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San Francisco bringt moderne „Hippie-Bewegung“ hervor

San Francisco bringt moderne „Hippie-Bewegung“ hervor

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Von San Francisco ging die Hippie-Bewegung aus und noch heute sind Spuren der Bewegung der Weltverbesserer geblieben. „Organic“ sollte alles sein, Fracking wird bekämpft und jeder Mensch bekommt mindestens eine zweite Chance. Die kleine Großstadt ist so anders als das europäische Bild der USA.

San Francisco. 

Vor dem Starbucks -Café sitzt eine Familie mit zwei Kindern. Die Mutter trinkt „Organic“-Cappuccino, also Biokaffee. Der Vater trinkt Tee mit einem Schuss Milch. Sojamilch. Die Töchter, geschätzt acht und zehn Jahre alt, spielen auf Tablet-Computern herum. Denen mit dem angebissenen Apfel.

Und so geht es weiter: Der 24-Stunden-Imbiss an der Ecke preist seine „Organic“-Quiche mit Lachs, Spinat und Pinienkernen an. An der Ampel davor warten mehrere japanische Hybridautos. Und der per Oberleitung betriebene Bus fährt mit dem bekannten Slogan: „Ich fahre für die Umwelt.“

Kampf gegen das Fracking

In San Francisco ist auf den ersten Blick alles ökologisch so korrekt, dass man es als Europäer kaum glauben kann. Das Bild vom Klimakiller Amerika gerät ins Wanken. Obwohl der Liter Benzin hier nur 78 Cent kostet, fahren kaum große Jeeps mit Vier-Liter-Maschinen die steilen Straßen rauf und runter.

Und wo sind bitte die ganzen Übergewichtigen? Die Reklame der Fast-Food-Ketten, die mit Burgern ab 89 US-Cent nach hungriger Kundschaft ruft, verpufft. Und die Kommentatoren des San Francisco Chronicle, der größten Zeitung der Stadt, singen im Chor mit den örtlichen Umweltschützern gegen das vom Senat angedachte Fracking in den hiesigen Bergen.

Keine Frage: San Francisco und die 800.000 Einwohner surfen auf der Weltverbesserungswelle. Wo diese Bewegung ihren Anfang nahm, weiß keiner. Aber sie passt hierher, ins Zentrum der einstigen Hippie-Bewegung. Nur, dass die neuen Hippies nicht mit Joint und langen Haaren an den Pazifikstränden vor der Golden Gate Bridge am Lagerfeuer sitzen, sondern morgens um sechs Uhr joggen, aus Protest gegen das System Bioprodukte kaufen und die Revolution eher in der digitalen Welt vorantreiben.

Verrückte Ideen

Einer von ihnen ist Philipp Schindler, 42, Deutscher und seit zwei Jahren Mitglied in der Chef-Etage von Google im Silicon Valley, 30 Autominuten von San Francisco entfernt. Wenn Schindler über die Suchmaschine aus Kalifornien spricht, ist das wie eine Predigt. Das Ziel, alle Informationen dieser Welt jedem kostenlos zugänglich zu machen, klingt genauso verrückt wie die Idee von Frieden und Liebe zu Zeiten des Vietnamkriegs.

Die kleine Weltstadt San Francisco 

Aber vielleicht können nur in Kalifornien solche Visionen Gestalt annehmen. Ganz San Francisco ist schließlich ein Brei aus Träumen, Projektionen und Illusionen, großen Hoffnungen und gescheiterten Ideen. In den 70ern wurden die Hippies vom Kapitalismus von der Straße gekehrt.

Als in den 90er Jahren die New Economy-Blase platzte, gab keiner mehr einen Penny für Multimedia-Projekte in Kalifornien. Und heute? Macht Google 50 Milliarden US-Dollar Umsatz pro Jahr. 54.000 Mitarbeiter arbeiten an digitalen Lösungen für eine Billion Suchanfragen. Täglich! Und Apple ist an der Börse die wertvollste Firma der Welt. Vor 14 Jahren war der angebissene Apfel so gut wie Pleite.

San Francisco. Das ist die Golden Gate Bridge, das ist Alcatraz, das sind die berühmten Cable Cars! Zusammen machen die rote Hängebrücke, die legendäre Gefängnisinsel in der Bucht vor der Stadt und die offenen Straßenbahnwagen San Francisco zu einer Weltstadt – dabei leben hier gerade einmal 800 000 Menschen.

Ein anderes Selbstverständnis

Für Urlauber ist die Stadt an der Westküste nach New York, Chicago und Las Vegas das beliebteste Reiseziel in den Vereinigten Staaten von Amerika. Höhepunkte sind der mit Blumen geschmückte Teil der Lombard Street, das touristisch geprägte Hafenviertel mit dem Pier 39 und den vielen Seehunden sowie die Great American Music Hall an der O’Farrell Street.

Das Leben spielt sich draußen ab: Es gibt viele Parks, überall kann man bedenkenlos mal eine Pause machen. Und vor den vielen viktorianischen Häusern laden kleine Cafés zum Bleiben ein. Kaum zu glauben, dass die Stadt im Jahr 1906 nach dem größten Beben der Stadtgeschichte fast völlig ausbrannte. 400.000 Menschen wurden damals obdachlos.

Doch aus dem Wiederaufbau, den überstandenen Wirtschaftskrisen und der Gewissheit, dass die Sonne hier am Pazifik jeden Tag wieder scheinen wird, „ist ein Selbstverständnis entstanden, das es in Europa so nicht gibt“, sagt Anne Moller-Racke.

Es geht immer wieder bergauf

Die gebürtige Rheinländerin lebt seit 1981 in Kalifornien und leitet das Weingut The Donum Estate nördlich von San Francisco. Auf 25 Hektar wachsen hier Pinot noir und Chardonnay. Alles „organic“, was sonst. Und eine Erfolgsgeschichte. Denn kalifornische Tropfen sind mittlerweile eine international gefragte Marke.

Die Anbaubedingungen sind hervorragend: jeden Tag Sonne, nie zu heiß, fast nie zu kalt. Eigentlich wollte die jung gebliebene Frau immer zurück nach Oberwesel. Heute muss sie beim Sprechen manchmal nach den deutschen Worten suchen.

Warum sie geblieben ist? „Weil man hier, anders als in Deutschland, scheitern darf“, meint sie. „Weil man auch mal unten sein darf.“ Ein Sinnbild dafür: die Straßen von San Francisco. Es geht oft lange bergab. Aber irgendwann immer wieder bergauf.