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Warum in Nahost inzwischen jeder gegen jeden kämpft

Warum in Nahost inzwischen jeder gegen jeden kämpft

Von Algerien über Syrien bis Irak geht es den Herrschenden nur um die Sicherung ihrer Macht. Leidtragende ist die Zivilbevölkerung. Aus dem „Arabischen Frühling“ ist – wie es scheint – ein „Frühling der Gotteskrieger“ geworden. Eine Analyse.

Kairo/Bagdad. 

Die selbsternannten Gotteskrieger stehen vor Bagdad, nach Syrien droht jetzt auch dem Irak der Zerfall. Was vor drei Jahren in Damaskus als friedliches Aufbegehren des Volkes gegen das Assad-Regime begann, könnte am Ende die gesamten Region im Nahen und Mittleren Osten in den Abgrund reißen. Aus dem „Arabischen Frühling“ ist – wie es scheint – ein „Frühling der Gotteskrieger“ geworden.

Drei Ursachen fließen in dieser Katastrophe zusammen:

Die Defizite der orientalischen politischen Kultur – sie kann Machtgebrauch nur als Nullsummenspiel begreifen, ist unfähig zu tragenden Kompromissen und unbeirrbar in ihrem Autoritarismus.

Die Bigotterie der reichen Golfstaaten – die gekrönten Emire und Monarchen brüsten sich als Bollwerk gegen Extremismus. Gleichzeitig finanzieren ihre reichen Ölprinzen blutrünstige sunnitische Gotteskrieger gegen Damaskus und Bagdad, die sie als Handlanger des Iran ansehen.

Und, drittens, das Erbe der US-Invasion im Irak – die USA bekommen jetzt die Schlussrechnung präsentiert für ihr wohl teuerstes Militärabenteuer aller Zeiten.

George W. Bushs Feldzug gegen Saddam Hussein im Namen der Demokratie hat mehr als 5000 amerikanische Soldaten das Leben gekostet, Amerika finanziell beinahe auf die Knie gebracht, sein weltpolitisches Potenzial spürbar geschwächt und für die 32 Millionen Iraker vor Ort eine heillose Lage heraufbeschworen. Nichts wurde erreicht, stattdessen Schreckliches angerichtet – kein Wunder, dass Barack Obama sein nationales Interesse in dieser Unruheregion neu kalibriert.

Im Nahen Osten gibt es für Washington nichts mehr zu gewinnen

Am Ende wird eine Politik stehen, die sich weniger auf den Nahen Osten konzentriert. Hier gibt es für Washington nichts mehr zu gewinnen – weder bei den nervtötenden Verhandlungen zwischen Israel und Palästina, noch bei einer militärischen Intervention in den syrischen Bürgerkrieg, weder bei einer Rückkehr mit US-Bodentruppen in den kaputten Irak, noch im Streit um das skrupellose Doppelspiel der ölreichen Golfstaaten.

Denn die Herrscher der Arabischen Halbinsel gerieren sich nach außen als Garanten der Mäßigung. Nach innen aber drücken sie die Augen zu, wenn superreiche Privatleute und fundamentalistische Stiftungen Milliardensummen in extremistische Gotteskrieger und die Weltmission salafistischer Scharia-Moral stecken. Spätestens seit dem Drama im Irak ist klar, dieses Schattenspiel wird nicht aufgehen. Denn die triumphierenden Krieger könnten sich beflügelt fühlen, nun auch ihre Gönner am Golf ins Visier zu nehmen.

Und Europa wird die saudische, katarische und kuwaitische Heuchelei zu spüren bekommen, wenn die ersten Dschihadisten, kampferfahren und mordgewohnt, wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Naive Moralpredigten des Westens?

Allerdings wäre das regionale Terroristenmilieu niemals so ausgewuchert, gäbe es nicht so tief eingeschliffene Mängel in der politischen Kultur des Orients. Egal ob Iraks Nuri al-Maliki oder Syriens Bashar al-Assad, ob Algeriens Abdelaziz Bouteflika oder Ägyptens Abdel Fattah al-Sissi, alle arabischen Potentaten eint die gleiche Mentalität. Wer am Drücker ist, quetscht seine Kontrahenten unerbittlich an die Wand. Westliche Mahnungen zu Mäßigung werden als naive Moralpredigten belächelt.

Respekt vor den Grundinteressen von Minderheiten oder Andersdenken gilt als realitätsfremder Luxus. Und so fühlen sich Iraks Sunniten zu Bürgern zweiter Klasse herabgewürdigt. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon musste sich von dem störrischen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki öffentlich maßregeln lassen, als er für mehr sozialen Zusammenhalt und politischen Dialog warb.

In Fallujah brachte Anfang des Jahres eine schikanöse Hausdurchsuchung bei einem angesehenen sunnitischen Politiker das Fass zum Überlaufen. Seitdem ist die Stadt fest in der Hand von Gotteskriegern, klammheimlich unterstützt von einem Teil der frustrierten Bewohner. Doch selbst dieses Menetekel hat Maliki nicht beirrt. Jetzt bekommt seine ganze Nation, die ganze Region und die ganze Welt die Quittung dafür.