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Was CIA, Chemtrails und die Lügenpresse verbindet

Was CIA, Chemtrails und die Lügenpresse verbindet

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Foto: imago/Christian Ditsch
Wie Verschwörungstheorien entstehen und warum es sich gut anfühlt, ihnen Glauben zu schenken, erklärt Verschwörungstheorie-Theoretiker Nils Menzler.

Essen. 

Die Mondlandung? Hat Regisseur Stanley Kubrick im Auftrag der Nasa im Studio gedreht. Die Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel? Sind Versehen mit Chemikalien, die uns unfruchtbar machen. Die Attentate des 11. September? Steckt die CIA dahinter, wissen wir doch alle. Und die Massenmedien? Stecken mit den wahrhaft Mächtigen unter einer Decke und werden die Wahrheit ohnehin niemals enthüllen.

Nils Menzler weiß das genau. Und er weiß noch mehr. Und er wird es uns verraten, denn er ist ein Eingeweihter. Eingeweiht in eine völlig offen agierende Bruder- und Schwesternschaft: Der Orden der Vernunft und der Wissenschaft, der im munter wuchernden Dschungel der Verschwörungstheorien kleine Lichtungen der Wahrheit schlagen will, mit Argumenten, Thesen und Beweisen. Um zu erklären, warum wir Verschwörungstheorien sogar dann gern glauben, wenn wir es eigentlich besser wissen.

Wir sehen gern Zusammenhänge, wo keine sind

„Wir Menschen können Zufälle nicht ertragen. Und wir konstruieren Zusammenhänge sogar da, wo keine sind“, sagt der 31-Jährige. Der Medienwissenschaftler forscht an der Ruhr-Universität Bochum über Verschwörungstheorien. Und erklärt ihren Sex-Appeal: „Wenn hinter dem Treiben der Welt geheime Bünde stehen, die Freimaurer, die Illuminaten, die Bilderberger, bin ich entlastet, was meine eigene Verantwortung angeht.“

Noch besser: „Weil ich diese finstere Wahrheit durchschaut habe, bin ich schon einen Schritt weiter als die ganz Ahnungslosen“, erklärt Menzler. Also bin ich der bessere Mensch, wenn ich in der Pseudopartei „BüSo“ mitmache oder mich in die Hirnwäsche der Dianetik vertiefe, wie sie Scientology anbietet. Bei Auserwählten zu sein, fühlt sich gut an, selbst wenn es auserwählter Humbug ist.

Ein Verschwörungsagnostiker zu sein und sich der strengen Vernunft zu unterwerfen, kann ziemlich anstrengend sein, auch für Menzler. „Meine Partnerin kommt dann immer mit diesem pflanzlichen Antibiotikum.“ Und er weigert sich, es zu nehmen – weil die strenge Wissenschaft die Wirksamkeit nicht belegt. „Obwohl Placeboeffekte ja belegt sind“, räumt er ein. Menzler aber stellt seine Zweifel darüber. Auch, wenn sie Kopfweh machen, die eine Verschwörungstheorie leicht lindern könnte. Aber der Aberglaube dringt eben auch in homöopathischen Dosen in den Geist der Vernunft.

Die Verschwörungstheorie – ein Kind der Aufklärung

GesellschaftParadoxerweise sind Verschwörungstheorien die Kinder der Aufklärung. Dem Gläubigen liefert Gott einen Sinn dafür, wie die Welt ist, und was alles so an Katastrophen passiert. „Gibt es keinen Gott mehr, so sind Katastrophen und andere Unfälle plötzlich grausame Einfälle des Zufalls – und das scheint der schlimmste Stressfaktor zu sein. Als Reaktion setzt geradezu eine intensive Denktätigkeit ein: Das Bilden einer Verschwörungstheorie. Verschwörungstheoretiker sind also nicht denkfaul, sondern übertreiben es ein wenig mit dem Denken und Schlüsse ziehen. Sie sagen nicht irgendwann: Ach, lassen wir es mal auf sich beruhen, was passiert, passiert, sondern sie finden noch immer Indizien, die auf einen versteckten Grund hindeuten“, erklärt Menzler.

Deswegen übrigens brauchen Verschwörungstheorien auch die Medien. „Die ersten Theorien entwickelten sich parallel mit dem Auftreten der ersten Zeitungen und den öffentlichen Diskussionen in politischen Salons“, erklärt Menzler. Und die Massenkommunikation im Zeitalter des Internets funktioniert da als Turbolader.

Im Internet findet sich für jede These noch ein Beleg

Nicht nur, weil (leider de facto) alle möglichen Überwachungsszenarios mittlerweile möglich sind. Sondern dort findet sich für jede abstruse Theorie noch ein Beweis und ein Argument. Baumaterial für jede noch so fragile gedankliche Konstruktion, solange man darauf verzichtet, seine Ideen der Kritik anderer zu unterwerfen. Und wenn man der Kritik doch nicht mehr ausweichen kann, geht’s dem Kritiker an den Kragen, der mit den Verschwörern stets unter einer Decke steckt…

Als Immanuel Kant forderte, der Mensch möge sich mutig seines eigenen Verstandes bedienen, hat er vielleicht nicht bedacht, dass der Mensch sogar jenseits der Grenzen der Vernunft weiterdenkt. Weil er einen gottlosen Zufall nicht ertragen kann, weil er ohnmächtig wird, wo er Ursache und Wirkung nicht mehr zu erkennen vermag.

Dennoch wird Nils Menzler die nächsten Jahre an der Argumentation seiner Doktorarbeit feilen. Wie so viele Wissenschaftler wird er die Steinchen der Weisen mühevoll auf den stetig wachsenden Berg der gesicherten Erkenntnisse hinaufwälzen. Wohl wissend, dass wissenschaftliche Wahrheit eine wackelige Angelegenheit ist, ihr Aufbau ist ständig gefährdet von Perspektivwechseln, Zweifeln und neuen Fakten.

Das Problem: Zwischen faktischen und fiktiven Verschwörungen zu unterscheiden

Ist der Mann dabei glücklich – und ganz gefeit gegen Verschwörungstheorien? Menzler seufzt. „Das ist es ja: Es gibt Verschwörungen ja leider nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Und welche es gibt, wissen wir nicht.“ Deswegen gilt in der Wissenschaft nicht, was wahr sein könnte, sondern nur das, was bisher nicht wirksam widerlegt wurde, erklärt er. Die Verschwörer jedoch haben mit James Bond, Dan Brown, den Men in Black und tausend anderen talentierten Erzählern einfach die spannenderen Geschichten zu erzählen. Fakten sind halt Fakten.

Man müsse nicht bei Edward Snowdon anfangen, um sich zu fragen, wer da welches Spiel mit welchen geheimen Interessen spielt. Manchmal reicht auch der Blick in den Sportteil. Menzler verabschiedet sich mit der Frage: „Beim Radsport hat man den Dopingsumpf ja aufgedeckt. Glauben Sie, dass es sowas im Fußball wirklich nicht gibt?“ Mal recherchieren, im Internet, es gibt bestimmt auch dort eine Verschwörung, zumindest theoretisch…