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Die Seiser Alm in Südtirol ist kein normales Skigebiet

Die Seiser Alm in Südtirol ist kein normales Skigebiet

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Die Winter in den Südtiroler Dolomiten sind hart. Auf der Seiser Alm in gut 2000 Metern Höhe erzählt Luis Trenker dann gerne Geschichten. Denn ganz normal ist das Skigebiet dort schließlich nicht. denn hier gibt es keine Bausünden. Und es geht urig zu.

Südtirol. 

Der alte Mann ist tot. Zweifellos. Steif sitzt er auf einem Stuhl im Keller neben dem Weinfass. „Jo mei“, sagt der Bauer und zuckt mit den Schultern. „Wir können den Vater halt nicht beerdigen. Zu viel Schnee und der Boden ist gefroren.“ Der Besucher, der sich im dichten Nebel verlaufen hat und auf dem Bergbauernhof gestrandet ist, versteht.

Die Winter hier oben in den Südtiroler Dolomiten sind eben hart, der alte Mann muss zudem vor seinem Tod furchtbar gelitten haben, zumindest sind seine Gesichtszüge grässlich entstellt. „Na net“, sagt der Bauer, „das ist nur, damit ich besser sehe.“ Dann hängt er seine Laterne dem Vater in den Mundwinkel und zapft einen schönen Krug Roten für sich und den ver(w)irrten Gast.

Eine schaurige Geschichte von der Seiser Alm, die Luis Trenker früher gerne seinen Lesern und Fernseh-Zuschauern erzählt hat. Er, der alpine Superpromi aus St. Ulrich im Grödner Tal, war vor vielen Jahrzehnten der Berggänger, der Bauer, einer der vielen harten Kerle, die auf der Hochalm über Kastelruth auf gut 2000 Metern ein karges Leben führten, im Sommer Vieh trieben und im Winter auf das Frühjahr warteten. „Die Geschichte hat nur einen Nachteil“, sagt Walter Urthaler, „sie ist frei erfunden.“

Die Loipen sind mitden Pisten verwoben

Urthaler schmunzelt, als Hotelier ist er aber über jede Geschichte froh, die seine Region bekannt macht. Auch wenn sie ein wenig abseitig ist.

Ein ganz normales Skigebiet ist die Seiser Alm schließlich auch nicht, auch wenn die Bauern auf der Alm jetzt das ganze Jahr über Anschluss ans Tal haben. Eingefasst vom über 3000 Meter hohen Langkofel und dem Schlern mit den markanten Santnerspitzen erstreckt sich Europas größte Hochalm über 56 Quadratkilometer und liegt mitten im Unesco-Weltnaturerbe Dolomiten.

Die 23 Lifte erschließen 60 Kilometer Piste zwischen 1700 und knapp 2300 Metern Höhe. Die meist flachen, breiten Abfahrten sind nicht unbedingt ein Wochenvergnügen für alpine Freaks, die können aber mit einem knapp 15 minütigen Bustransfer in Monte Pana in die berühmte Sella Ronda einsteigen.

Ski steil und satt

Ski steil und satt also gleich ums Eck und alles mit einem Skipass. Die Alm ist dagegen eher was für Familien, die sich am Tag irgendwo auf der Piste wieder treffen wollen. Oder für Paare, bei denen einer alpin unterwegs ist, der andere eher auf der Loipe. Die ebenfalls 60 Kilometer Loipen sind mit den Pisten nahezu verwoben, oft kreuzt die Spur den Hang und meist steht da noch einer der vielen Hütten als idealer Treff.

Man findet sich wieder und das ganze Gebiet strahlt eine urige Gemütlichkeit aus, was wohl daran liegt, dass es auf der Alm keine Bausünd‘ gibt. Seit 1958 ist Baustopp in der Höhe, erlaubt ist lediglich eine „qualitative Ausweitung“ bestehender Bausubstanz. So hat Walther Urthaler zum Beispiel die Pension seines Vaters zu einem Fünf-Sterne-Haus ganz aus Holz, ohne W-Lan und Handynetz und mit viel Bio-Ambiente aufgehübscht. Wer hier oben Urlaub macht, sollte etwas mit den Worten Genuss und Ruhe anfangen können. Gemütliches Genusscarven vor grandioser Kulisse oder ein lockerer Einkehrschwung in eine der vielen Hütten.

Heusuppe mit Trüffel auf 1930 Metern Höhe

Südtirol ist ja allseits berühmt für seine kulinarische Vielfalt, manche Wirte auf der Seiser Alm versuchen das aber noch zu toppen. Franz Mulser kocht auf der direkt an der Piste gelegenen Gostner Schwaige Dinge, die man eher in einem Bozner Gourmettempel vermuten würde, als auf 1930 Metern Höhe in einer Hütte. Heusuppe mit Trüffel, einheimisches Wild, dazu tiefroter Lagrein – danach ist es eh gut, dass die Hänge nicht zu steil sind.

Nachts wird es dann richtig ruhig hier oben. Die Lichter der weit verstreuten Hotels funkeln wie Schiffe in einem weißen Meer, der Himmel ist irgendwie ganz nah und meist klar. Bei 300 Sonnentagen im Jahr hat man oft die Chance auf Sterne.

Unterwegs zu Fuß oder mit dem Schlitten

Ein großes Zentrum gibt es auf der Alm nicht. Wenn überhaupt dann die Ansammlung einiger Hotels in Compatsch zu Beginn der Alm. Autos sieht man auch fast keine, das eigene Vehikel darf hier oben nur bewegen, wer ein Zimmer auf der Alm hat. Die anderen aus den Orten Kastelruth, Seis und Völs kommen mit der Kabinenbahn oder mit dem Skibus von Seis aus zu den Liften. Wer oben wohnt unterliegt schnell dem eigenen Reiz der Ruhe und Weite und lässt das Auto oft freiwillig die ganze Woche über in der Garage.

Zwischen den einzelnen Hotels und Hütten geht man zu Fuß oder nimmt den Pferdeschlitten. Und man wird fit – und das nicht nur durch Ski, Langlauf oder Rodeln. Wer sich lange auf 2000 Metern Meereshöhe aufhält, zwingt seinen Körper zur Produktion von roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff zu den Muskelzellen transportieren. Die Alm als Naturdoping – nach einer Woche ist man jedenfalls ein wenig fitter.

Es gibt viele „Gschichtn“ von der Alm

Und entspannter, weil man sich auch abends am prasselnden Kamin die vielen Geschichten anhören kann. „Früher“, sagt Walter Urthaler, „haben mein Bruder oder ich ins Dorf runter rennen müssen, wenn sich mal überraschend ein paar Touristen auf die Alm verirrt haben.“ Eine Stunde runter, zwei hoch – und das nur wegen ein bisschen Brot und Gemüse. „Die Mutter hat derweil ein Huhn geköpft“, erklärt Urthaler schmunzelnd. Es gibt halt viele „Gschichtn“ von der Alm. Und ob nur die vom guten Trenker nicht alle stimmen – wer weiß das schon.