Veröffentlicht inReise

Treibgut-Museum in Zandvoort zeugt vom Leben am Wasser

Treibgut-Museum zeugt vom Leben am Wasser

piavolk2--543x199.jpg
Foto: Pia Volk
Am Strand von Zandvoort suchen Freiwillige oft nach kleineren Schätzen für das „Jutters Muzeeum“: Dort werden die Dinge ausgestellt, die vom Leben am Wasser zeugen. Das Treibgut-Museum ist nicht das Einzige, das spannende Einblicke bietet.

Nord-Holland. 

In dem kleinen Haus am Strand sammelt sich der Unrat. Orange Gummihandschuhe, wie sie Fischer benutzen, stapeln sich in einer Ecke bis unters Dach. Daneben hängen Taucherbrillen: rote, grüne, blaue. Auf einem Regal reihen sich leere Wein- und Schnapsflaschen in allen Farben und Formen aneinander. Es gibt eine Box randvoll mit Feuerzeugen, die nicht mehr funktionieren, mit Ohrringen, die an keinem Ohr mehr hängen werden oder mit Kinderspielzeug, das keiner mehr lieb hat. Drachen, Sonnenbrillen, Hundeleinen. Das Haus am Strand von Zandvoort nennt man Jutters Muzeeum – es ist ein Ort für die Dinge, die am Strand gefunden werden. Treibgut-Museum könnte man es übersetzen.

„Nach jedem Sturm gehen wir raus und suchen den Strand ab“

Aber eigentlich ist es ein Museum des Lebens. Es erzählt die Geschichten von den Fischern, die auf der Nordsee bei unruhigem Wetter ihre Handschuhe verloren haben. Es erzählt von den spielenden Kindern, deren Drachen vom Wind gestohlen wurden und raus auf die See wehten.

Von jenen, die hastig aufbrechen mussten und ihr Spielzeug zurück ließen. Von Tagen in der Sonne und von durchfeierten Nächten bei denen, die folgten. Von Jungs, die ihre Sonnenbrillen verloren und den Mädchen, deren Ohrringe am nächsten Morgen verschwunden waren.

„Nach jedem Sturm gehen wir raus und suchen den Strand ab“, sagt Martin. Der Rentner arbeitet als Freiwilliger im Museum und sucht nach kleineren Schätzen, einer Flaschenpost oder Relikten aus den Kriegen. Ein paar davon lagern im Keller: alte Munition, Briefe aus den Nachbarländern und sogar ein Stück einer Marssonde. „Das niederländische Wort ,juttern’ gibt es im Deutschen nicht. Es bedeutet soviel wie ,Strandgut sammeln’“, erklärt Martin. Ein Mädchen kommt hereinspaziert, der Sand klebt an ihren nackten Füßen. Sie gibt ihm eine Muschel. Auch das ist Strandgut.

Knapp 30 Kilometer westlich von Amsterdam

Zandvoort liegt an der Küste von Noord-Holland, knapp 30 Kilometer westlich von Amsterdam. Der Wind bläst einem die Alltagsgedanken aus dem Kopf. Husch, husch, hinfort – und mit ihm kommt das Leben an den Strand. Die Kitesurfer und die Drachenbändiger. Handtücher flattern wie Fahnen. Der Sand reibt tote Hautschuppen ab. Kinder rennen vor der Brandung weg, bauen Sandburgen, die von der Flut mitgenommen werden. Manchmal erwischt es auch die Plastikente, die Burg-Königin war. Auch Huig Molenaar juttert – aber eher unfreiwillig. Der 62-Jährige findet immer wieder Strandgut in seinen Netzen. „Heute morgen hatten wir vier Sonnenbrillen als Beifang“, sagt er und lacht.

Huigs Hände sind rau. Wie altes Leder. Viele Jahre hat er als Fischer gearbeitet, doch das wurde ihm zu anstrengend. „Man spürt die alten Knochen.“ Dabei wirkt Huig gar nicht alt. Im Gegenteil: Seine Augen leuchten wie die eines Kindes, das gerade von seinem Lieblingsort erzählt: der See. Seine Kinder sind die sechste Generation, die vom Meer lebt. Fischen gehen sie nicht mehr. Sie haben ein kleines Restaurant am Strand. Im Beachpavillion 18 steht „Thalassa“ – die Königin der Meere.

Was auf den Tisch kommt, hat Huig oft selbst gefangen. Bei Ebbe fährt er mit dem Traktor raus und setzt seine Netze. Im Sommer fängt er viel Wolfsbarsch und Glattbutt – sofern die Seehunde nicht schneller waren. „Wir necken uns. Manchmal essen sie die ganzen Fische aus den Netzen, manchmal bin ich schneller.“

Erst Urlaubsort für die Reichen, später für Jedermann.

Von der Terrasse des „Thalassa“ hört man die Wellen auf den Strand schlagen, sieht die Surfer mit ihren Boards hinauspaddeln. In den 1930er Jahren hat sich Zandvoort als Urlaubsort etabliert. Erst für die Reichen, später für Jedermann. Davor war es ein verschlafenes Fischerdorf.

Auf der anderen Seite der nordholländischen Landzunge, in Enkhuizen, kann man erleben wie das Leben damals, in vortouristischen Zeiten war. Enkhuizen liegt am Ijsselmeer, doch der Name trügt. Ein Meer ist die große Wassermasse nicht, sondern ein See. Ein ziemlich großer sogar, ungefähr doppelt so groß wie der Bodensee. Bevor die holländische Zuiderzee eingedeicht wurde und sich in das Ijsselmeer verwandelte, gab es 150 Fischer. Heute leben in Enkhuizen nur noch 13. Alle anderen mussten in Fabriken, in die Industrie, raus auf die Weltmeere. Jenne de Jonges Großvater war einer von ihnen.

Jenne de Jonge arbeitet im Freilichtmuseum Zuiderzeemuseum. Bedächtig spießt er die Heringe auf einen Stock und hängt sie in einen Räucherofen. Es riecht nach Salz und Rauch. „Ich war auch mal Seemann, aber das Ijsselmeer ist heute eher ein Freizeitrevier.“

Seemann gibt Wissen an Urlauber weiter

Sein Großvater hat ihm von alten Zeiten erzählt, als sie Heringe in Massen fingen, in den Kuttern auf See sammelten, über Tage – mit einem ausgetüftelten Wasserdurchlaufsystem. Jenne half als Junge beim Räuchern und Pökeln, später fuhr er selber raus, aber das Ijsselmeer war ihm zu klein, er heuerte auf Frachtschiffen an. „Am besten hat es mir in Brasilien gefallen“, sagt er. Dort gibt es sicher jede Menge Jungen, die ihre Sonnenbrillen am Strand verlieren. Nur geräucherten Fisch und Heringe gibt es nicht.

Jenne de Jonge zog es zurück in die Heimat, wo er sein altes Wissen an die Urlauber weitergibt. „Daraus hat man früher Schnürsenkel gemacht“, sagt er und zeigt auf eine Aalhaut, die über dem Rand eines Fasses in seiner Fischerhütte im Museum hängt. Heute macht man das nicht mehr – alles aus Plastik. Plastik, das nie kaputt geht und Jahre braucht, bis es sich im Salzwasser auflöst.

Nur eine Runde mit den Urlaubern drehen

Ein paar Schritte entfernt von Jenne de Jonges Hütte liegt die „TX 11“ am Hafen des Museums. Die Reusen liegen an Deck, doch Fischen gehen sie nicht. „Wir drehen nur eine Runde mit den Urlaubern“, sagt der Kapitän, eine Tasse wärmenden Kaffee in den Händen. Das Radargerät blinkt, das Funkgerät gibt kratzende Geräusche von sich. Die Kinder können so erleben wie das ist, wenn man das Meer nicht vom Strand aus sieht, können sehen, wo ihr Spielzeug enden könnte und lernen, wo das Treibgut herkommt, das sie am nächsten Tag am Strand finden und ins Juttermuzeeum bringen.