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Was deutsche Türken erleben, wenn sie in die Türkei auswandern

Was Deutschtürken erleben, wenn sie in die Türkei auswandern

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Foto: WAZ/Matthias Korfmann
Manche Türkischstämmige in Deutschland träumen von einer Rückkehr ins Land ihrer Eltern. Cigdem Akkaya und Erdogan Altindis haben diesen Schritt gewagt. Sie sind ausgewandert – in die Metropole Istanbul. Und erleben, dass sie auch dort noch manchmal zwischen zwei Welten leben.

Istanbul. 

Es ist leicht gesagt: Ich gehe in die Türkei. Ins Land meiner Eltern und Großeltern, in die Boom-Town Istanbul. Es sagt sich so leicht. Aber dieser Schritt ist ein unerhört großer. Cigdem Akkaya (50) und Erdogan Altindis (50) wissen, wie sich das anfühlt. Sie haben ihren Plan in die Tat umgesetzt. Cigdem Akkaya leitet heute eine PR- und Event-Agentur, Erdogan Altindis vermietet in der 15-Millionen-Einwohner-Metropole Dutzende Wohnungen an Touristen. Neue Heimat Bosporus. Aber die alte, Deutschland, lässt ihre Auswanderer auch nicht richtig los.

Manchmal träumt Erdogan von dem, was Istanbul ihm nicht bieten kann. Vom satten Grün der Stadt München, von Leuten, die „Grüß Gott“ sagen und von „Braten mit Semmelknödeln und Blaukraut“. Der Mann ist tief in seinem Inneren ein Bayer. Man hört es auch, wenn er spricht. Und Cigdem spürt Heimatgefühle, wenn sie in Wattenscheid oder Bochum ist.

Bürger mit türkischen Wurzeln müssen sich ständig rechtfertigen

Um die Geschichte nicht ins Nostalgische abgleiten zu lassen, sei erwähnt, dass die beiden Istanbul lieben. „Hier kann man anonym bleiben, wenn man will. Man ist hier nicht zuerst Türke oder Deutscher. Was du kannst, zählt in Istanbul mehr als die Herkunft“, sagt Cigdem. In Deutschland müssten sich Bürger mit türkischen Wurzeln immer rechtfertigen. „Die ständige Frage ,Woher kommst du?’ hat mich genervt. Und die Tatsache, dass man immer und überall als Islamexperte auftreten muss, auch“, erinnert sie sich.

„Istanbul brodelt“, schwärmt Erdogan. Es brodelt wirtschaftlich, kulturell, aber auch politisch. Auf dem Taksim-Platz hat sich die Polizei eingerichtet. Im Gezi-Park verkaufen ein paar Mutige regierungskritische Anstecker. Europa schaut fasziniert auf diese Stadt.

In der neuen (alten) Heimat warten Fettnäpfchen

Cigdem Akkaya hat 2006 den „Rückkehrer-Stammtisch“ Istanbul mit gegründet. Inzwischen sind 3000 „Rückkehrer“ in ihrem Mail-Verteiler, 70 bis 80 kommen zu den Monats-Treffen. „Und es werden immer mehr“, sagt Cigdem. Sie bilden ein Netzwerk, sie helfen sich bei der Job- und Wohnungssuche. Denn sie wissen: In Istanbul kann man durchstarten – aber auch krachend scheitern. Und auf „Deutschländer“, wie die Neubürger aus „Almanya“ oft genannt werden, warten in der neuen (alten) Heimat unzählige Fettnäpfchen.

Andere Länder, andere Sitten – Rückkehrer müssen sich erst einfinden 

Wer seinen Chef gleich locker duzt, wer Nachbarn und Kollegen allzu direkt sagt, was er will und denkt, der kriegt Probleme. „Die Umgangsformen sind einfach anders“, weiß Erdogan. „Die Leute hier sprechen lieber durch die Blume. Wenn man jemandem Geld geliehen hat, dann fordert man nicht wörtlich Geld zurück, sondern spricht von ,dem, was ich dir anvertraut habe’“. Ein Türke gibt auch nicht gern Fehler zu. Deutschländer haben damit kein Problem.“

Der Wille allein reicht nicht

Allein der Wille, es hier zu etwas zubringen, reicht nicht. „Der berufliche Aufstieg ist in der Türkei zwar schneller möglich, aber nur für gut qualifizierte Bewerber“, erklärt Cigdem Akkaya. „Die Rückkehrer sollten außerdem möglichst akzentfrei Türkisch sprechen. Türkischstämmige, die in Deutschland zweisprachig aufgewachsen sind, sind hier im Vorteil.“

Der Rückkehrer-Stammtisch ist für alle offen, aber es kommen dennoch viele Akademiker. Darunter Frauen und Männer, die trotz ihrer Top-Ausbildung in Deutschland karrieremäßig auf der Stelle traten. „Wer will schon Taxi fahren, wenn er studiert hat?“, sagt Cigdem Akkaya.

Es weht ein neuer Geist durchs Land

Nach fast zehn Jahren Istanbul hatte sie geglaubt, diese Stadt und dieses Land bestens zu kennen. Aber auf einmal erlebt sie ein neue Seite Istanbuls: die rebellische. „Wir treten hier in eine neue Epoche ein. Die Türkei ist plötzlich aufgewacht. Das macht mir und vielen anderen Hoffnung.“

Erdogan ist ähnlich begeistert: „Die Türkei hat Europa und der Welt ihr schönes Gesicht gezeigt. Nun wissen alle, dass es hier ein breites Interesse gibt an Freiheit und Demokratie. Es weht ein neuer Geist in der Türkei, und ich war noch nie so stolz auf dieses Land wie jetzt.“