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Warum starb Michele Kiesewetter? – Kollege sagt im NSU-Prozess aus

Mord an Polizistin Michele Kiesewetter bleibt rätselhaft

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Foto: dpa
Der Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter bleibt mysteriös. Die junge Frau wurde 2007 in ihrem Dienstwagen erschossen – von den NSU-Mitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wie die Bundesanwaltschaft glaubt. Kiesewetters angeschossener Kollege Martin A. sagte beim NSU-Prozess aus.

München/Essen. 

Michele Kiesewetter tippte noch schnell ein paar SMS-Nachrichten an Freunde. Es war ein letztes Lebenszeichen der 22-jährigen Polizistin. Dann traf sie die 9-mm-Kugel aus einer Pistole in den Hinterkopf.

Die Beamtin war sofort tot. Ihr angeschossener Kollege, heute 31, wurde so schwer verletzt, dass er sich seither an die Tatumstände nicht erinnert – und erst recht nicht an die Täter.

Dieser Kollege, Martin A., sagte am Donnerstag im Münchener NSU-Prozess aus. Fünfeinhalb Wochen lag er im Koma. „Zwei Wochen nach dem Aufwachen kamen Beamte und haben mir erzählt, dass Michele nicht mehr da ist“, erinnert er sich.

„Ich habe geweint, sehr lange getrauert“, erzählte der Polizist, der 2007 den Mordanschlag schwer verletzt überlebte. Seine Kollegin Kiesewetter starb an jenem 25. April 2007 neben ihm auf dem Fahrersitz des Streifenwagens an dem Kopfschuss. Tatort war die Theresienwiese in Heilbronn.

Angeschossenem Kollegen fehlt jede Erinnerung

Die Augenblicke der Tat sind A. nicht mehr präsent. Er habe noch eine Ahnung, dass er mit Michele Kiesewetter auf die Theresienwiese gefahren sei, einem beliebten Pausenplatz der Streifenpolizisten, aber „dann hört es auf“.

Die Hintergründe des rätselhaften Gewaltdelikts muss jetzt das Oberlandesgericht München alleine aufklären. Der Mord an der jungen Frau, so glaubt die Bundesanwaltschaft, war die letzte Mordtat von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Die beiden sind die mutmaßlichen Mörder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), denen neun weitere Morde – gezielt an ausländischen Opfern – und zwei Sprengstoffanschläge angelastet werden. Die vom Tatort verschwundenen Polizeiwaffen tauchten 2011 wieder auf – neben den Leichen von Mundlos und Böhnhardt in dem ausgebrannten Wohnwagen in Eisenach, wo sie sich selbst umgebracht hatten.

Beate Zschäpe schweigt seit Prozessbeginn

Die überlebende Freundin und Vertraute Beate Zschäpe muss sich seit neun Monaten in dem Prozess verantworten. Auch Zschäpe ist, obwohl sie womöglich nie an den Tatorten war, des zehnfachen Mordes und der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Die Ankläger sind überzeugt, dass sie in die Mordpläne eingeweiht war und sie beeinflusste.

Zschäpe schweigt seit Prozessbeginn. Das macht es für den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl nicht einfacher, Licht speziell in den Mordanschlag von Heilbronn zu bringen. Diese Tat fällt aus dem Rahmen. Sie richtete sich, anders als die anderen Morde des NSU, nicht gegen Kioskbesitzer aus der Türkei und Griechenland. Die polizeilichen Ermittlungen gerieten zudem zur Peinlichkeit.

Peinliche Fahndungspannen

Denn über Jahre suchten die Heilbronner Fahnder eine unbekannte Frau, weil sich deren DNA auf den Tatort-Spuren fand. Ein Phantom. 40-mal fanden sich ihre genetischen Rückstände in Mitteleuropa – nach zwei Mordfällen an der Mosel und bei Weinsberg, nach dem Einbruch in eine Saarbrücker Schule, bei Dutzenden Raubzügen in Frankreich und Österreich. Am Ende war klar: Die DNA gehörte der unvorsichtigen Arbeiterin, die die Wattestäbchen beim Verpacken unvorsichtig angefasst hatte.

Dann fiel der Verdacht auf den NSU. Das Opfer Kiesewetter stammt wie das NSU-Trio aus Thüringen. Kannte man sich? Oder war es ein Zufall?

Zufall. Das glaubt auch der Anwalt von Martin A. So spricht kein Indiz gegen die Vermutung der Ankläger, dass der NSU es am Mordtag dem verhassten Staat und seinen Repräsentanten zeigen wollten. Und dass Michele Kiesewetter kein gezieltes Opfer war. „Sie hat ihren Beruf so geliebt“, sagt die Mutter, „er war ihr Traum“.