Veröffentlicht inReise

Warum Tim und Struppi auch heute noch so beliebt in Belgien sind

Warum Tim und Struppi auch heute noch beliebt sind

050414_tintin_ligyht--543x199.jpg
Die Belgier zählen zu den Comic-vernarrtesten Völkern der Welt. In Brüssel wird die Geschichte vieler Comic-Helden in verschiedenen Museen erzählt. Und auch Tim und Struppi erfinder Hergé ist 28 Jahre nach seinem Tod so präsent wie kein zweiter.

Brüssel. 

Die Kellnerin überlegt nur einen Moment, dann hebt sie zu einer Lobrede an: „Hergé ist Belgien. Hergé ist gut.“

Zu Hergé hat jeder Belgier eine Meinung – und fast immer ist es eine positive. Auch 28 Jahre nach seinem Tod ist der belgische Zeichner in Stadt und Land präsent wie kein zweiter. 2009 öffnete in Louvain-La-Neuve sogar ein eigenes Hergé-Museum. Natürlich geht es darin vor allem um seine bekanntesten Figuren: Tim, den rasenden Reporter mit Tolle, und dessen Foxterrier Struppi. 1929 bestanden die beiden in der Sowjetunion ihr erstes Abenteuer. Seitdem lösten sie bis 1976 in 25 Bänden geheimnisvolle Rätsel – ohne auch nur einen Tag zu altern.

Im modernen Bau veranschaulichen Originalzeichnungen, wie der Autor von den ersten Skizzen zu seiner berühmten „klaren Linie“ fand. Eindeutige Umrisse und einfarbige Flächen ohne Schatten wurden sein Markenzeichen. Am Ende aber bleibt vor allem das Bild des ewigen Pfadfinders in Erinnerung.

Schlumpfmuseum mit Mini-Haus

Gestattet das Hergé-Museum den Blick in eine eigene Welt, so erschließt ein Besuch im Comic-Museum in Brüssel gleich mehrere Universen. Hier sind sie alle vertreten, Belgiens Große: Ein Schlumpfmuseum mit Mini-Haus, Mini-Klavier und Mini-Harfe zeigt die Welt der kleinen Blauen, die der Zeichner Peyo 1958 aus dem Dunkel ans Licht zerrte. Lucky Luke steht plötzlich lebensgroß hinter der Saloontüre, Morris’ unerschütterlicher Cowboy. Und natürlich ist auch Gaston vertreten, der faule aber dennoch sympathische Bürobote, geschaffen vom oft depressiven Genie André Franquin.

All diese und noch mehr Sprechblasenwelten sind versammelt in einem ehemaligen Textilkaufhaus von 1906, mit gläserner Kuppel, Eisensäulen und zierlichen Balustraden. Warum aber gelten gerade die Belgier neben US-Amerikanern und Japanern als eines der Comic-vernarrtesten Völker der Welt? Wie kommt es, dass hier allein im letzten Jahr 4000 neue Comics erschienen sind?

Bildergeschichten als Kommunikationsmittel

Willem De Graeve, den 35-jährigen Direktor des Museums, wundert das nicht: „Zum einen hat Hergés großer Erfolg viele junge Künstler inspiriert.“ Zum anderen stellten gerade in einem mehrsprachigen Land Bildergeschichten ein beliebtes Kommunikationsmittel dar. Und so bieten unzählige Comic-Läden in der Hauptstadt ein breites Sortiment. Die Boutique „Tintin“ offeriert Tim als Schlüsselanhänger. Das MOOF (Museum of Original Figurines) stellt jede Menge dreidimensionalen Comic-Schnickschnack aus. Und am Manneken Pis turnen hoch über der Straße Tim und Haddock über eine Treppenflucht. Es ist eines der 45 Comic-Wandgemälde, die seit 1991 die Stadt verschönern.

„Ich trinke Bier. Ich habe 1500 Comic-Hefte zu Hause. Ich bin ein typischer Belgier“, stellt Stadtführer Didier Rochette sich vor, und die Vorliebe für das Nationalgetränk zeichnet sich unübersehbar hinter seinem Gürtel ab. Heute führt er auf Hergés Spuren in die Altstadt, ins Marolles-Viertel. Alte Fabrikschornsteine zeugen davon, dass hier einst Dampfmaschinen gebaut wurden, die restaurierten Blocks aus den 1920er Jahren gelten inzwischen als schick. Der Flohmarkt auf dem Place de Balle ist voll mit Krimskrams, zerfledderte Comicbände aber legen einen Schleier belgischen Flairs darüber.

Rund 200 überlebensgroße Figuren

Ein paar Meter weiter leuchtet eine weitere Comicwand: Ein Polizist beobachtet durch ein Astloch ein Fußballspiel, während zwei Kinder lange Gesichter machen. Die Szene ist Hergés „Stups und Steppke“ entnommen, den Abenteuern zweier abgerissener Straßenjungen. Sie passt noch immer hierher: Denn auch wenn inzwischen Besserverdiener ins Viertel drängen – noch ist das Marolles ein Quartier der einfachen Leute: Es gibt eine öffentliche Dusche, und das Pfandhaus haben schon viele von innen gesehen.

Ein Aufzug fährt in die Oberstadt. Im Rücken des gigantomanischen Justizpalastes, den der verdrehte Architekt Joseph Poelaert hingeklotzt hat, geht der Blick hinunter auf die überraschend grüne, abwechslungsreiche Stadt bis zum Atomium. Von hier bringt die Metro die Besucher nach Stokkel. Und dort, am Ende der M1, marschiert sie noch einmal auf, die Parade der Schurken, Sonderlinge und Helden: Rund 200 überlebensgroße Figuren aus dem Hergé’schen Kosmos ziehen an den Wänden des Bahnhofs vorbei, ein in den 1980er Jahren noch von Hergé persönlich entworfenes Rätsel für „Tintinologen“.