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Die unglückliche Geschichte des Ex-Schalkers Volkan Ünlü

Die unglückliche Geschichte des Ex-Schalkers Volkan Ünlü

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Ein denkwürdiges Spiel beim VfL Bochum, Tränen unter Ralf Rangnick und und eine unglückliche Reise durch drei Länder: Die Geschichte des früheren Schalke-Torwarts Volkan Ünlü, der nach dem Spiel in Bochum nie wieder in der Bundesliga auftauchte – obwohl er seiner Mannschaft sogar den Erfolg rettete.

Gelsenkirchen. 

Nun also im Nordsternpark, Volkan Ünlü hat das Restaurant Heiner’s vorgeschlagen – er wohnt nicht weit davon entfernt. Dabei wäre es vielleicht auch eine gute Idee gewesen, sich in Bochum zu treffen, direkt im Stadion an der Castroper Straße, wo diese Geschichte spielt. Die Geschichte von einem jungen Schalker Torwart, der den Traum von einer schönen Karriere hatte – und der nach einem denkwürdigen Spiel beim VfL Bochum nie wieder in der Bundesliga aufgetaucht ist. Die Geschichte von Volkan Ünlü.

Wir sitzen also im Heiner’s, und Volkan Ünlü weiß, dass es um diesen 27. März 2004 gehen soll. Schalkes Torwart Frank Rost ist seit ein paar Wochen verletzt, und Ünlü, damals 20, hat als Stellvertreter den Vorzug vor dem gleichfalls aufstrebenden Christofer Heimeroth (22) bekommen. Schalkes Trainer Jupp Heynckes hält viel von dem jungen Türken, Ünlü hat das Vertrauen in den drei Spielen zuvor einigermaßen rechtfertigen können. Eine Karriere scheint ihren Lauf zu nehmen – in so einer Situation blendet man aus, dass der Körper Warnsignale sendet.

Probleme mit dem Gesäßmuskel

Bei Ünlü ist es der Gesäßmuskel, der ihm zu schaffen macht. Schon in den Tagen zuvor hatte er Probleme, und vor dem Spiel in Bochum war ihm klar: „Es geht eigentlich nicht.“ Doch er will nicht nein sagen, er will das, was er sich erarbeitet hat, nicht durch eine Absage aufs Spiel setzen. Ünlü empfindet das Vertrauen von Heynckes als „eine Chance, die vielleicht nie wieder kommt“. Also lässt er sich Spritzen gegen die Schmerzen geben und stellt sich in Bochum ins Tor. Heute, neun Jahre später, weiß er, dass dies ein Fehler war. Denn seine Bundesliga-Karriere ist an diesem Samstag, nach dem Spiel in Bochum, vorbei.

Der Torwart, der schon in der Jugend für die Königsblauen gespielt hat, setzt sich sehr unter Druck, will nur keinen Fehler machen – und dann patzt er gleich beim Bochumer Führungstor durch Martin Meichelbeck. Er zögert beim Rauslaufen, kommt zu spät gegen den erfahrenen Bochumer, und der Ball zappelt im Netz. Fortan erlebt er das Spiel wie in Trance, die Bälle fliegen ihm nur so um die Ohren, die Bochumer Fans stimmen bittere Schmähgesänge an. Bei einem Eckball faucht ihn sein Mitspieler Jörg Böhme an: „Wolle, was ist los mit Dir?“ Ünlü denkt in diesen Minuten an alles – nur nicht daran, sich in der Halbzeit auswechseln zu lassen. Selbst wenn Heynckes ihn gefragt hätte: „Ich wäre nicht rausgegangen.“

„Nach so viel Pech hatte ich da einfach Glück“

Denn er will seine Patzer nur wieder gutmachen. Und tatsächlich: Nachdem Schalke durch Tore von Thomas Kläsener und Michael Delura das Spiel gedreht hat, verhindert Ünlü kurz vor Schluss mit einem großartigen Reflex ein Eigentor von Kläsener und rettet Schalke damit den 2:1-Sieg. „Ich weiß nicht, wie ich den gehalten habe, noch dazu auf der verletzten Seite“, sagt Ünlü heute. Er glaubt: „Nach so viel Pech hatte ich da einfach Glück.“

Trotzdem will er nach dem Spiel nur noch nach Hause, doch auf dem Weg in die Kabine fängt ihn Co-Trainer Eddy Achterberg ab und schickt ihn zu den Fans. Und da übermannen ihn die Gefühle: Als ihn Nico van Kerckhoven tröstend in den Arm nimmt, fängt er bitterlich an zu weinen. Es ist alles zu viel, die Emotionen müssen raus. „Aber“, betont Ünlü heute, mit dem Abstand von neun Jahren: „Das waren keine Tränen, weil ich so schlecht gespielt habe, sondern ich habe geweint, weil wir gewonnen haben. Die Mannschaft hat für mich gespielt, das hat mich bewegt.“ Er nennt es „Tränen der Erleichterung“, für ihn waren es Tränen des Siegers. Aber eigentlich weiß er schon da: „Ich war so oder so der Verlierer.“

Keine Chance unter Rangnick

Dass es auch mit der Bundesliga-Karriere vorbei ist, will Ünlü in diesem Moment noch nicht wahrhaben. Heynckes hatte ihm versprochen, ihn nach Möglichkeit noch einmal spielen zu lassen („Ich will nicht, dass du Bochum so in Erinnerung behältst“), doch als sein Förderer in der nächsten Saison entlassen und durch Ralf Rangnick ersetzt wird, kräht auf Schalke kein Hahn mehr nach ihm. Denn der Fußball-Professor konnte mit dem geknickten Torwart nichts anfangen. Rangnick habe ihn links liegen lassen. Ünlü sagt leise: „Manchmal habe ich nach dem Training in der Kabine gesessen und geweint, denn ich wusste einfach nicht, was Rangnick von mir wollte.“ Er fühlt sich vom Trainer „gnadenlos rasiert“.

Ünlü, damals der Torwart der türkischen U 21, bleibt nur die Flucht: Er wechselt in die Heimat seiner Eltern zu Besiktas Istanbul, weil er hofft, sich dort für die A-Nationalmannschaft empfehlen zu können: Sein Traum ist es, bei der WM 2006 in Deutschland für die Türkei im Tor zu stehen. Aber auch bei Besiktas kann er sich nicht durchsetzen und zieht weiter: Von Verein zu Verein, insgesamt über sieben Stationen in der Türkei, Holland und Deutschland – zuletzt in der Regionalliga Süd bei der SG Sonnenhof Großaspach; derzeit hält er gerade wieder Ausschau nach einem neuen Klub. Doch er kann ziehen, wohin er will – dieser Tag in Bochum verfolgt ihn überall hin: „Immer, wenn ich einen Verein gesucht habe, haben mich die Leute gefragt, was damals in Bochum passiert ist“, erzählt Ünlü. Nüchtern stellt er fest: „Auf dieses eine Spiel wird man ein Leben lang reduziert.“

„Zu wenig aus meinen Möglichkeiten gemacht“

30 Jahre wird Volkan Ünlü nun bald. Er glaubt, dass ihn die Erfahrung aus Bochum habe reifen lassen in seiner Entwicklung als Mensch, aber als Sportler war das Erlebte nicht zu verkraften. „Ich habe zu wenig aus meinen Möglichkeiten gemacht“, sagt er selbstkritisch und rührt nachdenklich in seinem Milchkaffee: „Eigentlich möchte ich noch mal Fußball spielen, und nun sitzen wir hier in einem Cafe und reden über ein Spiel, das schon lange vorbei ist.“ Seine Mutter, das erwähnt er beiläufig, habe sich danach nie wieder ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen können: Zu groß war das Leid, zu tief waren die Wunden, die dieser 27. März 2004 auch bei ihr hinterlassen hat.

Bochum, das Stadion an der Castroper Straße: Es wäre wohl doch keine so gute Idee gewesen, sich gerade dort noch mal zu treffen.