetzt oder nie – Anarchie. „Selbst beim Stand von 5:5 haben sie noch keine Ruhe gegeben, hinten waren wir immer noch in Unterzahl. Beim entscheidenden 6:5 konnte Uli Hoeneß ungestört von der Mittellinie loslaufen.“

Totenstille in der Kabine

Und danach? „Totenstille in der Kabine“, erzählt Werner Scholz. Aber er muss selbst lachen, als er hinzufügt: „Und ich war der Toteste.“ Er war machtlos angesichts der Münchener Tormaschine, aber natürlich fühlte er sich mies: „Ich habe sechs Bälle drauf bekommen, und alle waren drin. Unsere Wäschefrau musste mein Trikot nur kurz lüften, dann konnte sie es wieder in den Schrank legen.“

Bundesliga und Kreisklasse unterschieden sich damals nur in puncto Qualität, die Abläufe am Spieltag waren ähnlich. Wie nach jeder Partie gingen die Profis des VfL Bochum auch nach dem 5:6 rüber ins Vereinslokal „Haus Frein“ an der Castroper Straße, wo schon die Fans warteten. „Und hinten in der Ecke war ein kleiner Fernseher, auf dem die Sportschau lief, die man dann gemeinsam guckte“, erzählt Werner Scholz. Sportschau hieß damals: Ausschnitte von drei, vier ausgewählten Partien – „und Bochum war selten dabei“. An jenem Samstag aber schon. „Ich weiß noch genau, wie Dieter Adler das Spiel anmoderierte“, sagt Werner Scholz und fasst sich an den Kopf. „Er entschuldigte sich dafür, dass es wegen technischer Probleme keine Bilder von der ersten Halbzeit gab.“ Zur Pause hatte Bochum 3:0 geführt. „Gezeigt wurden dann alle sechs Tore, die ich kassiert habe. Da war ich richtig bedient.“

Auch zwei Tage später hatte sich Werner Scholz noch nicht beruhigt. „Ich habe ja noch halbtags bei Krupp gearbeitet“, erzählt er. Es sei nicht leicht gewesen, sich dort blicken zu lassen. „Und die Zeitungen habe ich mir gar nicht angeschaut. Ein Torwart, der sechs Stück reinbekommen hat, der konnte ja nicht Mann des Tages gewesen sein.“

Scholz kann stolz sein

Zum Glück war der VfL-Schlussmann, der 1974 von Bundestrainer Helmut Schön in das 40-köpfige vorläufige Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Deutschland berufen worden war, schon eine Woche später wieder in gewohnt starker Form, das Drama weitete sich für ihn nicht zum persönlichen Trauma aus. Werner Scholz kann stolz sein auf seine 252 Bundesligaspiele – auch wenn eines davon richtig schief lief.

Für die Fans des VfL Bochum aber hatte das 5:6-Spektakel langfristige Auswirkungen. Der Bochumer Autor Frank Goosen, heute VfL-Aufsichtsratsmitglied, schreibt in seinem Buch „Weil Samstag ist“: „Seitdem sind wir die einzige Mannschaft Deutschlands, für die es keinen beruhigenden Vorsprung gibt.“ In anderen Stadien werde bei einer hohen Halbzeitführung getanzt. „Bei uns heißt es nur: Dat is noch nich gewonnen!“