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Wer am Elend der Roma in Deutschland verdient

Wer am Elend der Roma in Deutschland verdient

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Duisburg Hochfeld zwischen Brücken Platz Heerstraße und Wanheimerstraße in Duisburg Foto: Gerd Wallhorn/WAZ FotoPool
Sie kommen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland mit der Hoffnung auf ein besseres Leben und landen in der absoluten Armut. Täglich leben viele verschuldete Roma mit Angst vor den Übergriffen der Geldeintreiber. Bei dem Geschäft mit der Zukunft machen nur die großen Roma-Chefs Kasse.

Duisburg/Katunitsa. 

Alina und ihr Mann Juri sitzen in einer Dach­geschosswohnung in Duisburg-Hochfeld in einem Haus in der Walzenstraße. Auf der Straße liegen zerschlagene Flaschen, im Hof abgerissene Möbelreste. Im Zimmer riecht es beißend nach Urin. Alina und Ihr Mann Juri sitzen dort, weil sie in Duisburg ihr versprochenes Glück suchen. Alina und Juri haben keine Arbeit. Wenig zu Essen. Aber Schulden. Und da draußen sind Männer, die die Schulden eintreiben.

Alina und Juri haben drei Kinder. Sie hausen alle zusammen mit Juris Brüdern und deren Familien in den vier Zimmern in der Walzenstraße. Sie haben Angst vor den Männern da draußen. Deswegen wollen Sie keine Nachnamen lesen und auch keine Fotos von sich sehen.

750 Euro Miete für ein Wohnloch

Alina und Juri sind Teil des großen Roma-Trecks, mit dem zehntau­sende Menschen aus Bulgarien und Rumänien nach Westeuropa ­ziehen, auch ins Ruhrgebiet, auf der Suche nach Zukunft, nach Glück. In ihrem Gefolge: Profiteure und Absahner.

Alina und Juri sitzen auf einem Bett. Alina hat ihre schwarzen ­Haare streng zurückgekämmt und trägt um den Hals eine Goldkette. Sie ist sehr schlank. Ihre schwarzen Augenbrauen sind fast zusammengewachsen. Juri trägt eine schwarze Trainingsjacke. Zwei Armlängen entfernt steht in einem braunen Eichenschrank eine rosafarbene Glaskatze. Sie müssen 750 Euro im Monat für die vier Zimmer zahlen. An den Wänden blasse Farbe, keine Tapeten, Putz bröckelt. Das ganze Haus ist an Roma vermietet. Vier Etagen. Ein halbes Dutzend Wohnungen, fast 80 Bewohner – in jedem Alter. Kaum einer hat Arbeit.

Der Vermieter hat die Pässe

Der Besitzer des Hauses in der ­Walzenstraße ist der türkische ­Geschäftsmann Arif K. Er hat die Pässe von Alina, von ihrem Mann Juri und anderen Roma in seinem Haus eingesammelt. Sie sind sein Pfand. Die Pässe will er erst zurückgeben, wenn Miete, Schulden und Zinsen bezahlt sind. Wer nicht mehr zahlen kann, fliegt raus. ­Einfach so. Fenster auf. Kleidung, Koffer, Eichenschrank samt Glaskatze auf die Straße.

Es gibt genügend Roma, die einziehen wollen, wenn sie dürften, sagt der Vermieter bei einer ­Konfrontation mit dem Reporter. Wo sollen sie auch sonst hin. Auf Widerworte reagiert Vermieter K. zornig. Er droht mit Schlägen. „Ich hab nur Ärger mit denen. Die sollen zahlen“, sagt er. Er besitzt noch mehrere Roma-Häuser im Duis­burger Stadtteil Hochfeld.

Woher die Roma das Geld nehmen, ist dem Vermieter egal. Alina hat ein Formular vorliegen. Das hat er ihr gegeben. Es ist ein Kindergeldantrag für Alinas drei Kinder an das Duisburger Jugendamt. Auch andere Roma im Haus sollen für ihre Kinder die Anträge ausfüllen. Als Empfänger hat Arif K. sein Konto eingetragen. Viele füllen den Antrag aus.

Die Stadt Duisburg wurde über den Vorgang informiert. Gesagt hat sie dazu bisher nichts.

Nur wer tief in die Lebenswelt der Roma eintaucht, kann verstehen, warum sich Menschen wie Alina und Juri Vermietern wie Arif K. ausliefern. Es geht fast immer um Geld, Schulden und Hoffnungen.

Roma-Bosse lassen Schulden eintreiben 

Juri berichtet von einem Schuldeneintreiber. Es gibt nicht immer ­Prügel, sagt Juri. Meist funktioniert das System subtiler. Der Schuldeneintreiber ist im Auftrag eines Wucherers unterwegs. Der leiht den Roma das Geld, das sie brauchen, um nach Deutschland zu fahren, um ­Essen zu kaufen und Kleidung. Und hinter dem Wucherer stehen die ­Organisationen der großen Roma-Bosse. Diese Herrscher haben die Familien in der Hand. Die treiben die Schulden ein, egal wo, auch bei den Familien und ihren Verwandten. In Bulgarien, in Rumänien, in Frankreich, England, überall.

Die Spur zu den Roma-Bossen ist verwischt. Oft reißt sie ab, es gibt Mittelsmänner und Drehtüren. Nur selten werden Zusammenhänge klar. Wie im Fall von König Kiro. Er ist einer dieser Männer am Ende der Nahrungskette, die am Elend von Menschen wie Alina und Juri reich werden. König Kiro heißt mit bürgerlichem Namen Cyril Rashkov. Er wohnt in Bulgarien, in der Gegend von Plowdiw. König Kiro hat eine Glatze, die rundherum von sorgfältig frisierten grauen Haaren umrandet wird. König Kiro ist dick.

Kinder wurden gefoltert

Im Jahr 2006 ermittelte die italienische Polizei gegen Rashkov, ­wegen des Verdachts, eine Diebesbande von Kindern kontrolliert zu haben. Die Kriminalbeamten hatten über 200 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 6 und 14 Jahren festgesetzt. Die Kinder wurden ­gefoltert, wenn sie nicht stahlen, wie es ihnen die Männer der „Organisation“ befahlen. Die italienische Polizei notierte gebrochene Arme und Beine. König Kiro bestritt, der Kopf der Bande zu sein. Am Ende des Verfahrens wurden 41 Roma zu Haftstrafen verurteilt. Gegen König Kiro stellte die italienische Polizei die ­Ermittlungen mangels verwertbarer Zeugenaussagen schließlich ein. Sein Kopf zierte trotzdem das große Organigramm der Bande im Zentrum der Ermittlungskommission.

Die Beamten hatten Dokumente gefunden, nach denen Roma ihre Kinder notariell beglaubigt der schützenden Obhut der Banden-Bosse anvertraut hatten. Als Gegenleistung bekamen die Eltern rund zehn Prozent der Beute. Viele der Kinder wurden vom kriminellen Netzwerk später nach Deutschland geschickt. Die Jungen wurden hier als Diebe eingesetzt, die Mädchen nicht selten als Prostituierte.

Auch jetzt sorgen Roma-Kinder in Deutschland für Aufmerksamkeit. Die Polizei in Duisburg kennt ein Haus in der Charlottenstraße, in dem dutzende Roma-Kinder hausen, die zum Klauen ins ganze Ruhrgebiet geschickt werden. In Rheinhausen gibt es ein Haus, aus dem Kinder von einem Zuhälter abgeholt werden. Über die Hintergründe der Banden weiß die Polizei wenig.

Roma leben am Rand der Gesellschaft 

Evelina Rohn ist Sozialarbeiterin in Duisburg. Sie arbeitet für den Verein Zukunft Orientierte Förderung. Dem einzigen Verein in Duisburg, der Kontakte zu Roma unterhält und sich vor Ort auskennt. Evelina Rohn berichtet, dass vor kurzem ein junges Mädchen, vielleicht 13 Jahre alt, in einer Toilette in einem Café in Hochfeld gefunden wurde. Das Mädchen saß da und weinte. Es sagte, es sei aus Bulgarien entführt worden. Die Polizei in Duisburg brachte das Mädchen in ein Kinderheim, sagt Evelina Rohn. Dann habe sich die Polizei bei den Behörden in ­Bulgarien erkundigt. Dort hieß es, das Kind sei rechtmäßig in Deutschland. Die Eltern hätten eingewilligt. Evelina sagt, sie habe sich um das Mädchen kümmern wollen. Doch das Kind sei verschwunden, einfach weg. Evelina Rohn gesteht, sie habe Angst um das Mädchen.

Die Roma sind leichte Opfer. Das Zentrum für Demokratiestudien in Bulgarien schreibt: „Weil den Roma der Weg in die normale Gesellschaft weitgehend verbaut ist, hat sich unter ihnen eine Schattenelite gebildet, die sich auf ihre Erfolge unter anderem in der Kriminalität stützt.“

Todesstrafe gegen König Kiro

Dieser Fakt führe zu Missverständnissen. Es sei genauso falsch, die Verbrechen der Roma mit der sozialen Misere allein zu erklären, wie die Roma-Clans als kriminelle Organisationen insgesamt abzuschreiben. Vielmehr seien die Roma in ein Gesellschaftssystem eingebunden, das ihnen auch mit kriminellem Handeln das Überleben ­sichert. An der Spitze des Systems steht ein eigener Rat, der Kris ­Romani, auch „meshere“ genannt. Dieser Rat sei für die Roma eine Art Regierung und Gericht mit eigenen Gesetzen und Gebräuchen.

Was passiert, wenn der Rat seinen Daumen senkt, zeigt das Schicksal von König Kiro. Im Winter 2012 ­haben seine Männer einen 19-Jährigen Jungen getötet, einen Bulgaren. Es kam zu Ausschreitungen. Der Rat wollte für Ruhe sorgen. Er hat deshalb die „Todesstrafe” über ­König Kiro verhängt. „Kein Roma wird jemals wieder für König Kiro einstehen”, sagte ein Vertreter des Rates. Fast gleichzeitig wurde König Kiro von der bulgarischen Polizei verhaftet. Momentan sitzt er in Haft und beteuert seine Unschuld.

„Euch gibt es doch gar nicht“

In Duisburg-Hochfeld hatte Juri einen schlechten Tag. Er hat auf dem Bau gearbeitet, für eine tür­kische Firma. Er hat Fenster eingesetzt und Türen getragen. Es sollte 30 Euro Lohn geben. Das hätte gereicht, seine Familie satt zu machen. Aber der Unternehmer hat nicht gezahlt. „Der Türke hat gesagt, geht doch zur Polizei. Ihr habt hier keine Rechte. Ihr habt nicht mal einen Vertrag. Euch gibt es gar nicht.“

Juri sagt, er kenne König Kiro. Aber er wisse nicht, ob der Einfluss in Duisburg habe.