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Watzke definiert den BVB „nicht über Spiele gegen Schalke“

Watzke definiert den BVB „nicht über Spiele gegen Schalke“

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BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke beim Redaktionsbesuch. Foto: Michael Kleinrensing
Hans-Joachim Watzke gibt sich gelassen vor der neuen Saison und den Erwartungen, die auf Borussia Dortmund nach den Erfolgen der Vorjahre ruhen. Als Saisonziel gibt der Geschäftsführer das Erreichen der Champions League aus. Dem Reviernachbarn Schalke fühlt er sich zu ewiger Rivalität verpflichtet, er mache sich über die königsblaue Gedankenwelt aber so wenig Gedanken wie nie zuvor. Wir haben mit Watzke gesprochen.

Hagen. 

Eine Woche vor dem Start der Fußball-Bundesliga spricht Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer bei Borussia Dortmund beim Redaktionsbesuch über Anforderungen und Erwartungen, Neuverpflichtungen – und über einen Smoking, den er gar nicht hat.


Herr Watzke, mögen Sie eigentlich Veränderungen?

Hans-Joachim Watzke: Das kommt auf die Veränderung an.

Borussia Dortmund stand im Finale der Champions League. Wie viel wird das in Ihrem Verein verändern?

Watzke: Das aktuelle Bild von Borussia Dortmund ist so, wie ich mir das immer vorgestellt habe. Dass sich im Erfolgsfall auch Dinge verändern würden, war mir klar.

Welche sind das?

Watzke: Wir müssen heute eine Symbiose aus Langfristigkeit und Kurzfristigkeit finden. Das heißt: Wenn Mario Götze zu den Bayern geht, können wir nicht einen Spieler holen, der uns erst in drei Jahren weiterbringt. Wir haben Henrikh Mkhitaryan für viel Geld verpflichtet, weil wir sofort eine Lösung benötigten. Aber wir beschreiten ausdrücklich nach wie vor beide Wege. Vor einem halben Jahr haben wir etwa Marian Sarr von Bayer Leverkusen für eine siebenstellige Summe geholt, weil wir perspektivisch in zwei, drei Jahren eine hochwertige Lösung auf der Innenverteidiger-Position benötigen. Und in der Vorbereitung konnte jeder Fan sehen, was unsere jungen Spieler um Jonas Hofmann zu leisten im Stande sind.

Das heißt, Sie verändern Ihre Philosophie?

Watzke: Wenn sich ein Klub so entwickelt, wie es Borussia Dortmund getan hat, dann kann man nicht immer ausschließlich mit 21-Jährigen weiterspielen. So kommen wir international keinen Meter weiter. Aber wir müssen auch nicht so tun, als ob wir die Rächer der Enterbten wären. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen.

Wie sehr unterscheidet sich dieser Weg von Bayern München?

Watzke: Wir haben einen anderen Weg, das ist auch durch die Wurzeln bedingt. Das Land Bayern hat für sich schon immer in der deutschen Geschichte eine Ausnahmestellung beansprucht, dieses „Mia san Mia“ ist Ausdruck dessen, und hat durch die richtigen politischen Weichenstellungen speziell unter Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber eine Ausnahmeposition unter den Bundesländern. Das war in den 50er Jahren nicht so – zufälligerweise war da auch nie ein bayerischer Klub Deutscher Meister. Wir in NRW haben nicht so viel Grund zu überbordendem Selbstbewusstsein. Wir sind ein gesellschaftlicher Gegenentwurf.

Aber die Erwartungshaltung steigt mit jedem Erfolg.

Watzke: Wir müssen schauen, dass wir diesen neuen Anforderungen gerecht werden – wobei wir das Erwartungsumfeld nicht hypen. Es wäre komplett unrealistisch zu glauben, dass wir 2013/2014 wieder ins Halbfinale oder Finale der Champions League kommen.

Warum?

Watzke: Weil wir vom Etat her ungefähr an 30. Stelle in Europa liegen. Da ist das nun mal unrealistisch. Das heißt nicht, dass es unmöglich ist, das haben wir ja gerade gezeigt. Aber Manchester City oder Chelsea werden nicht häufig in der Vorrunde ausscheiden. Daraus resultiert eine noch höhere Dichte in den K.o.-Spielen. Da ist es immer knapp. Unsere vergangene Saison wird so positiv beurteilt, weil wir eine fantastische Champions-League-Runde gespielt haben. Aber gegen Malaga waren wir ja quasi schon ausgeschieden.

Das bedeutet?

Watzke: Jede Saison hat zwei, drei Momente, in denen sie sich entscheidet. Und die sind 2012/2013 im Europapokal für uns positiv verlaufen. Aber genauso kann es sein, dass das wieder anders ist. Insofern ist es nicht wahrscheinlich, dass wir von Startplatz 30 aufs Treppchen fahren. Wir müssen Realisten bleiben. Ich habe überhaupt keine Lust, irgendwelchen Zielen hinterher zu hecheln und dadurch permanent für eine selbstinszenierte Lähmung zu sorgen, so wie das der eine oder andere Verein macht. Wir wollen wieder direkt in die Champions League, wenn wir das nicht schaffen, haben wir es nicht gut gemacht.

Also: Hier München, da Dortmund. Keine Gemeinsamkeiten?

Watzke: Bislang war das ja bei uns so, dass uns die Meisten gut fanden. Das wird mit dem zunehmenden Erfolg weniger. Wir werden in den nächsten Jahren nicht mehr Everybody’s Darling sein. Wir bewegen uns auf zehn Millionen Fans zu, was automatisch auch eine Gegenbewegung von Menschen nach sich zieht, die dich mies finden. Das ist der Erfolgsgeschichte geschuldet. Aber das ist mir lieber, als wenn uns die Leute dafür lieben, dass wir komplett erfolglos sind.

Wird der Zuwachs an Fans erneut für ein Rekordergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr sorgen?

Watzke: Dazu darf ich nichts sagen. Aber wir haben nun zweimal hintereinander einen Rekordumsatz und einen Rekordgewinn vermeldet. Es gibt wenig Anlass zu befürchten, dass sich die Dinge ins Negative verkehren.

Der BVB hat im Winter Ivan Perisic für acht Millionen Euro verkauft und keinen Ersatz verpflichtet. Hinzu kommen die 37 Millionen für Mario Götze. Damit sind die Transferausgaben dieses Sommers schon fast gedeckt. Werden Sie nicht belächelt, dass Sie Teile der horrenden Champions-League-Einnahmen bunkern?

Watzke: Wenn man so die vergangenen Jahre verfolgt, ist der Kreis derer, die das belächeln, durchaus kleiner geworden.

Für Henrikh Mkhitaryan haben Sie 25 Millionen Euro locker gemacht. Warum?

Watzke: Zunächst einmal sprechen wir nie in den Medien über konkrete Zahlen. Aber Sie haben Recht, dieser Transfer war für unsere Verhältnisse etwas Außergewöhnliches. Es war schwer, Henrikh zu bekommen, weil er bei einem der reichsten Klubs der Welt spielte. Es haben ja schon größte Klubs vergeblich versucht, ihn zu holen. Im Sommer war die Tür aus vielschichtigen Gründen einen Spalt weit offen. Und wir haben es geschafft, gemeinsam mit viel Geduld durch diese Tür zu gehen.

Wie ging die Tür auf?

Watzke: Aus seinem Umfeld und von seinem Berater haben wir im Mai oder Juni gehört, dass er gerne zu Borussia Dortmund möchte. Er wollte in den Westen. Er hat gemerkt, dass er in Donezk noch 15 Mal Landesmeister werden kann, ohne dass das große Resonanz finden würde. Donezk ist zudem stark von brasilianischen Spielern geprägt, und ich glaube, dass die Südamerikaner dort ein ziemlich geschlossenes Gebilde abgegeben haben. Und schließlich hat ihn in den Spielen gegen uns (Champions-League-Achtelfinale, d. Red.) beeindruckt, wie und vor welcher Kulisse wir Fußball spielen. Vor dem Supercup-Spiel stand er strahlend wie ein kleines Kind vor der Südtribüne und hat zugesehen, wie sie sich füllt.

Hatten Sie nie Zweifel?

Watzke: Das war kein Problem. Wir waren uns nach drei Minuten einig, weil alle begeistert von ihm waren. . Aber wir wussten da noch nicht, was das für ein Junge ist. In Donezk hat er Heldenstatus gehabt. Die Jungs in der Mannschaft waren nach wenigen Tagen völlig begeistert von ihm – nicht nur aufgrund seiner fußballerischen Klasse, sondern weil er sich auch sonst extrem intelligent, geerdet, bescheiden, selbstbewusst und offen gibt. Und die vielen Sprachen, die er spricht, spricht er perfekt. Wenn ich sehe, was der schon an Deutsch kann. Beim Turnier in Mönchengladbach sitzt er neben mir auf der Tribüne, als die Mannschaften und der Schiedsrichter auf den Platz kommen. Auf einmal sagt Henrikh: „Es geht los. Es ist angerichtet.“ Ich habe mich kaputtgelacht, das fand ich sensationell.

Wie ist Ihr Verhältnis derzeit zu Robert Lewandowski?

Watzke: Natürlich habe ich mich mit unserem Sportdirektor Michael Zorc und Trainer Jürgen Klopp beraten, aber letztendlich ist es vor allem meine Entscheidung gewesen, dass er beim BVB bleibt. Dass er mir die dann übel nimmt und nicht einem seiner Kollegen, ist doch normal. Ich verstecke mich da hinter niemandem. Robert hat den Wunsch geäußert, nach München zu wechseln. Das ist legitim, das finde ich auch besser, als wenn einer noch ein halbes Jahr lang sein Trikot küsst – und plötzlich ist er weg. Aber dieser Wechsel hat sich eben nicht ergeben. Für mich ist nur eines entscheidend: Wie sieht es auf dem Trainingsplatz und im Spiel aus. Und da sage ich: alles ok.

Die Berater und offenbar auch der Spieler sagen aber, es gäbe noch Gesprächsbedarf. Ihm seien Prämien versprochen worden.

Watzke: Sie wissen ja aus der Vergangenheit, dass Borussia Dortmund derlei Themen grundsätzlich noch nie in der Öffentlichkeit diskutiert hat. Ich denke, das gehört sich einfach so.

Haben Sie den Weggang von Mario Götze verwunden?

Watzke: Mich hat das emotional nicht so sehr beschäftigt wie den einen oder anderen. Ich war vom Zeitpunkt überrascht, aber nicht von der Destination. Mario Götze hat für einen 21-Jährigen die erstaunliche Reife gehabt, uns das selbst ins Gesicht zu sagen. Davor habe ich Respekt. Wir haben uns im Sommer gut verstärkt und schauen nur nach vorn. Mario wünschen wir wirklich alles Gute!

Den verlorenen Söhnen Nuri Sahin und Shinji Kagawa haben Sie gesagt, dass die Tür für eine Rückkehr immer offen stünde. Gilt das auch für Mario Götze?

Watzke: Bei Nuri habe ich gespürt, dass es eine Millimeterentscheidung war. Er hat es sich sehr schwer gemacht. Ich habe regelrecht gefühlt, wie er sich mit diesem Verein identifiziert. Shinji hat aus eigenem Antrieb gesagt, dass er sich eine Rückkehr in der Zukunft vorstellen könnte. Das hat uns natürlich sehr gefreut. Wir würden solche Entscheidungen ganz grundsätzlich immer vor dem Hintergrund treffen, was in der Zwischenzeit passiert ist.

Ist der BVB der Rivalität mit Schalke entwachsen?

Watzke: Für unsere Fans ist das Derby etwas ganz Besonderes. Bei mir ist es nicht mehr so, dass ich über die Spiele gegen Schalke unseren Klub definiere. Wir sind zu ewiger Rivalität verpflichtet, ja. Aber ich mache mir über die königsblaue Gedankenwelt so wenig Gedanken wie nie zuvor. Dazu haben wir zu viele andere Herausforderungen, die uns bewegen. Ich persönlich finde, dass sie mit ihren Aussagen über uns und den medialen Quervergleichen sehr forsch auftreten und ich frage mich, ob sie sich damit einen Gefallen tun. Ich habe da eine Meinung, aber die behalte ich für mich.

BVB-Boss Watzke über den spanischen König Juan Carlos und Rot-Weiß Erlinghausen 

Sie sitzen auf der Tribüne neben dem spanischen König und bewegen viel Geld. Fällt es Ihnen manchmal schwer, die Bodenhaftung zu behalten?

Watzke: Natürlich ist es interessant, wenn man Leute wie Juan Carlos kennen lernt. Man darf es aber nicht überhöhen. Ich habe nicht eine Sekunde ungefragt darüber gesprochen. Aber nachdem das im Fernsehen ein paar Mal gezeigt worden ist, kamen nach dem Spiel 30 Journalisten auf mich zu und haben mich dazu befragt. Ich bin immer der Gleiche geblieben. Hundertprozentig. Ich habe ja zugegeben selbst immer wieder erlebt, dass Leute, die stark im Rampenlicht standen, ein Problem damit hatten, allein zu sein. Aber auch das kann ich nach wie vor sehr gut.

Gibt es noch mehr Menschen, die so ticken wie Sie, in der Unterhaltungsbranche Fußball?

Watzke: Keine Ahnung. Ich bin kein Party-Löwe, das ist nicht mein Ding. Ich bekomme permanent Einladungen, die ich absage. Ich habe gar keinen Smoking, ich brauche auch keinen. Jede Veranstaltung, zu der ich mit einem Smoking erscheinen müsste, sage ich ab, weil ich mich dann nicht wohlfühle. Auch diese ganzen Etikette, wie tief muss man sich beim Handkuss herunterbeugen? Das ist nicht meine Welt. Da gucke ich mir lieber montags abends Energie Cottbus gegen irgendwen an. Das ist mein Kerngeschäft, da fühle ich mich wohler, davon habe ich mehr.

Wie oft sind Sie eigentlich noch im Sauerland bei Ihrem Klub Rot-Weiß Erlinghausen?

Watzke: Inzwischen wieder häufiger.

Warum?

Watzke: Weil mein Sohn jetzt dabei ist. Das war ja komplett eingeschlafen, ich habe nur noch drei, vier Spiele im Jahr gesehen, weil der Sonntag häufig genug der einzige Tag ist, an dem ich etwas regenerieren kann und Zeit für die Familie habe. Wenn ich dann jeden Sonntagnachmittag zum Fußball gehe, sorgt das nicht für große Begeisterung. Aber mein Sohn ist jetzt von der A-Jugend in den Kader der ersten Mannschaft gerückt und kämpft um einen Stammplatz. Das ist eine andere Sache, das macht mich dann wieder nervös, wenn ich weiß, er spielt und ich sitze Zuhause. Das könnte ich nicht.