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Marcel Raducanu – Die Flucht zum BVB

Marcel Raducanu – Die Flucht zum BVB

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Foto: WAZ FotoPool
In den 1980er Jahren war der Rumäne Marcel Raducanu der Star im Dortmunder Mittelfeld und der Liebling der Fans. Einst floh er aus Rumänien, um beim BVB Fußball zu spielen, heute bildet er junge Kicker in seiner Fußballschule in Dortmund aus.

Dortmund. 

„Der Chef kommt gleich“, sagt der Mann hinter der Theke, „trinken Sie schon mal einen Espresso.“ Einige Minuten später ist der Chef da. Marcel Raducanu zieht ein wenig die Schultern ein. „Ich komme gerade vom Heilpraktiker. Die Halswirbelsäule spielt manchmal nicht mehr so mit, wie ich es mir wünsche“, sagt er, „aber um meinen Jungs noch ein paar Tricks vorzuführen, dazu reicht es immer noch.“ Und dann zeigt er auf das große Feld, wo sich die Talente von morgen die Bälle zupassen. Marcel Raducanu ist stolz auf seine Fußballschule, in der er unweit des Dortmunder Stadions schon einigen Tausend Nachwuchskickern das ABC des Fußballs beigebracht hat.

Seit 1994 ist er sein eigener Chef. „Damals habe ich als einer der ersten Profis eine eigene Fußballschule aufgebaut. Für mich war es wie ein Sechser im Lotto“, sagt der 58-Jährige.

BVB-Zauberer Raducanu hat in Dortmund seine zweite Heimat gefunden

Dortmund ist für den Rumänen längst zur Heimat geworden. Ernsthaft hat er nie an eine Rückkehr nach Bukarest gedacht. „Ich würde in Rumänien nicht mehr klar kommen“, sagt er, „ich habe mich im Westen ganz anders entwickelt. Von der Mentalität, von der Denkweise.“ Heute ist er sein eigener Chef, von 1982 bis 1988 war er der Chef im Mittelfeld von Borussia Dortmund. Heute hat der BVB mit Stars wie Mario Götze oder Marco Reus eine Mannschaft auf höchstem technischen Niveau, damals zauberte nur einer: Marcel Raducanu.

Seine Flucht aus Rumänien nach Deutschland hat der Techniker mit dem feinen Füßchen nie bereut. „Ich bedauere nur, dass ich nicht schon mit 20 Jahren abgehauen bin“, sagt er rückblickend. Mit fast 27 Jahren setzte Raducanu das in die Tat um, wovon er schon eine ganze Zeit lang geträumt hatte. Es war keine Flucht aus finanziellen oder politischen Gründen, gibt er zu.

Als Fußballer des Jahres ist er einer der populärsten Sportler seines Landes. Er ist Hauptmann der Armee, er besitzt ein großes Haus. „Aber ich wollte mir beweisen, dass ich mich als Fußballer auch im Westen durchsetzen kann“, sagt er.

Raducanu floh aus dem Dortmunder Stadion

Am 31. Juli 1981 schiebt er endgültig alle Bedenken beiseite, welche Repressalien ihm und seiner Familie bei einem missglückten Fluchtversuch drohen könnten. Mit einem rumänischen Freund aus Hannover tüftelt er einen Fluchtplan aus. Ein Freundschaftsspiel mit seinem Klub Steaua Bukarest in Dortmund soll zu seiner großen Chance werden.

„In der ersten Halbzeit habe ich alles gegeben. Man sollte doch sehen, wie gut ich Fußball spielen kann“, erinnert er sich mit einem Schmunzeln. In die Kabine geht Raducanu dann schon humpelnd. Er hält sich das Knie, erzählt dem Arzt, dass es ihm weh tue und er deshalb wohl nicht weiter spielen könne. Der Mediziner wundert sich zwar, sagt aber nur: Mensch, Marcel, das kann doch gar nicht sein, du hast doch gerade noch groß aufgedreht. „Plötzlich stand ich ganz allein in der Kabine. Ich habe mir gesagt, so viel Glück kannst du gar nicht haben“, erzählt Raducanu, „dann bin ich einfach abgehauen. Nur Jupp, der Busfahrer der Borussia, hat mich gesehen, als ich das Stadion verlassen habe. Mein Freund aus Hannover wartete mit laufendem Motor auf mich.“

Aber so fix er auch die Gelegenheit zur Flucht ergriffen hatte, ganz so schnell ging der Weg des Marcel Raducanu auf die Rasenflächen der Bundesliga-Stadien nicht weiter. Seine Flucht wurde in Rumänien als Fahnenflucht gewertet und er in Abwesenheit zu fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Der Europäische Fußball-Verband sperrte den Flüchtling für ein Jahr – und obendrein lieferten sich Hannover 96 und Borussia Dortmund einen Rechtsstreit um die Dienste des Filigrantechnikers. Nach dem Gala-Auftritt von Raducanu in der ersten Halbzeit seines letzten Spiels für Steaua Bukarest erwachte nämlich das BVB-Interesse an der Verpflichtung des Mittelfeldregisseurs. „Der damalige Trainer Branko Zebec hat Präsident Reinhard Rauball gesagt, hol’ den Raducanu“, erinnert sich der Umworbene.

Die BVB-Fans schlossen ihn sofort ins schwarz-gelbe Herz

Ein Jahr später durfte Raducanu dann endlich seine Tricks für Borussia Dortmund in der Bundesliga zeigen. Die Fans schlossen ihn sofort in ihr schwarz-gelbes Herz. „Es war unglaublich“, sagt Raducanu, „wenn das ganze Stadion deinen Namen ruft, dieses Gefühl kann ich bis heute nicht richtig beschreiben.“ Nach zwei Jahren holte er seine Frau und seinen Sohn aus Rumänien nach Deutschland. Illegal. Über Serbien. „Das war das schlechteste Geschäft meines Lebens“, sagt er, „Ich habe dafür 200 000 Mark bezahlt. Zwei Wochen später hat mich meine Frau verlassen. Aber es hätte auch in Rumänien passieren können. Die Hauptsache ist, dass ich meinem Sohn ein besseres Leben im Westen geschenkt habe.“

Raducanu erlebte auch die schweren Jahre der Borussia 

Der Publikumsliebling erlebte aber nicht nur rosige Tage in Dortmund. In der Saison 1985/86 ging beim BVB einiges schief. Und so stand die Borussia plötzlich in den Relegationsspielen gegen Fortuna Köln. „Nach dem ersten Spiel waren wir fast abgestiegen. Köln gewann 2:0“, erinnert er sich. Den Pfingstmontag 1986 wird Raducanu nie mehr vergessen.

Es ging um die sportliche Existenz seiner Borussia. Köln führte zur Pause mit 1:0. Michael Zorc erzielte dann das 1:1. Und dann glückte ausgerechnet Raducanu das, was er eigentlich gar nicht kann. Nach Flanke von Daniel Simmes traf Raducanu zum 2:1. „Ich habe einfach meinen Kopf hingehalten. Plötzlich war der Ball im Winkel. Unglaub-lich, das war mein erstes und letztes Kopfballtor für den BVB.“ Jürgen Wegmann ermöglichte der Borussia schließlich mit dem 3:1 ein drittes Spiel, das der BVB dann klar mit 8:0 gewann.

Bis 1988 spielte Raducanu für Dortmund noch in der Bundesliga, ehe ihn Trainer Hannes Bongartz zu einem Wechsel zum FC Zürich überredete. Drei Jahre blieb er in der Schweiz. Doch nach Beendigung seiner Karriere zog es Raducanu zurück nach Dortmund. „Mit der Fußballschule habe ich hier mein Glück gefunden“, sagt er. Mario Götze hat bei ihm als Zwölfjähriger gespielt, darauf ist Raducanu stolz.

Heute ist das Verhältnis zu seiner Borussia ein wenig getrübt, weil die Dortmunder ihren Nachwuchs selbst ausbilden. „Heute arbeite ich mit Talenten, damit sie dann den Sprung in die Borussia-Jugend schaffen“, sagt Raducanu. An den Wochenenden zieht es ihn dann meist ins Stadion: „Was Jürgen Klopp in Dortmund aufgebaut hat, das ist toll. Es gibt unheimlich viele kreative Spieler.“ So schwärmt einer der besten Ballkünstler der BVB-Geschichte.