Veröffentlicht inSportmix

Die Asche stirbt im Revier – das bedroht manche Fußballvereine

Die Asche stirbt im Revier – manche Fußballvereine bedroht

Es ist eine Untergrund-Revolution: Die Sportplatz-Asche stirbt im Ruhrgebiet einen langsamen Tod. Der Kunstrasen kommt – für manche Vereine aber zu spät.

Ruhrgebiet. 

Peter Bartow schüttelt den Kopf. Kunstrasen? „Nein, das bräuchte ich nicht. Ich habe ja noch auf schwarzer Asche gespielt, da hat man die Kohlestücke gesehen.“ Trotzdem hat der Geschäftsführer des TV Brechten über drei Jahre für das künstliche Grün gekämpft. Er ist losmarschiert, hat Klinken geputzt, Politiker ins Boot geholt und zuletzt sogar den Ex-BVB-Profi Lars Ricken als Unterstützer gewonnen. Und Bartow hat es geschafft. Seit dieser Saison hoppelt der Ball nicht mehr über die Asche, in Dortmund-Brechten liegt nun ein Kunstrasenplatz. „Ansonsten hätte der Verein nicht überlebt“, sagt der 66-Jährige.

Es tut sich was auf den Sportplätzen im Ruhrgebiet – der Fußball erlebt eine Untergrund-Revolution. Über ein Jahrhundert lang gehörten in dieser Region der Ball und die Asche zusammen. Doch immer mehr alte Tennenplätze werden zu Kunstrasenplätzen umgewandelt, die bei den Minustemperaturen nicht knüppelhart werden, auf denen bei Regen keine Pfützen entstehen und der Ball nicht unkon­trolliert verspringt. In Dortmund liegen bereits 42 künstliche Rasenplätze (drei werden gebaut) und nur noch elf Aschenfelder, in Essen ist das Verhältnis 34 zu 35, in Bochum 21 zu 33. Alle großen Ruhrgebietsstädte bestätigen: Der Kunstrasen ist auf dem Vormarsch.

Über 55 Millionen Euro verbaut

Und das, obwohl so ein Platz in der Regel mindestens 500.000 Euro kostet. Allein in Dortmund, Essen, Bochum und Duisburg wurden so schon jetzt rund 57,5 Millionen Euro verbaut. Die Städte lassen sich die Modernisierung ihrer Anlagen einiges kosten. Die Gründe fasst Annika Vößing von der Stadt Bochum zusammen: „Kunstrasenplätze ermöglichen einen weitestgehend witterungsunabhängigen Ganzjahresbetrieb auf den Sportanlagen und garantieren somit eine wesentliche bessere Auslastungsquote der Sportplätze.“

So wie in Mülheim, die Vorzeigestadt in Sachen künstlichem Grün. Durch das „Perspektivkonzept Fußball“ existieren hier bereits 13 Kunstrasenplätze, zwei weitere sind in Planung. Im Frühjahr 2017 soll es nur noch zwei Aschenplätze geben. Doch ausgerechnet Mülheim produziert auch einen Verlierer: den TSV Broich.

Jugendleiter Bernd Bechtle kann derzeit dabei zusehen, wie seine Nachwuchskicker nach und nach zu den Nachbarvereinen rennen. Denn der TSV spielt an der Prinzeß-Luise-Straße auf einem der letzten Aschenplätze der Stadt. „Zuletzt ist unsere komplette C-Jugend abgewandert“, sagt Bechtle und ergänzt: „Bei den anderen Vereinen werden die Klamotten nicht dreckig, die Knie gehen nicht kaputt.“

Noch hat der TSV Broich zwei Jugendteams. Sollten im Frühjahr 2017 alle Mülheimer Kunstrasenplätze fertiggestellt sein, wären die Broicher die letzten Mülheimer Kicker, die auf die Asche müssen. Ob es den Verein dann noch gibt, kann Bechtle derzeit nicht sagen: „Wir krebsen am Existenzminimum.“

Ohne besseren Sportplatz „hat der Verein keine Zukunft mehr“

Mit ähnlichen Problemen hat auch der SuS Haarzopf zu kämpfen. Der Essener Bezirksligist ist auf dem Sportplatz am Föhrenweg zu Hause. Eine städtische Anlage, die in Eigenverantwortung vom Verein genutzt wird. 460.000 Euro würde der Bau eines Kunstrasenplatzes kosten, mindestens 100.000 Euro muss der Klub selbst auftreiben. Zu viel. Mit zahlreichen Spendenaktionen wurden zwar bereits 65.000 Euro aufgetrieben, doch das reicht eben nicht. „Wir haben einen der schlechtesten Plätze in ganz Essen. Wenn es nicht zeitnah mit einem Umbau klappt, dann hat der Verein keine Zukunft mehr“, erklärt Seniorentrainer Heiko Tüting.

So ein Ende drohte auch dem TV Brechten. „Anfang 2012 hat sich eine komplette Jugendmannschaft abgemeldet“, sagt Peter Bartow. Und das, obwohl der Brechtener Fußballplatz mitten im Zentrum des ruhigen Dortmunder Vororts liegt, in den viele Familien ziehen. Nachwuchsprobleme sollte es hier nicht geben. „Die Eltern wollten ihre Kinder aber nicht mehr auf den roten Schlamm schicken“, berichtet Bartow, dem damals klar war: „Wir brauchen einen Kunstrasenplatz, um zu überleben.“

Ohne Hilfe geht es nicht

Deswegen gründete Bartow einen Förderverein und gewann als Unterstützer auch den in Brechten aufgewachsenen Lars Ricken – über 10 000 Euro wurden so gesammelt. Den Löwenanteil der Kosten von knapp 500 000 Euro stemmte allerdings die Stadt Dortmund. Das zeigt: Ohne öffentliche Hilfe können die meisten Amateurvereine keinen Kunstrasenplatz bauen. Bartow: „Aber es lohnt sich. Wir haben jetzt wieder Mannschaften in allen Altersklassen.“

Der 66-Jährige denkt aber schon wieder an die Zukunft. Durch gute Pflege soll der neue Platz rund 20 Jahre halten. Spätestens dann muss er erneuert werden. Die Frage ist nur: Wie wird das dann finanziert?

Unsere schönsten Aschenplatz-Erinnerungen: Wenn Reporter am Ball sind 

Vier Sportredakteure unserer Redaktion erzählen von ihren schönsten Erlebnisse auf der roten Asche.

Das Wunder von Wanne

Alle schwärmten in höchsten Tönen. Sagenhaft! Grandios! Schöner geht’s nicht! War ja auch wirklich ein Traumtreffer, der dem niederländischen Top-Stürmer Marco van Basten 1988 im Europameisterschafts-Finale von München zum 2:0-Endstand gegen Russland gelang.

Nur ich lächelte gequält. Genau so ein Tor hatte ich auch schon mal geschossen. Die weite Flanke kam von links, ich holte halbrechts im Strafraum aus und jagte den Ball volley in den linken Winkel. Auf einem Aschenplatz in Wanne-Eickel. Kreisliga – kein Schwein hat zugeschaut.

Obendrein lästerten die Mitspieler. „Abgerutscht“, hieß es. Im Training wollte ich ihnen dann beweisen, dass das Ding kein Zufall war. Die Bälle, die ins Gebüsch flogen, werden heute noch gesucht. Peter Müller

Eine Pfütze brachte den Aufstieg

Zugegeben: Rund 25 Jahre Fußball auf der Asche waren nicht immer das große Vergnügen. Meine vernarbten Knie gehören nach unzähligen Blutgrätschen ins Museum. Missen möchte ich diese Zeit aber trotzdem nicht. Denn dieses Geläuf hat mir auch den einzigen Aufstieg meiner Laufbahn als Amateurfußballer beschert.

In der Saison 2007/2008 trug ich ausgerechnet gegen meinen heutigen Verein Ballfreunde Bergeborbeck zwei Entscheidungsspiele auf dem roten Rasen aus, die es in sich hatten. Im Hinspiel profitierte mein Team vom strömenden Regen. Der Boden war tief, die Trikots waren von Beginn an schmutzig – so wie es sich für einen typischen Kreisliga-Kick gehört. Beim Stand von 1:1 in der 90. Minute war unser Keeper schon geschlagen, doch die Kugel blieb vor der Torlinie in einer Pfütze hängen. Ich konnte den Ball klären und am Ende der Saison über den Aufstieg jubeln. An die blutigen Knie dachte keiner mehr. Martin Herms

Brisante Duelle gegen Sascha Mölders

Sascha Mölders ist eine Art Sinnbild für die Aschenplätze in Essen. Der 30-jährige Profi des TSV 1860 München ist auf dem „roten Teppich“ am Vogelheimer Lichtenhorst groß geworden. Von der F- bis zur D-Jugend lieferten sich der Vogelheimer SV und Nachbar Rot-Weiss Essen heiße Duelle um die Meisterschaft und den Pokalsieg. In den Hauptrollen: Mölders und meine Wenigkeit. Wir waren beide Spielführer unserer Mannschaften und schenkten uns im Mittelfeld keinen Zentimeter der roten Asche. Am Ende hatte stets der VSV knapp die Nase vorn. Mölders’ Weg führte über den Lichtenhorst letztlich bis in die Allianz-Arena. Meiner an den Schreibtisch in der Essener Friedrichstraße. Krystian Wozniak

Der zweite Wäschekorb im Keller

Klar, ich könnte von kaputten Knien, versprungenen Bällen und tiefen Pfützen erzählen. Mit den roten Aschenplätzen verbinde ich aber vor allem: den zweiten Wäschekorb. Der stand plötzlich im Keller. Die Ansage meiner Mutter: „Sportklamotten hier rein.“ Es war diese Zeit, als nasse und dreckige Fußballhosen wie von Zauberhand wieder in meinem Kleiderschrank landeten. Erst als ich Jahre später in meiner ersten WG lebte, verstand ich sie. Weiße Hemden hatten plötzlich rote Ascheflecken. In den Taschen meiner Jeanshosen fand ich Aschenrückstände. Also führte auch ich den zweiten Wäschekorb ein, die Flecken verschwanden. Waschen muss ich seitdem aber leider immer noch selbst. Marian Laske

Gelsenkirchens Kreisvorsitzender Peter Schywek im Gespräch 

Gelsenkirchen hinkt hinterher. In der Ruhrgebiets-Stadt gibt es bislang nur fünf Kunstrasen-, dafür aber noch 30 Aschenplätze. Wir haben mit dem Vorsitzenden des Fußball-Kreises Gelsenkirchen, Peter Schywek, gesprochen.

Herr Schywek, Gelsenkichen hat kaum Kunstrasenplätze. Woran liegt das?

Peter Schywek: Unsere Stadt ist leider pleite. Wir haben im Kreis zwar Glück, dass die Sportpauschale von Gelsenkirchen nur für den Sport genutzt wird – das sind zwischen 650 000 und 700 000 Euro –, aber mehr Mittel haben wir nicht. Und dieses Geld müssen wir für alle Sportarten nutzen, nicht nur für den Fußball. Da haben wir einfach nicht genug für neue Kunstrasenplätze.

Wie kommt das in der Gelsenkirchener Fußball-Szene an?

Peter Schywek: Das ist unbefriedigend. Die Fußballvereine sind natürlich nicht begeistert, die hätten alle gerne einen Kunstrasenplatz.

Wie soll es in Zukunft weitergehen?

Peter Schywek: Wir haben von der Stadt nun 300 000 Euro bekommen, von denen wir sechs bis acht kleine Kunstrasenfelder bauen. Da ist mir der Spatz lieber in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die Stadt ist momentan überfordert. Es müssten Mittel vom Land und Bund kommen.