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Die Leidensgeschichte des früheren MSV-Profis Andreas Voss

Die Leidensgeschichte des früheren MSV-Profis Andreas Voss

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Andreas Voss Foto: Kai Kitschenberg
„Von topfit zu tot und zurück“: Der frühere MSV-Profi Andreas Voss lag nach einer Operation im Koma. Er hat sich erholt und wird nun Trainer.

Duisburg. 

Andreas Voss ist ein paar Minuten zu früh dran, er hat sich einen Cappuccino bestellt und sitzt entspannt in einer Ecke des Cafes, in das er gekommen ist, um über das Jahr 2014 zu sprechen, über sein Jahr 2014. Er macht es einem dann nicht leicht, weil er an einem Punkt die Geschichte, um die es geht, in einem Satz zusammen fasst: „Von topfit zu tot und zurück.”

Da sitzt man nun mit diesem Satz, den Voss mit einem für ihn typischen Lächeln sagt, immer etwas zurückhaltend, immer wohltuend unaufgeregt. So, als könne er selber noch immer nicht glauben, was ihm in diesem Jahr passiert ist. Oder warum. Und vor allem: dass er das alles überlebt hat.

Geplant war ein kleiner Routine-Eingriff

Am 20. Juni, einem Freitag, ist Andreas Voss in Moers ins Krankenhaus gegangen, geplant war ein kleiner Routine-Eingriff, nicht einmal eine Vollnarkose war nötig. Andreas Voss ist keiner, der vor kleinen Eingriffen große Angst hatte. Dazu hatte er im Sommer 2014 zu viele aufwendigere Operationen hinter sich.

Andreas Voss galt einmal als eines der größten Talente im deutschen Fußball, alles war da: Technik, Spielintelligenz, Begeisterung, Opferbereitschaft, Leidenschaft. Alles bis auf ein paar Knochen und Sehnen, die stabil genug waren, um den Belastungen in der Bundesliga auf Dauer standzuhalten.

Heute ist Andreas Voss 35 Jahre alt, andere spielen in diesem Alter noch in der Bundesliga. Roman Weidenfeller, der Dortmunder Torwart, Sebastian Kehl, der Abräumer im Mittelfeld. Oder Timo Hildebrand, der ewige Torwart. Voss hat mit allen gespielt, in der Junioren-Nationalelf, im Perspektivteam 2006, das es mal gab, um die besten Talente auf die WM in Deutschland vorzubereiten. Die anderen spielen, Voss wurde 2008 Sportinvalide. Mit 29 Jahren.

In der Kabine mit Ulf Kirsten

Andreas Voss zählt dann seine Verletzungen auf, es sind die Stationen eines Traums, der sich nicht erfüllt hat: beide Schultern. Zwei Operationen links, zwei rechts. Sehnenabrisse, Rückenbeschwerden, am Ende ein Knorpelschaden im Knie. Und immer wieder Operationen.

Geblieben sind Erinnerungen. An seine Anfänge bei Bayer Leverkusen, als er als junger Spieler in die Kabine kam, Ulf Kirsten und Erik Meijer sah und sich fragte: „Darf ich die duzen oder muss ich die siezen?” Später, in Duisburg, häuften sich die Verletzungen. Als der MSV 2005 in die Bundesliga aufstieg, erwischte es Voss im letzten, vollkommen unbedeutenden Zweitliga-Heimspiel gegen Karlsruhe so schwer, dass er danach die gesamte Bundesligasaison verpasste. Wehmut? „Wird immer weniger”, sagt Voss, „bestimmt habe ich mir meine Laufbahn als Spieler mal anders vorgestellt, aber mit der Zeit bekommt man eine andere Perspektive.”

Spätestens mit dem 20. Juni 2014.

Ein Routineeingriff also. Was soll bei jemandem schief gehen, der ein Dutzend Operationen als Fußballer hinter sich hat, der 35 Jahre alt ist, körperlich immer noch bestens in Schuss?

Ein Organ nach dem anderen versagt

Eine Woche nach dem Eingriff bekommt Andreas Voss hohes Fieber und Schüttelfrost. Seine Frau Daniela bringt ihn ins Krankenhaus, aber der Zustand ihres Mannes verschlechtert sich, die Schmerzen um die operierte Stelle sind nicht mehr auszuhalten, man legt Andreas Voss ins künstliche Koma. Kurz darauf versagt ein Organ nach dem anderen. Als man ihn schließlich in die Düsseldorfer Uni-Klinik verlegt, hält eine Herz-Lungen-Maschine Andreas Voss am Leben.

Inzwischen ist klar, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt. Das Herz des früheren Mittelfeld-Renners schlägt noch mit 20 Prozent seiner normalen Kraft, alle anderen Organe haben den Dienst mehr oder weniger eingestellt, die Düsseldorfer Ärzte bereiten Daniela darauf vor, dass ihr Mann sterben kann. Kann man sich das vorstellen, ohne es erlebt zu haben? Andreas und Daniela Voss haben einen Sohn, Noah, er ist fünf, und eine Tochter, Amelie, 16 Monate jung.

Dann erholt sich das Herz des Sportlers.

Dann arbeiten die Organe wieder, eins nach dem anderen, und dann weckt man Andreas Voss aus dem künstlichen Koma auf. „Ich wusste gar nicht, was passiert war”, sagt er heute, „ich dachte, ich hätte einen schweren Autounfall gehabt.”

Zurück im Leben

Die nächsten Monate werden hart. Vier Wochen bleibt Voss auf der Intensivstation, danach wochenlang in der Klinik. Dann Reha, dann ist es geschafft und Andreas Voss zurück im Leben.

Mit den körperlichen Folgen hat er bis heute zu tun, aber gemessen an dem, was hätte zurückbleiben können, hat er Glück gehabt, gewaltiges Glück. Das Gehör, ja. Rechts liegt sein Hörvermögen noch bei 25 Prozent, links bei 70 Prozent. An das Leben mit zwei Hörgeräten hat er sich gewöhnt. Die Düsseldorfer Ärzte, hat ihm seine Frau erzählt, hätten ihr gesagt, dass das passieren werde. Aber sie haben Voss gerettet.

Eine Operation ist noch notwendig

Man fragt natürlich, wie sehr sich das Leben verändert hat. Andreas Voss lächelt sein zurückhaltendes Lächeln, und irgendwie hat man die Antwort schon geahnt. Der Alltag ist zurück, und mit ihm die Pläne. Im Sommer wird Voss, der sich im Moment daheim um die Kinder kümmert, als Trainer einsteigen. Viktoria Goch, Landesliga, eine solide Adresse. „Ich bin ja immer noch fußballverrückt”, sagt Voss, „ich will wissen, wie weit ich es als Trainer bringen kann.”

Vorher geht er noch einmal ins Krankenhaus. Es muss noch ein Stück Haut verpflanzt werden, weil damals Gewebe abgestorben ist. Angst? „Nein. Diese Operation noch, dann ist die Sache medizinisch erledigt.” Dann steht Andreas Voss auf und geht. Nach Hause. Zurück ins Leben.