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Neues Leben auf totem Gleis: Radweg mit Aussicht in Wuppertal

Neues Leben auf totem Gleis: Wuppertaler Radweg mit Aussicht

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Nordbahntrasse in Wuppertal Foto: dpa
Wuppertal ist nicht gerade bekannt als Mekka für Radfahrer. Doch eine ehemalige Bahntrasse beschert der Stadt unerwartete Ehren in der Zweirad-Welt.

Wuppertal. 

Die alte Bahnlinie war zugewuchert, zugemüllt, vergessen. Seit 1999 fuhr kein Zug mehr auf der Strecke durch Wuppertal. Jetzt ist die über 130 Jahre alte Trasse in der Schwebebahn-Stadt wieder mitten im Leben – als autofreier Weg für Radfahrer, Skater und Spaziergänger. Seit April ist die einstige Bahnstrecke auf 23 Kilometern frei. „Es hat unfassbar viel gebracht“, kommentiert ein Wuppertaler den neuen, ungewohnten Fahrrad-Boom.

Denn mit den vielen steilen Straßen ist Wuppertal wahrlich keine klassische Radfahrer-Stadt. Doch durch die Trasse auf dem einstigen Bahnweg ist die 350.000 Einwohner-Stadt zum Fahrrad-Mekka im Kleinen geworden. Dafür hat sie wichtige Preise abgeräumt: den Deutschen Fahrradpreis und den ersten Platz unter den „Aufholern“ beim Fahrradklima-Test des ADFC.

32 Millionen Euro für den Radweg

Allerdings: Ohne eine sture Bürgerinitiative namens Wuppertalbewegung wäre aus dem Umbau wohl nichts geworden. Ehrenamt und Sponsoren aus der örtlichen Wirtschaft kamen zusammen: Die Initiative sammelte 2,5 Millionen Euro Spenden und beschaffte der Kommune so den Eigenanteil für die Förderungen durch das Land und die EU. 32 Millionen Euro hat der Bau bisher gekostet. Die Stadt als Bauherrin war vor allem mit Ingenieurs- und Planerleistungen dabei.

„Dass das ein solch überwältigendes Leuchtturmprojekt wird, war nicht abzusehen“, sagt Lutz Eßrich, der zweite Vorsitzende der Wuppertalbewegung. In einer Prognosestudie waren etwa 3500 Nutzer täglich für möglich gehalten worden, tatsächlich kommen viel mehr. Schüler radeln über die Nordbahntrasse zum Unterricht. Berufstätige fahren neuerdings mit dem Rad zur Arbeit. Sogar in Wuppertaler Wohnungsanzeigen wird die Nähe zu dem Erholungsgebiet angepriesen. Im Einzugsbereich leben 100.000 Menschen.

Durch Tunnel und über Viadukte

Aber einfach war der Weg nicht bis zur Vollendung, und öfter mal waren Initiative und Stadt zerstritten. „Eine Bürgerinitiative und eine Stadtverwaltung – das passt einfach nicht zusammen“, seufzt Eßrich, ein 69 Jahre alter Wuppertaler im Ruhestand. Hier die privaten Macher – viele sind agile und durchsetzungsfähige Rentner, auf der anderen Seite die Bauherrin mit komplizierten Abläufen.

Saniert werden musste eine Menge an der 1879 eröffneten Bahnstrecke. Die Nordbahntrasse führt im Norden der Stadt auch durch sechs Tunnel mit einer Gesamtlänge von 2000 Metern und über vier große Viadukte, von denen der längste 280 Metern misst. Insgesamt wurden 23 Brücken überholt. Etwa 50 Zuwege mussten geschaffen werden. Heute kommen Besucher auch von auswärts zur Nordbahntrasse. Das zeigen die vielen Autos mit auswärtigen Nummernschildern an den Endpunkten. Der Weg zur Trasse ist aber nicht immer leicht zu finden, die Schilder sind teils noch provisorisch.

Fledermausgerechte LED-Beleuchtung

Der Schutz der Fledermäuse in den langen Tunneln wurde überraschend und kostenfrei gelöst: Das Projekt gewann einen Wettbewerb des Bundesforschungs-ministeriums. Damit waren zwei Millionen Euro für eine fledermausgerechte LED-Beleuchtung in den Tunneln bezahlt. Lutz Eßrich von der Wuppertalbewegung amüsiert sich immer noch: Andere Teilnehmer hätten aufwendige Unterlagen eingereicht. „Und so ein privater Verein kommt mit einem besseren Schnellhefter.“ Und gewinnt.

Als vermutlich einziger Radweg in Nordrhein-Westfalen hat die Nordbahntrasse sogar eine eigene Kapelle. Das kleine Gotteshaus aus Holz und Glas wurde gebaut von Mitarbeitern des Wichernhauses, einer diakonischen Einrichtung der evangelischen Kirche im Rheinland, die auch ein Café an der Trasse hat. Die Kapelle erinnert an eine Autobahnkirche. Alle Religionen seien willkommen, betont Johann Wagner, der Geschäftsführer im Wichernhaus Wuppertal. „Da muss man nicht unbedingt beten, man kann sich auch ausruhen.“ Oder man kann, wie zwei Mädchen neulich, ein Butterbrot essen. (dpa)