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So schrecklich und so schön ist der Stadionbesuch

So schrecklich und so schön ist der Stadionbesuch

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Foto: imago sportfotodienst

Essen. 

Wenn am Freitagabend in der Fußball-Bundesliga der 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach aufeinandertreffen, herrscht bei den Sicherheitskräften Alarmstufe eins. Wie sicher ist ein Stadionbesuch? Hier berichten fünf Sportredakteure über ihre Erlebnisse.

Spätestens seit den Jagdszenen am vergangenen Samstag im Berliner Olympiastadion, als rund 100 Chaoten den Innenraum stürmten, sind auch die Bilder vom letzten Rhein-Derby wieder gegenwärtig. Damals kreisten Polizei-Hubschrauber über dem Borussia-Park – man hatte Angst vor Krawallen. Szenen, die die Frage aufwerfen: Ist der Besuch eines Bundesliga-Spiels zu einem Sicherheits-Risiko für friedliche Fans geworden? Reflexartig ist aus politischen Kreisen ein Maßnahmenkatalog gefordert worden, der vom Verbot von Stehplätzen bis zu personalisierten Eintrittskarten reichte. Eine angemessene oder übertriebene, von Aktionismus geprägte Reaktion?

Fünf Sportredakteure der WAZ, die seit ihrer Kindheit Spiele besuchen und heute über die Bundesliga berichten, schildern ihre ganz persönlichen Erfahrungen, die sie über die Jahre gemacht haben.

Schwierige Anreise

Als kleiner Steppke habe ich einmal um meine Gesundheit gefürchtet – oder besser gesagt: Um die rot-weiße Fahne meines Heimatvereins, der Ende der 70-er in der 2. Liga Nord spielte. Fans (oder nannte man die damals schon Hooligans?) des Wuppertaler SV wollten mir auf dem Weg zum Stadion die Fahne klauen, die mir die Mutter genäht hatte. Passanten zeigten Zivilcourage und eilten mir zu Hilfe.

Und heute? Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, fühle ich mich sicher – auch bei der An- und Abreise inmitten der Fan-Gruppen. Einmal freilich war ich froh, dass ich nicht mittendrin war. Es war im Oktober 2008, als vor dem Rhein-Derby die Fans von Gladbach und Köln aufeinander los gingen. Die Zufahrtstraße zum Borussia-Park sah hinterher aus wie ein Schlachtfeld – alles war mit Glasscherben übersät. Schrecklich. (Manfred Hendriock)

Es war in der Mitte der Siebziger, wir waren früh angereist. Standen im Essener Stadion am Zaun und freuten uns, solche exklusiven Plätze ergattert zu haben – zum Jugendkartenpreis von fünf oder sechs Mark. Und dann wurde es hinter uns voller und voller, und plötzlich kam Bewegung in den Block, und plötzlich klebten wir ängstlich am Gitter. In unmittelbarer Nähe schlugen Essener und Schalker Fans aufeinander ein. Mit Fäusten, mit Fahnenstöcken, sogar mit Fahrradketten.

Zwei Jahre später tobten sich Schalker und Dortmunder Fans direkt vor dem Parkstadion aus. Als Bierflaschen flogen, suchten wir Schutz unter einem Pommeswagen.

Ich bin aufmerksam seitdem, sehr aufmerksam. Weil ich weiß, dass die Fußballwelt auch heute keine heile ist. Und doch bin ich nie wieder in ähnliche Situationen gekommen. (Peter Müller)

Besuche aus den USA

Ich stelle mir vor, ein Freund aus den USA wäre zu Besuch und äußerte den Wunsch, ein Bundesliga-Spiel zu besuchen. Ich müsste ihm erklären, dass es Unterschiede zwischen einem teutonischen FußballNachmittag und einem amerikanischen Familien-Ausflug – etwa zum Baseball – gibt.

Ich würde ihm empfehlen, keine bunte Kleidung zu tragen, weil manche Sportsfreunde auf gewisse Farben reagieren wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Ich würde ihm raten, in festes Schuhwerk zu schlüpfen, weil er mitunter durch ein Meer von Glasscherben waten muss. Ich würde ihm sagen, dass es hier normal ist, auf dem Weg zum Stadion durch ein Spalier Hunderter Polizisten zu gehen. Und eine Antwort bliebe ich ihm auch schuldig: die nach der Übersetzung der Fan-Gesänge und Schmährufe. Würde ich ihm also von einem Besuch abraten? Nein. (Carsten Oberste-Kleinbeck)

Schön genug

Es gibt Momente, in denen ich verstehe, warum es Menschen gibt, die der Meinung anhängen, dass es sich bei Fußballfans um dauerbenebelte Randalierer mit dem Intelligenzquotienten eines Dosenbieres handelt. Ich gehe schließlich seit mehr als 40 Jahren in Stadien, und in mehr als 40 Jahren erlebt man eben auch Dinge, die dumm, die gemein, brutal und abschreckend sind.

Es gibt aber auch Momente, in denen ich verstehe, warum Fans sich manchmal behandelt fühlen wie Straßendreck. Und ich behaupte, nicht jeder, der sich über den Fußball und seine ach so furchtbaren Bilder auslässt, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in einem vollgestopften U-Bahn-Waggon versucht, die letzte Luft aus der Scheibe zu saugen.

Also. Fußball war und ist nicht immer schön, war und ist aber wohl schön genug für mich und ein paar andere. (Frank Lamers)

Eiskalte Blicke

Das Erschreckende waren die Augen. So kalt, so leer. Schalke hatte beim HSV gespielt. Es gibt in Hamburg einen Fußweg zum Stadion, mitten durch einen Wald. Dort laufen sie, dort saufen sie, aber bierseliges Gegröle tötet einem höchstens den Nerv. Ein Gefühl der Bedrohung? Nein.

Das kommt später, in der S-Bahn auf dem Rückweg. in die Stadt. Dort, wo es keine Polizeipräsenz mehr gibt. Dafür gibt es Typen, die viel zu jung sind für ihre eiskalten Blicke, die man nur durch einen winzigen HSV-Aufnäher mit Fußball in Verbindung bringen kann. Und es beschleicht einen das beklemmende Gefühl: Von denen braucht keiner einen Anlass, um anzufangen.

Man trifft sie beim Fußball, ja. Öfter als früher, auch das. Aber die Frage ist nicht, wo, sondern warum man sie trifft. Die Antwort hat mit Fußball wenig zu tun. (Klaus Wille)