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Warum die Dortmunder Nordstadt nie wie Leipzig sein kann

Warum die Dortmunder Nordstadt nie wie Leipzig sein kann

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Frederik „Schlakks“ Schreiber vor seinem Club „Rekorder“. Gefährlich findet er die Nordstadt nicht. Foto: Peter Sieben
  • Die Nordstadt hat keinen guten Ruf
  • Zuletzt bezeichneten Politiker das Viertel gar als No-Go-Area
  • Dabei wächst hier eine kreative Szene, wie es sie in kaum einem anderen Stadtteil gibt

Dortmund. 

Die Dortmunder Nordstadt ist wie Gotham City. Nur ohne Batman.

Hier gibt es Schießereien. Am hellichten Tag. Libanesengangs verkaufen harte Drogen auf der Straße, Rockerbanden bekriegen sich. Und dann sind da natürlich noch die Nazis.

Die Nordstadt? Eine No-Go-Area

Die Nordstadt ist gefährlich. Eine No-Go-Area.

Das ist das Bild, das Menschen von dem Viertel haben: Also Menschen, die nie hier sind. So wie ich.

Schlakks kann darüber nur lachen, als ich ihm das erzähle. „Ich wohne jetzt seit sechs Jahren hier im Viertel, und mir ist noch nie was passiert.“

Schlakks heißt eigentlich Frederik Schreiber. „Das andere ist mein Hip-Hop-Name. Nenn mich einfach Freddy“, sagt der 29-jährige Deutsch-Rapper. Er ist Betreiber des „Rekorder“, ein Club auf der Gneisenaustraße zwischen Hafen und Innenstadt-Nord. Freddy schmeißt den Laden nicht alleine, er ist Teil eines Kollektivs.

Wie der Prenzlauer Berg: Bevor die Bio-Muttis kamen

Die Gegend hier sieht ein bisschen so aus, wie ich mir den Prenzlauer Berg der frühen 90er vorstelle. Also bevor die Bio-Muttis kamen.

Die Häuser: Gründerzeit-Bauten mit Erkern und Stuck und was so dazugehört. Manche sind ein wenig heruntergekommen.

An vielen Hauswänden ist Grafitti. In Einfahrten zu Hinterhöfen hängen Plakate: Werbung für Live-Konzerte und Lesungen in einer anarchistischen Bücherei. Daneben hat irgendwer ein Hakenkreuz gemalt. Und ein anderer hat daraus mit vier Strichen ein Quadrat gemacht.

Drinnen im „Rekorder“ ist es dunkel. Eine Disco-Kugel dreht sich an der Decke, jemand stimmt ein Klavier, das neben der Bar steht – Vorbereitungen für einen Live-Gig am Abend.

„Die kreative Szene hier mag ich sehr“, sagt Frederik. „Die Leute machen was für ihren Kiez. Aber nicht, damit es hipper wird, die Nachbarschaft ist einfach ganz natürlich so gewachsen.“

Philosophieren über Jimi Hendrix

Seit ein paar Jahren gibt es nebenan das „Rockaway Beat“. Im Laden ist es laut, irgendeiner dudelt auf einer obskuren alten Orgel, ein anderer klimpert auf einem Bass.

An den Wänden hängen merkwürdige japanische E-Gitarren und in der Ecke philosophieren zwei Typen über Jimi Hendrix. Das hier, Freunde, ist der coolste Gitarrenladen, den ich je betreten habe. Und ich habe schon viele betreten.

Hinter der Theke und vor einer psychedelischen 70er-Jahre-Tapete steht Bernd Stähler. Ihm gehört der Laden. „Eigentlich wollte ich mir nur mal so eine japanische Gitarre aus den 60ern kaufen. Plötzlich hatte ich zehn Stück. Und dann hab ich den Laden hier aufgemacht“, erzählt er.

Das Paradoxe: Im Ruhrgebiet wollen die Städte Gentrifizierung

Das Viertel ist anders, als ich dachte: Wirklich coole Läden in wirklich hübschen Straßen. Und die Mieten sind sehr günstig, sagt Bernd. Noch.

Denn langsam steigen die Preise – gerade hier im südlichen Hafen. Ist das der Anfang von Gentrifizierung? Verdrängung der kreativen Szene zugunsten teurer Eigentumswohnungen?

„Das Paradoxe ist ja, dass Gentrifizierung immer verteufelt wird. Außer im Ruhrgebiet. Da sehnen sich die Leute das herbei“, sagt Achim Prossek. Der Geograph hat viele Jahre in der Nordstadt gewohnt.

„Schon vor 15 Jahren dachten die Stadtplaner, dass die Nordstadt das neue In-Viertel wird“, sagt er. Es erfüllt alle Voraussetzungen: Schöne Gründerzeithäuser, niedrige Mieten, genug Platz für Kreative, gute Anbindung ans Stadtzentrum. Und die Nordstadt ist jung: Der Anteil der Menschen unter 40 ist hier höher als in den meisten anderen Bezirken.

Das andere Gesicht der Nordstadt

Und doch: So richtig gezündet hat es nie. Dortmund ist nicht Berlin-Kreuzberg oder Leipzig. „Es gibt viele Kreative im Ruhrgebiet. Aber die verteilen sich stärker, weil das Gebiet einfach so groß ist.“ Deshalb bleibe es meist bei einigen Straßenzügen, in denen Clubs und Kunst gedeihen.

Die Nordstadt ist eben nicht nur die Gneisenaustraße, sondern hat auch ein ganz anderes Gesicht. Am Nordmarkt wühlen Flaschensammler in Mülltonnen. Junkies besorgen sich hier ihren Stoff.

Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger ist extrem groß im Vergleich zu den anderen Bezirken: Von 1000 Einwohnern bekommen mehr als 300 ALG II. Weit dahinter auf Platz zwei liegt Eving: Hier sind es nur etwas mehr als 150.

„Das ist es eben. Die Nordstadt ist nicht einfach nur lebendig, sondern das Leben selbst“, sagt Bernd vom „Rockaway Beat“. „Hier kriegst du eben auch das Leid direkt mit“.