Veröffentlicht inPolitik

Das Massaker auf dem Maidan – Wo der Ukraine-Krieg begann

Das Massaker auf dem Maidan – Wo der Ukraine-Krieg begann

dpa_148CA800DABD1816.jpg
Ukrainians mark the first year anniversary of the escalated viole Foto: dpa
Vor einem Jahr jagten die Revolutionäre in Kiew Staatschef Janukowitsch aus dem Amt. Über 100 Menschen starben dabei – doch das war nur der Auftakt.

Kiew. 

Auf der Institutskaja Straße haben sich Hunderte Menschen um zwei Geistliche geschart. Die Menge singt leise das Lied, das der Maidan damals, im Februar 2014, jede volle Stunde anstimmte. „Für die Freiheit opfern wir Körper und Seele.“ Die ukrainische Nationalhymne klingt jetzt wie ein Trauerlied.

Am Samstag vor einem Jahr endete die Maidan-Revolution, benannt nach dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew, mit einem Sieg der pro-europäischen Rebellen. Mehr als 100 Aufständische und über ein Dutzend Milizionäre bezahlten ihn mit dem Tod. Und er forderte noch viel blutigere Zinsen.

Alexander Zapenko gehört zu den Legenden des Maidans. Ein 47-Jähriger mit vernarbten Glatzkopf, Amateurfußballtrainer, Afghanistanveteran und Unterführer der Maidan-Selbstverteidigung. Beim Sturmangriff der Sicherheitskräfte in der Nacht auf den 18. Februar geriet ihr Stab, das Gewerkschaftshaus am Maidan, in Brand. Zarenko erlitt schwere Verbrennungen, schleppte trotzdem einen halbtoten Kameraden aus den Flammen. Nachdem im April der Krieg im Donbass ausbrach, schloss er sich dem Freiwilligenbataillon „Aidar“ an, bei den Kämpfen um den Flughafen von Lugansk traf eine Kugel seinen Kopf, er überlebte auch das.

Proteste wurden zum Blutbad

Ein billiges Café am Bahnhof, schwarzer Tee, Zarenko schüttet lächelnd etwas Cognac dazu. Er hat einen Aidar-Kameraden mitgebracht, Oleg Sobkow, 42, auch er Maidan-Veteran. Warum die beiden dort von November bis Februar gestanden, gefroren und geblutet haben? „Wir waren gegen Janukowitschs Gangsterregime“, sagt Sobkow. Aber Beiden fällt es schwer, das Erlebte zu diskutieren. Immer wieder fingern an ihren Smartphones, zeigen neue Fotos: Zarenko vor der Barrikade, Sobkow mit Maschinengewehr an der Front… Aber vor allem Fotos von Kameraden, die auf dem Maidan erschossen wurden, im Lazarett liegen, in der Ostukraine gefallen sind.

Der Aufstand auf dem Kiewer Maidan-Platz begann Anfang November 2013 als gewaltfreier Studentenprotest gegen die Entscheidung des Staatschefs Viktor Janukowitschs, das unterschriftsreife Assoziierungsabkommen mit der EU zu stoppen. Hunderttausende gesellten sich dazu, monatelang demonstrierten sie friedlich, aber Janukowitsch verweigerte alle Zugeständnisse, am 18. Januar gab es die ersten Toten.

Wilde Verschwörungstherien

Die Proteste gerieten zur Straßenschlacht, die blaugelben Wollmützen der Aktivisten wichen erst orangen Bau-, dann Stahlhelmen. Am 18. Februar scheiterte ein Sturmangriff der Sicherheitskräfte: 17 Tote, darunter sieben Polizisten. Am 20. Februar kam es zu einer offenen Schießerei, 50 Rebellen und sieben Beamte starben im Kugelhagel. Am nächsten Abend floh Janukowitsch aus Kiew.

Um das blutige Finale ranken sich wilde Verschwörungstheorien. Russische Staatsmedien verbreiten, US-Scharfschützen hätten das Blutbad am 21. Februar angezettelt. Der ukrainische Geheimdienstchef Valentin Naliwaitschenko dagegen behauptet, Putin-Berater Wladislaw Surkow persönlich habe eine Brigade russischer Schützen dirigiert.

Tatsächlich eröffneten die Sicherheitskräfte das Feuer auf vordringende Maidan-Kämpfer offenbar als Reaktion auf das erste Gewehrfeuer der Gegenseite. Schon am Morgen des 20. Februar waren auf dem Maidan Kampfgruppen mit Jagdgewehren zu sehen. Sowohl die BBC wie die ukrainische Zeitung Vesti interviewten einen Aufständischen, der zugab, die Polizisten mit seiner Saiga-Büchse beschossen zu haben. Deren Antwortsalven waren der blutige Endpunkt eines Nervenkrieges, der ein Vierteljahr gedauert hatte.

Die Revolutionäre sind verbittert

Heute, ein Jahr danach, herrscht Krieg, die Wirtschaft ist marode, die Revolutionäre verbittert. „Poroschenkos Regime ist so korrupt wie das Janukowitschs“, schimpft Zarenko. Auf einer Litfaßsäule an der Institutskaja Straße prangt die pathetische Unwahrheit: „Helden sterben nicht.“ Weiter die Straße entlang stehen Denkmäler, Grabsteine und Bäume, an denen Bilder mit den Namen und Gesichtern der toten Helden hängen.

Aber die Monate ihrer Todesdaten lauten nicht mehr Januar oder Februar sondern Juli oder August 2014: Es sind tote Helden des Krieges im Donbass. „Vor 23 Jahren, ist uns die Unabhängigkeit umsonst in den Schoss gefallen“, sagt Zarenko. „Jetzt müssen wir dafür bezahlen. Und wer weiß, wie viel Tausend Leben sie uns noch kosten wird.“